Aus Anlass des Jubiläums- und Gedenkjahres von Paul Celan – heuer feiern wird den hundertsten Geburtstag des deutschsprachigen rumänisch-jüdischen Dichters und gedenken zugleich seines Ablebens vor fünfzig Jahren – erschien vor Kurzem im Polirom Verlag ein Band mit rumänischen Übersetzungen Celanscher Prosa aus der Feder des Jassyer Germanisten Andrei Corbea. Bei dieser Hardcover-Ausgabe handelt es sich um die revidierte Fassung des Übersetzungsbandes, der im Jahre 2009 im Verlag Samuel Tastet (EST) als Paperback erschienen war.
Der Band von Andrei Corbea mit Übertragungen aus dem Deutschen ins Rumänische enthält sämtliche Prosa – poetologische Reflexionen, Aphorismen, poetische Gespräche, Antworten auf An- oder Umfragen, Reden und Ansprachen –, die in der von Beda Allemann und Stefan Reichert 1983 im Suhrkamp Verlag edierten Paul-Celan-Werkausgabe erschienen ist. Dazu kommen dann noch, ebenfalls aus dem Deutschen ins Rumänische übertragen, der 1966 entstandene Celansche Prosatext „Die Wahrheit, die Laubfrösche, die Schriftsteller und die Klapperstörche“ sowie die einleitenden Bemerkungen Paul Celans zu zwei seiner im S. Fischer Verlag erschienenen Übersetzungen aus dem Russischen: zu Gedichten von Ossip Mandelstam sowie zum Poem „Die Zwölf“ von Alexander Blok. Anmerkungen des Übersetzers zur Erstveröffentlichung der verschiedenen Prosatexte sowie erläuternde Kommentare zu einigen konkreten Textstellen runden den Übersetzungsband von Andrei Corbea ab.
Nicht nur die Übertragung der Lyrik Paul Celans, sondern auch die Übersetzung seiner Prosa stellen eine große Herausforderung für jeden Übersetzer dar, zumal nicht nur Celans Gedichte, sondern auch seine Prosawerke als durch und durch poetisch zu betrachten sind. Höchstes Sprach- und Klangbewusstsein durchwirken alle Texte Celans, welche in einer beliebigen zweiten Sprache kaum nachzuschaffen sind, sodass jeder Celan-Übersetzer, bevor er mit seiner Arbeit beginnt, sich den berühmten Satz des amerikanischen Dichters Robert Frost aus dessen „Conversations on the Craft of Poetry“ vorsagen muss, welcher lautet: „I like to say, guardedly, that I could define poetry this way: it is that which gets lost out of both prose and verse in translation.” (Vorsichtig möchte ich sagen, dass ich Poesie folgendermaßen definieren könnte: Sie ist das, was aus Prosa und Lyrik in der Übersetzung verloren geht).
Celan hat diesen Sachverhalt selbst einmal in Worte gefasst, und zwar anlässlich einer Umfrage der Pariser Buchhandlung Flinker im Jahre 1961 zum Problem der Zweisprachigkeit der Dichtung. In Celans Antwort, die im Band von Andrei Corbea ebenfalls übersetzt vorliegt, heißt es markant und fast brüsk: „An Zweisprachigkeit in der Dichtung glaube ich nicht. (…) Dichtung – das ist das schicksalhaft Einmalige der Sprache.“
Ein anderes Prosadokument Celans sowie dessen Übersetzung durch Andrei Corbea mögen diesen Sachverhalt illustrieren. In einem Brief an Hans Bender, der Celan im Jahre 1960 um Mitarbeit an seiner Anthologie „Mein Gedicht ist mein Messer“ bat, betont der Dichter, dass Handwerk die Voraussetzung aller Dichtung sei. „Handwerk – das ist Sache der Hände. Und diese Hände wiederum gehören nur einem Menschen, d. h. einem einmaligen und sterblichen Seelenwesen, das mit seiner Stimme und seiner Stummheit einen Weg sucht. Nur wahre Hände schreiben wahre Gedichte. Ich sehe keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Händedruck und Gedicht.“ Um das Sprachspiel mit dem Wort ‚Hand’ auch in der rumänischen Übersetzung dieser Briefstelle zu erhalten, kommentiert Andrei Corbea das von ihm gewählte rumänische Äquivalent „meșteșug“, indem er die deutschen Wortbestandteile ‚Hand’ und ‚Werk’ in einer Anmerkung erläutert und andeutet, wie sich der Dichter in dieser Aufhebung des Begriffs zur echten Kunst erhebt: zum Wahren, zum Einmaligen, zum Persönlichen. Als ‚Handschrift’ ist Dichtung das je Eigene, als ‚Händedruck’ das jeweils Verbindende.
Auch die in obiger Briefstelle alliterierende Verknüpfung von ‚Stimme’ und ‚Stummheit’ ist im Rumänischen nicht zu bewahren. Andrei Corbea übersetzt „cu vocea și tăcerea“. Man hätte an dieser Stelle für ‚Stummheit’ auch das rumänische Äquivalent ‚muțenie’ wählen können, zumal Paul Celan in seiner wenige Monate später gehaltenen Darmstädter Rede mit dem Titel „Der Meridian“ anlässlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises im Hinblick auf die moderne Dichtung von deren „starker Neigung zum Verstummen“ spricht, was Andrei Corbea mit „o propensiune accentuată spre amuțire“ übersetzt. Dass das Wort ‚Stimme’ zugleich auf Paul Celans im Jahr zuvor erschienenen Lyrikband „Sprachgitter“ anspielt, und zwar auf den diesen eröffnenden Zyklus „Stimmen“, ist kaum mehr in die Übersetzung hereinzuholen. In der Anmerkung zu einer Stelle aus seiner „Meridian“-Übersetzung nimmt Andrei Corbea darauf Bezug, indem er folgendes Selbstzitat Paul Celans kommentiert: „Stimmen vom Nesselweg her: // Komm auf den Händen zu uns. / Wer mit der Lampe allein ist, / hat nur die Hand, draus zu lesen.“
Selbstverständlich ist man als Leser rumänischer Übersetzungen Celanscher Prosa besonders daran interessiert, wie Celans poetologische Selbstaussagen, die in der Literaturwissenschaft gleichsam den Status geflügelter Worte erlangt haben, in die Fremdsprache übertragen werden. Hierfür sind vor allem die beiden längeren Reden Paul Celans von Belang: seine Ansprache anlässlich der Entgegennahme des Literaturpreises der Freien Hansestadt Bremen (1958) sowie die bereits erwähnte Büchner-Preis-Rede „Der Meridian“ (1960).
In der Bremer Rede etwa steht jener berühmte Satz Paul Celans, mit dem er andeutet, dass die Sprache, die während des Dritten Reiches durch „furchtbares Verstummen“ und durch „tausend Finsternisse todbringender Rede“ hindurchgehen musste, dem Dichter, der „mit seinem Dasein zur Sprache geht, wirklichkeitswund und Wirklichkeit suchend“, trotz aller Widerfahrnisse wie durch ein Wunder erhalten geblieben ist. Der Satz lautet: „Erreichbar, nah und unverloren blieb inmitten der Verluste dies eine: die Sprache.“ In der Übersetzung durch Andrei Corbea: „Accesibilă, aproape și neirosită a rămas, între toate cele cîte s-au pierdut, doar ea singura: limba.“ Kaum lässt sich der Sinn des alten deutschen Wortes „unverloren“ ins Rumänische, ja in die Gegenwart überhaupt, herüberretten. Im Wort „unverloren“ ist die ganze Welt des lutherischen Chorals präsent. Johann Sebastian Bach vertont in einer Kantate aus dem Jahre 1725 die Worte Salomo Liscows „Wer glaubt, daß Jesus ihm geboren, / Der bleibet ewig unverloren“. Und bei dem lutherischen Kirchenlieddichter Ludwig Helmbold heißt es: „Die Seel’ bleibt unverloren / Geführt in Abrahams Schooß“. Celan überträgt hier den sprachlichen Ausdruck höchsten Gottvertrauens und tiefster religiöser Andacht auf die Sprache selbst, ein Vorgang, der im Rumänischen kaum wiederzugeben ist.
So wird der Leser dieses Übersetzungsbandes von Andrei Corbea die um die rumänische Sprachwelt bereicherte Prosa Paul Celans vollauf genießen, mit ihr „das schicksalhaft Einmalige der Sprache“ hinterfragen und neu erleben können. Wie jede gute Übersetzung eröffnet auch diese die Möglichkeit, „um einer Begegnung willen“, wie es im „Meridian“ heißt, dem Original aus einer „Ferne oder Fremde“ dialogisch gegenüberzutreten und dabei im Fremden das Eigene zu entdecken, so wie Paul Celan in vielen seiner Übertragungen von Werken fremder Dichter seine eigene Stimme hörbar machte. Bedauerlich nur, dass die revidierte Fassung des Bandes von Andrei Corbea auf das gelehrte Nachwort des Übersetzers verzichtet, das in der Erstauflage die Übersetzung begleitete und dadurch das Verständnis der Persönlichkeit Paul Celans wie auch seines Dichtens und Denkens beförderte.
Paul Celan, Meridianul și alte proze. Traducere din limba germană și note de Andrei Corbea. Ediția a doua, revizuită, Polirom: Iași 2020, 120 S., ISBN 978-973-46-8073-3, 34 RON.