Deutschunterricht für Geflüchtete

Axel Barners literarisches Schultagebuch „Frau Meier lügt!“ vor kurzem erschienen

Das Taschenbuch „Frau Meier lügt!“ kann zum Preis von 5,20 (Kindle: 3,99) über folgende Internet-Adresse bezogen werden: www.amazon.de/Frau-Meier-l%C3%BCgt-Axel-Barner/dp/1688893709

Für das des Deutschen kundige Lesepublikum in Rumänien ist der in Berlin lebende Schriftsteller, Literaturwissenschaftler, Kulturhistoriker und Deutschlehrer Axel Barner kein Unbekannter. Über Bukarest hat er einen Stadtführer herausgegeben sowie zwei Anthologien mit literarischen Texten („Bukarest. Ein literarisches Porträt“ und „Europa erlesen. Bukarest“). Sein „Neun Akatiste für die NATO“ betitelter Prosaband beschäftigt sich mit der Nachwendezeit in Rumänien, über die er auch in Publikationen wie „Die Hunde von Bukarest“ und „Bukarester Totenklage“ nachgedacht hat. Immer wieder kehrt Axel Barner, der in den Jahren 1992 bis 1997 an der Polytechnischen Universität in Bukarest als Lektor des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) Deutsch als Fremdsprache unterrichtete, literarisch nach Rumänien zurück, zuletzt mit seinem jüngst bei PalmArtPress in Berlin erschienenen Prosagedicht „Temeswar, Blicke“.

Einen großen Teil seines Schuldienstes als Deutsch- und Geschichtslehrer hat Axel Barner im Ausland geleistet, wo er, außer in Rumänien, auch in Frankreich, in der Türkei und in Äthiopien unterrichtete. Die weltweiten Auslandserfahrungen, von denen auch seine Reisebücher „Umwege nach Moabit“ und „Der Weg nach Timbuktu“ zeugen, sowie seine umfassenden Erfahrungen im Unterricht des Deutschen als Fremdsprache flossen nicht zuletzt auch in seine Tätigkeit im Berliner Schuldienst ein, wo er in den Jahren 2015 bis 2017 Klassen mit Geflüchteten zu unterrichten hatte. Sein in diesem Jahr erschienener Prosaband „Frau Meier lügt!“ gibt auf humoristische und zugleich höchst realistische Weise Einblick in die gesellschaftlichen und interkulturellen Herausforderungen, die mit dem Unterricht des Deutschen als Fremdsprache in Deutschland selbst verbunden sind.

Das literarische Schultagebuch, von dem Axel Barner in seiner kurzen einleitenden Notiz sagt, nichts darin sei erfunden, nichts sei Fiktion, zieht den Leser gleichwohl in seinen Bann, vielleicht weil die zum Teil durchaus schockierenden Erlebnisse im Klassenraum, die der Deutschlehrer Bremer zu bewältigen und zu verarbeiten hat, in einer ruhigen, nüchternen und sachlichen Sprache vorgetragen werden, nicht selten mit einem Anflug von Humor, der die krude Realität des Schulalltags in einer sozialen Brennpunktklasse in der deutschen Metropole Berlin ein Stück weit wieder vergessen macht.

Das Schultagebuch „Frau Meier lügt!“ mit dem bezeichnenden Untertitel „Eine Inspektion“ umfasst den Zeitraum eines einzigen Schuljahres (31. August 2015 bis Anfang Juli 2016) in einer einzigen Berliner Schulklasse, einer sog. Willkommensklasse, mit 14 (später 15) Schülerinnen und Schülern, die nach dem „Leitfaden zur schulischen Integration von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen“ – Lehrer Bremer nennt ihn „Leidfaden“ – in die deutsche Sprache eingeführt werden und am Ende des Schuljahres gemäß dem „Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen“ das Niveau A2 erreicht haben sollen.

Bei einer Wortschatzübung mit der Frage „Welche Dinge brauchst du für dein Hobby?“ ruft der vietnamesische Schüler Long vorlaut in den Klassenraum: „Kopööaah!“ Erst als Lehrer Bremer den fleißigen und gewissenhaften Schüler, der außerdem gut buchstabieren kann, nach vorne ruft, wird aus dessen Tafelanschrieb ersichtlich, dass der Junge einen Kopfhörer benötigt, um seinem Hobby, dem Musikhören, zu frönen. Der lernwillige Long hat außerdem die Angewohnheit, an jeden deutschen Satz, den er im Unterricht äußert, die Bekräftigungsformel „Wallah, Habibi!“ anzuhängen, die er von seinen arabischen und türkischen Mitschülern übernommen hat, was den Klassenlehrer zu der stillen Betrachtung veranlasst: „Deutsch lernen die arabischen Schüler zwar nicht bei mir, denkt Bremer, aber die Vietnamesen lernen Arabisch.“

Die vierzehnjährige Romni Yazmina aus Serbien, die später abgeschoben wird, fällt dadurch auf, dass sie oft dem Unterricht fernbleibt. Sie legt dem Klassenlehrer Bremer regelmäßig Entschuldigungen vor wie diese: „Lieba Herr Brema, Yazmina konnt nicht komen in schule gestern, weil sie hat tolle bauchschmertsähn und braucht gehen zu Doktor.“ Irgendwann stellt sich heraus, dass Yazmina diese Entschuldigungen selbst verfasst und auch unterschreibt, weil ihre beiden Eltern Analphabeten sind. Die Eltern anderer Schüler können nur per Dolmetscher mit dem Lehrer kommunizieren, wenn es jenem überhaupt gelingt, sie zu einem Gespräch in die Schule zu laden. Viele Eltern empfehlen Herrn Bremer dann bei der Unterredung eindringlich, ihre Sprösslinge körperlich zu züchtigen: ihnen die Ohren herumzudrehen, sie zu schlagen oder ihnen anderweitig Gewalt anzutun.

Die Kollegen Bremers, darunter die im Titel des Schultagebuchs apostrophierte Frau Meier, laden ihre gesamte Frustration auf den Klassenlehrer ab, der auch in den Schulkonferenzen wenig Unterstützung für die Probleme findet, die er mit seiner Klasse hat. Der Schulleiter optiert grundsätzlich für schriftliche Verweise, die dann im Schülerbogen vorschriftsmäßig abzuheften sind. Bei einer dieser Konferenzen wird der dreizehnjährige Ägypter Saifallah, der als Flüchtling übers Mittelmeer kam und in Bremers Klasse durch extreme Gewalttätigkeit auffällt, herbeizitiert. Der Rektor erteilt ihm, wie nicht anders zu erwarten, einen schriftlichen Verweis und fragt Saifallah dann, ob er das gut verstanden habe. „‚Ja’, sagt Saifallah, geht zum Schulleiter, kniet vor ihm nieder, nimmt dessen Hände, küsst die Schulleiterhände, legt sich die Hände auf den Kopf und murmelt ein Gebet. Mit dieser Demutsgeste hat der Schulleiter offensichtlich nicht gerechnet, weshalb er seine Hände zurückzieht und sagt: ‚Steh auf, Saifallah! Steh sofort auf! Du musst mir doch nicht die Hände küssen!’ ‚Habe ich gedacht’, erwidert Saifallah, ‚du wirst mich schlagen!’“

Das Schultagebuch zeigt, wie der engagierte Klassenlehrer Bremer nicht nur in seiner Schule von seinen eigenen Kollegen und vom Rektor mit den enormen Problemen in seiner Klasse alleingelassen wird, wie er nicht nur von den Eltern und Verwandten seiner Schüler mit Geringschätzigkeit und Nichtachtung gestraft wird (die Schwägerin des Problemschülers Rashid brüskiert Herrn Bremer einmal sogar in einer Schulkonferenz!), sondern dass auch die Institutionen, an die der Klassenlehrer sich Hilfe suchend wendet, ihn immer wieder bloß zu vertrösten versuchen: Schulpsychologischer Dienst, Inklusionspädagogisches Beratungs- und Unterstützungszentrum, Schul- und Bezirkssozialarbeit, Flüchtlingsunterkunft.

Dass die tristen und aussichtslosen pädagogischen Bemühungen Bremers beim Leser des Schultagebuchs keinen allzu traurigen Eindruck hinterlassen, ist dem erzählerischen Können Axel Barners geschuldet, der im nüchternen Sachbericht zugleich das Utopikum des Humors wirksam werden lässt, welcher spürbar macht, dass die Welt, wie sie ist, doch anders sein könnte und müsste. Wie im Roman „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz, so geht es auch in Axel Barners erfahrungsgesättigtem Schultagebuch nicht nur um den Unterricht in Deutsch, sondern vielmehr um die Unterrichtung über die deutsche Gegenwart, ganz konkret darum, was in Deutschland in Sachen Inklusion derzeit getan und nicht getan wird.