Drei Berufe müsse ein jeder Mensch in einer demokratischen Gesellschaft ausüben. Zunächst ist es sein eigener, den er gelernt hat, für den er sich vorbereitet hat und mit Hilfe dessen er sein tägliches Brot verdient. Dann folgt der Beruf des mündigen Bürgers, den er auszuüben hat, der an der Gesellschaft, an der politischen Entwicklung, an den res publica teilzunehmen vermag. Lebt der Mensch in einer Gesellschaft, die sich auf die repräsentative Demokratie stützt, ist dieser zweite Beruf durchaus schwierig zu gestalten, denn die Entscheidungsmacht delegiert der Bürger an das Parlament, an die Politiker, und die richten manchmal Schlimmes an. Unmengen an Literatur gibt es zu diesem Thema, zu den Klassikern der Moderne zählen sicherlich die Franzosen Alexis de Tocqueville und Benjamin Constant. Noch schwieriger ist es, den dritten Beruf auszuüben: Man solle ein Mensch unter Menschen sein. Eine mögliche Anleitung dafür liefert Nicolae Steinhardt, der zum orthodoxen Glauben konvertierte Jude. Im Kern heißt das nichts anderes, als dass man bis zum Ende einzustehen hat für das, was man fertig gedacht hat. Wer sich mit Steinhardt nicht begnügt, der lese bei Platon nach, was Sokrates den Athenern sagt.
So beginnt Gabriel Liiceanus neuestes Buch, „România. O iubire din care se poate muri”, auf Deutsch „Rumänien. Eine Liebe durch die man sterben kann“, vor Kurzem im Humanitas-Verlag erschienen. Liiceanu fasst in dem 250 Seiten starken Buch alle seine Texte, die er zwischen 2015 und 2017 auf der Internet-Plattform Contributors veröffentlicht hat, zusammen. Gemeinsam mit Mircea Cărtărescus Sammelband „Peisaj după isterie”, auf Deutsch „Nach-Hysterie-Landschaft“, in dem der berühmte Schriftsteller seine 2007 bis 2017 in verschiedenen Zeitschriften veröffentlichten Artikel vereint hat, stellt Liiceanus Buch ein willkommenes Geschenk für alle dar, die in diesem Lande tagtäglich damit beschäftigt sind, auf Kurs zu bleiben, in ihrem Dauerkampf für Anständigkeit, für Ehrlichkeit, für die richtigen Werte. So albern dies für so manchen klingen mag: Liiceanu, Cărtărescu, sicherlich auch Andrei Pleşu und Horia Roman Patapievici, gehören zu der Sorte von Intellektuellen, die für die kritische Masse der Aufrichtigen, der Vernünftigen, der zeitgemäß liberal Denkenden von außergewöhnlicher Bedeutung sind. Allein die Tatsache, dass sie in den vergangenen drei Jahrzehnten so oft und derart ungerecht angegriffen worden sind, von den verschiedensten Lagern, aber am häufigsten von den Ewiggestrigen, beweist zur Genüge, dass ihr öffentliches Handeln und vor allem ihr Schreiben für den richtigen Weg der rumänischen Gesellschaft unentbehrlich sind.
Denn misst man sowohl Liiceanu als auch Cărtărescu an der Latte der drei Berufe, so erkennt man schon die Kraft des Modells, jenes Modells, das hierzulande damals wie heute fehlt. Liiceanu, an dessen verzweifeltem Ton, an dessen zynischer Wortwahl man manchmal selbst verzweifelt, hat nach der Wende einen Verlag aufgebaut, der Pionierarbeit geleistet und der zweifelsohne zur Emanzipierung der rumänischen Gesellschaft wesentlich beigetragen hat. Und Cărtărescu, der begabte Schriftsteller der 1980er Generation, ist der international bekannteste rumänische Autor, einer, dessen Name mehrmals für den Literaturnobelpreis ins Gespräch kam. Wenn man nun die beiden Bücher liest, entdeckt man ohne Weiteres den roten Faden, der die Gedankenwelt der beiden verbindet: Sie wissen um den Preis der Freiheit, insbesondere der Gedanken- und Redefreiheit, sie verstehen den rumänischen Geist, setzen sich mit ihm auseinander. Sie erkennen schnell, wo das Böse lauert, und entblößen es auf Anhieb. Die Schwächen des eigenen Volkes bringen sie zum Verzweifeln, aber in ihrem Einsatz bleiben sie unermüdlich.
In einem an aufrichtigen Intellektuellen armen Land, in einem Land, in dem Plagiatsaffären zur Tagesordnung gehören und sich wegen himmelschreiendem Unrecht kaum einer rührt, bleibt ihnen die stets undankbare Rolle des „public intellectual“, des öffentlich aktiven Intellektuellen. Perfekt sind sie keineswegs, Liiceanus Überreaktionen stehen in klarem Gegensatz zum humorvoll-gelassenen Temperament seines Freundes Andrei Pleşu. Man hat dies 2007 gesehen, als Liiceanu Partei ergriffen hat für Traian Băsescu; im Nachhinein betrachtet, bleibt ein schwer überwindbarer Hauch von Pathetik an seiner damaligen Intervention hängen. Die Lektion des „errare humanum est“ muss aber Liiceanu, Heideggers Übersetzer ins Rumänische, nicht mehr beigebracht werden.
Manchmal reagieren sie also hart, ihre Metaphern tun weh, so zum Beispiel wenn Liiceanu gerechterweise über das Land der zahnlosen Münder schreibt. Ja, manchmal mag ihr Schreiben elitär wirken, abgehoben, verachtend sogar. Oder so zumindest stellt es das andere Lager dar, jenes, das noch immer glaubt, Horia Roman Patapievici habe Eminescu verleumdet und Liiceanu sei nur ein Hofnarr Traian Băsescus.
Was zählt aber zuletzt? Kann man den beiden vorwerfen, sie hätten jene Kompromisse gemacht, die ihre Angreifer sowohl vor als auch nach 1989 gemacht haben? Keinesfalls. Auch Pleşu nicht, und auch nicht Patapievici, den Liiceanu und Cărtărescu verteidigen wollen nach den Hetzkampagnen der Jahre 2011/2012, als es um die Leitung des Rumänischen Kulturinstituts ging. Weiterhin gehören beide Autoren zu den führenden Intellektuellen des Landes, zu jener Riege von Bürgern, die in der Öffentlichkeit drei Berufe ausüben können. Schön, dass man sich daran erfreuen kann; schön, dass einer in der Hysterie des rumänischen Alltags nicht den Geist verliert, dass ein anderer glaubt, an Liebe für das Land sterben zu können.
Gabriel Liiceanu: „România. O iubire din care se poate muri“, Editura Humanitas, Bucureşti, 2017.
Mircea Cărtărescu: „Peisaj după isterie“, Editura Humanitas, Bucureşti, 2017.