Städte sind Organismen, dantische Kreaturen, die Menschen auflauern und verschlucken. Ja, vor Städten sollte man sich wirklich in Acht nehmen!
Ich stelle mir Bucure{ti wie ein Gedicht von Arghezi vor – auf Pfahlbauten gebaut, mit dunklen Löchern im morschen Gehäuse, durch die sich Feuchtigkeit frisst. Die Feuchtigkeit aus der Kanalisation, vom Himmel, vom Atmen, von warmer Haut. In Städten verkriecht man sich und versteckt sich. Man assimiliert sich, selbst Tudor Arghezi kapitulierte vor der Stadt: „Ein Geheimnis scheint über der Gründung einer Stadt zu liegen. Warum liegt sie dort, wo sie sich befindet, und nicht hundert Kilometer weiter nach oben oder weiter nach rechts (…) Es ist der Fall der Stadt Bukarest, die so schlecht als möglich liegt für die Hauptstadt eines ziemlich großen Landes. Es muss einen geheimen und unerklärlichen Zauber geben, der auf handgreiflichste Art und Weise selbst die Fremden anzieht und sie dazu bringt, dass sie an der Stadt kleben bleiben. Die Lieder tauchen nicht umsonst auf: Dâmbovi]a, süßes Wasser, wer dich trinkt, kann dich nicht lassen… “
Ich versuche, mir das alte Bukarest vorzustellen, das eine Bukarest, ja genau das, möchte ich sagen und auf das Foto deuten. Das Bukarest, das ich mir vorstelle, ist dasjenige aus den Romanen von Mircea Eliade. Die Stadt, an die ich immer wieder denke, ist die Stadt, durch die Gestalten und Ganoven mit tief sitzenden Fedoras streifen und sich in einer Gasse verlieren. Das Bukarest, das ich mir vorstelle, ist ein Kuriositätenkabinett a la Cărtărescu: Die Krankheit der Stadt zieht sich mit ihren vergifteten Adern auch durch ihre Bewohner. Das andere Bukarest, das leuchtet in der Sonne, mit seinen Palästen, die längst untergegangen sind, den Traumgestalten des frühen 20. Jahrhunderts mit ihren französischen Vornamen a la Pârvulescu, deren Haut zu Papier geworden ist. Den Frauen und Fräuleins von Henriette Stahl und Hortensia Papadat Bengescu: Intrige in der Hauptstadt, möchte ich während der Theaterveranstaltung reinrufen.
Diese Stadt, die kann ich noch nicht richtig fühlen, aber sie ist die ganze Zeit da. Präsent. Beobachtet mit ihren schwarzen Fensterläden. Es scheint mir, dass diese Stadt nur für sich selbst ist und die Menschen gar nicht braucht. Sie frisst sie, ganz ungerührt, unbekümmert in den Toren der Vorgärten und den Treppenhäusern der Plattenbauten. Es rührt sie gar nicht, was passiert: das Rauschen der Autos, die Manelemusik, die aus dem offenen Taxifenster dringt, das Lachen von Schülern, das Schweigen der Wärter, die vor jedem Haus stehen und die Zeit totschlagen. Die Stadt berauscht sich an der eigenen Existenz: Dass sie auf dem Erdboden steht, in ihrem wilden Chaos, ist ihr Vergnügen genug. Ich habe das Gefühl, dass die Begegnung mit dieser Stadt durch die Augen eines Lesenden sich so wahrhaftig anfühlt, weil man als Zuschauender durch diese Stadt läuft. Städte sind weibliche Subjekte in der Literaturwissenschaft, sagt mein Professor, und wenn das so ist, dann muss auch Bukarest eine Frau sein, eine eitle noch hinzu, ein richtiger Hausdrachen.
Aber so einfach ist das nicht. Bukarest fühlt sich nach Zurückkommen an. Es fühlt sich wie ein konzentriertes Serum an, ein Liebesserum für Rumänien. Ich würde die Zutatenliste gern kennen. Es fühlt sich natürlich an, beiläufig, auch wenn mir diese Stadt fast ganz unbekannt ist. Und sie sich nicht so leicht enthüllt - im Moment trägt sie graue Bänder aus Regen und Dunst, in die sie sich schmiegt. Gleichzeitig schmiegen sich dunkle Pfützen in den Asphalt. Bukarest ist das Andere. Das, was nicht zu dem passt, wie sich Rumänien vor mir aufbaut und konstruiert: Das Bäuerliche, Dörfliche, der Kitsch Siebenbürgens. Hier gibt es keine Ungarn, hier redet niemand mehr über die Walachei. Hier gibt es keine țară (Land) und kein Pământ (Boden).
Das Bauernmuseum und das Muzeul Satului (Dorfmuseum) stehen zwischen Bäumen und alten Holzhäusern. Überall stehen alte Frauen mit Plastiktüten und stoßen den Rauch in die Luft. Vielleicht ist diese Stadt ein riesiger Drachenschlund. Sie atmet den Duft von vertrockneten Rosen, Schlamm und dem Parfüm der Passanten. Im Museum für Kunst, in der rumänischen Abteilung, ist es stickig: Ich atme tief ein und atme den Staub aus. Staubdrachen, flüstere ich. Auf der ersten Etage beginnt die Ausstellung mit Kirchenkunst: Jesus scheint kein Mensch, sondern eine Holzpuppe gewesen zu sein. Im Militärmuseum steht ein gebrechlicher Mann, ein Moș, mit dünner Haut, durch welche die Januarsonne scheint: „Möchten Sie sich diese Kutsche ansehen? Mit der Kutsche ist der letzte Jude von Bukarest gefahren.“ Seine Unform ist so grau, ich hätte gewettet, dass es Staub ist: Manche wünschen sich ein noch ganz anderes Bukarest herbei. Meine Taschenuhr ist stehengeblieben und ich blinzele in die Sonne.
Wo bin ich? Vertraut sind nur die Silhouetten der Plattenbauten. An ihnen kann man sich erfreuen. Ihre Gestalt ist bekannt, klar zeichnet sie sich vor dem Himmel ab. Nur manchmal, da glimmt in der Schwärze der Fenster eine Zigarette auf. Doch auch in Bukarest stehen die Häuser dichter, sie drängeln sich aneinander, zwischen ihnen ragen sachte Häuser aus der Zwischenkriegszeit. Es ist kein Platz für Wiesen und Schaukellieder. Alles ist größer, lauter, enger, unheimlich nah. Würde diese Stadt an mediterranen Ufern liegen, dann würde sie noch mehr Menschen verschlingen.
Ich pendle ziellos zwischen Eckcafes umher. Ich fühle mich allein in dieser Stadt. Ich gehe zum Pia]a Obor und drücke mich durch die engen kleinen Gänge, zwischen den Schönheitsprodukten. Später gehe ich in die Fleisch- und Fischabteilung. Die Leute um mich herum reden über den Januar, über den nassen Beton. In der Ferne zirpen die Alarmanlagen wie Grillen. Nachts singen die Katzen und Hunde. Und ich habe die Strada Mântuleasa bis heute nicht gefunden.