Seit Freitag, dem 20. Juni, wird in Hermannstadt/Sibiu überall „Danke“ gesagt: Denn unter diesem Motto steht das diesjährige Internationale Theaterfestival (FITS). Gedankt wird auf den Straßen und Plätzen, in Theater- und Konzertsälen, in Ausstellungsräumen und Festsälen – auch wird Dank großzügig entgegengenommen. Bei so viel Dankgefühl und Verbundenheit wünscht man sich, der Mensch wäre zuweilen der Ubiquität fähig. Da es die menschliche Natur jedoch nicht erlaubt, sich an mehreren Orten gleichzeitig aufzuhalten, muss man sich schweren Herzens für ausgewählte Programmpunkte entscheiden – auch wenn die Qual der Wahl für so manches graue Haar sorgt.
Von der Amöbe zum Wolf
Eine der ersten Darbietungen dieses 32. Internationalen Theaterfestivals war das Stück „Freiheit“ von Edith Buttingsrud Pedersen, gespielt von der Athanor-Akademie aus Passau. Mit der Tanzvorführung, die die Suche nach Freiheit nachzuzeichnen versucht, eröffnete das Stück die Sektion, die der Arbeit der Schauspielschulen gewidmet ist. Mit brownianischen, von Club-Musik untermalten Bewegungen konfrontiert, unterlag der Zuschauer erst der Herausforderung, den Schlüssel zu finden, der ihm den Zugang zu dem Dargestellten erlauben würde. Obwohl das punktuell gelang, wird ihm dieser im Handlungsverlauf wieder entzogen. Während auf der Bühne über das, was Freiheit sein könnte sinniert wird, kann der Text sich schwer von Klischees befreien. Die Darsteller verwandeln sich erst in Amöben, dann in Frösche, um anschließend – gleichsam chaotisch, zu Hunden und Wölfen zu mutieren. Dabei gewinnt man den Eindruck, dass die Studenten ihr gesamtes Können auf der Bühne zur Schau stellen wollten – es wird getanzt, gesprochen und gesungen. Eine Erkenntnis könnte in den letzten Zeilen des Stücks gefunden werden, in denen die Darsteller die These aufstellen, ihre Generation habe die Verbindung zur Realität verloren und sei daher nicht wirklich in der Lage zu verstehen, was Freiheit bedeute und wovon es sich nun eigentlich zu befreien gelte. Gelingt es, die Verwirrung der ersten Viertelstunde zu überwinden, lässt sich aus dem Stück ebendiese Konfrontation der jungen Generation mit dem Begriff der Freiheit und die damit verbundenen Zweifel herauslesen.
Verschlankte Rhapsodien
Man hätte schwerlich eine passendere Umrahmung für die Eröffnungsveranstaltung in der Evangelischen Stadtpfarrkirche finden können als das von Alexandru Tomescu und Dragoș Ilie dargebotene Konzert. Zunächst begrüßte Festivaldirektor Constantin Chiriac die Festgemeinde, im Anschluss ergriff die Bürgermeisterin von Hermannstadt/Sibiu, Astrid Fodor, das Wort. Auch (inzwischen Ex-)Außenminister Emil Hurezeanu, Ramona Chiriac, Leiterin der Vertretung der Europäischen Kommission in Rumänien und Raluca Turcan, Mitglied der Abgeordnetenkammer hielten Grußworte.
Alexandru Tomescu gilt als einer der herausragendsten Geiger Rumäniens. Sein Können brachte ihm eine der wichtigsten Anerkennungen seitens des rumänischen Staates ein: ihm wurde die bekannte Geige Elder-Voicu Stradivarius 1702 überlassen. Dass man Rhapsodien, die für ganze Orchester komponiert wurden, lediglich mit einer Geige und einer klassischen Gitarre gerecht werden kann, stellten beide Musiker an diesem Abend unter Beweis. Das Programm umfasste mehrere Rhapsodien von Gershwin – darunter die bekannte „Rhapsody in Blue“ – und beide Rumänische Rhapsodien von Enescu. Tomescu leitete jedes Stück ein, indem er Kontext und Entstehung umriss. Das künstlerische Können der Musiker zog das Publikum so sehr in seinen Bann, dass man in den musikalischen Pausen das Fallen einer Nadel auf den steinernen Boden der Kirche hätte hören können.
Der ausgewanderte Chatbot
Ausgehend vom Konzept, Text und Regie von Helgard Haug und Daniel Wetzel kann „Futur4“ des Rimini-Protokolls als ein Crash-Kurs im Bereich KI betrachtet werden: „Rimini-Protokoll entwickeln ihre Bühnenstücke, Interventionen, szenischen Installationen und Hörspiele oft mit Experten, die ihr Wissen und Können jenseits des Theaters erprobt haben. Außerdem übersetzen sie gerne Räume oder soziale Ordnungen in theatrale Formate“, heißt es auf der Homepage des für dokumentarisches Theater bekannten Projekts. Dies spiegelte sich auch im Stück „Futur4“ wider: Die 68-jährige Ursula Gärtner, eine aus Kronstadt/Bra{ov Ende der 70er Jahre ausgewanderte Siebenbürger Sächsin, führt das Publikum anhand der eigenen Biografie mittels Bildern, Briefen und Erzähltem in das Dilemma eines Lebens zwischen den Welten ein. Ihr Gegenüber Xenia Klinge, Expertin für Computerlinguistik, baut während des Stücks einen Chat-Bot auf, den „Ursula-Bot“, der sich zur dritten Bühnengestalt entwickelt. Die Handlung wirkt wie ein Wohnzimmergespräch zwischen zwei Generationen. Zugleich bieten die technischen Details, die Xenia liefert, einen Einstieg für jemanden, der sich mit KI noch nicht beschäftigt hat. Das Stück geht der Frage nach, inwieweit der Ursula-Bot künftig der frisch geborenen Enkelin der Hauptprotagonistin ein realistisches Bild der Person und Biografie ihrer Großmutter wird übermitteln können. Die Fragestellung bleibt jedoch auf einer eher oberflächlichen Ebene. Die Protagonisten stehen anhaltend im Dialog mit dem Publikum, das ebenfalls in das Gespräch mit dem Bot einbezogen wird. Jenseits mancher historischer Ungereimtheiten kann Ursulas Biografie als exemplarisch für viele der Schicksale der Siebenbürger Sachsen im 20. Jahrhundert betrachtet werden. Schauspieltechnisch ist „Futur4“ kein typisches Theatererlebnis, vielmehr hat hier „Oral-History“ eine szenische Umsetzung gefunden. Die Konsequenzen des Themenkomplexes „Mensch-KI“ und die damit verbundenen Fragen werden jedoch nur angeschnitten und liefern vielmehr den Rahmen für Ursulas Biografie.
Excuse me, Mr. Schmitt
Wenn man die Möglichkeit dazu hat, sollte man eine Begegnung mit Éric-Emmanuel Schmitt nicht verpassen. Der französisch-belgische Schriftsteller trat am Sonntagmittag, den 22. Juni, im Spiegelsaal des Demokratischen Forums seiner Leserschaft gegenüber. Dank der gekonnten Moderation von Ionuț Sociu wurden die wesentlichen Themen des Schaffens des Theater- und Romanschreibers zur Sprache gebracht: Bekannt ist er neben seinen Theaterstücken für seine großen Romanzyklen. Schmitt beschreibt sich selbst als „Philosoph, der sich entschlossen hat, Fiktion zu schreiben, um so Philosophie zu betreiben.“ Leben und Tod ist in seinen literarischen Werken ein immer wiederkehrendes Thema. Dazu erklärte der Schriftsteller: „Es ist wunderbar, dass ich sterblich bin. Leben und Tod sind für mich das gleiche Geschenk. Die Unsterblichkeit ist steril.“ Ein besonderes Augenmerk fiel auf die für ihn lebensverändernde Wüstenwanderung, die er 1989 in der Sahara unternahm: „Ich ging als Atheist in die Wüste und kam als Glaubender wieder heraus. In meinem Leben hat sich alles geändert. Alles hat sich harmonisiert: Kopf, Herz, Seele... danach fing ich an zu schreiben.“ Eine Kostprobe seiner Schreibkunst war die Vorführung seines jüngsten Theaterstücks „Mozart & Mozart“ als szenische Lesung. Im Stück liegt der Akzent auf der Vater-Sohn-Beziehung zwischen Leopold und Amadeus. „Leopold war ein für seine Zeit mehr als moderner Mann. Beispielhaft die Erziehung, die er seinen Kindern gab“ erklärte Schmitt im Anschluss an die Vorstellung. Gekonnt erweckten die drei Schauspieler des Radu-Stanca-Theaters die zahlreichen Gestalten des Stücks zum Leben. Der Körpersprache des Schriftstellers war leicht anzusehen, dass er selber das Erlebte genoss, auch wenn so manche Szene aus Zeitgründen wegfallen musste, wobei jeder Eingriff in den Text mit einem „Excuse me, Mr. Schmitt“ in Richtung des Autors begleitet wurde. Dazu bleibt nur die Frage: Excusez-nous Monsieur Schmitt – quand est-ce-que vous revenez à Sibiu? Aber das Festival geht weiter. Und weitere Höhepunkte warten.
„FITS 2025 Streiflichter –Teil 2“ folgt nächste Woche.