Die Geschichte der Bukarester Familie Greceanu („Povestea unei familii din Bucureşti. Grecenii“) beschreibt Victoria Dragu Dimitriu in ihrem jüngsten veröffentlichten Buch, durch das die sinnvolle Reihe der Ermittlungen, Erkundungen, Erwägungen in Bezug auf all die vielen kleinen oder eben größeren verstaubten persönlichen wie überpersönlichen Geschichten weitergeführt wird, die gleichsam seit je auf den Straßen von Bukarest herumliegen und die dann, wenn sie – wie hier – mal aufgehoben werden, eine bemerkenswerte Seite der nur selten in ihrer ganzen Breite erfassten umfangreicheren Geschichte dieser Stadt ausmachen.
Doch Bukarest ist leider eine Stadt, der ihre Einwohner viel Unrecht tun und nur wenig Liebe entgegenbringen, so der Klappentext. Ob dem wohl abzuhelfen ist?
Eine ganze Menge still widerspiegelter Geschichtlichkeit liegt bereits längst in Dimitrius Arsenal vor. „Bukarester Damengeschichten“, „Bukarester Herrengeschichten“, „Weitere Bukarester Damen- und Herrengeschichten“, „Die Geschichten eines Herrn aus Bukarest“, „Damen und Herren an Bukarester Scheidepunkten“, „Bukarester Standbilder- und Brunnengeschichten“ (Titel und Auszüge in der Übersetzung des Autors, Anm. d. Red.). Eine stimmungsvolle Einfühlung in das, was mal war.
Eine in sich zusammenhängende Vervollständigung des Diskurses rund um das Thema Identitätsverlust und Selbstbewusstsein. Eine Wiedergutmachung.
„Der Krieg war lägst zu Ende, doch wir schufteten wie Leibeigene (in russischer Gefangenschaft). Die Russen sagten uns: ‘Ihr werdet hier verrecken’.“
Und nach Radu Greceanus Rückkehr 1948? Ein kleines Wunder: Sein Vorgesetzter, der nie an Greceanus Tod glauben wollte, hielt für ihn immer noch die alte Stelle beim Staatsarchiv bereit. Die Verfolgung von Seiten der kommunistischen Behörden blieb ihm dabei freilich ebenso wenig erspart wie seiner Frau. Keine „gesunden Wurzeln“, keine gesunde Abstammung.
Das Geschlecht der Greceanu hat sich mehrfach stillschweigend in den Alltag der Bukarester eingeschrieben. Es gibt ein paar Straßen, die den Namen tragen, bis um das Jahr 1900 herum kehrte man sogar in der Greceanu-Herberge ein, und schon im siebzehnten Jahrhundert gab eine Greceanu-Chronik Aufschluss über das Bukarest der Brâncoveanu-Zeit.
Eugenia und Radu Greceanu, die Architektin und der Historiker: Exponenten der „anderen“, des „Klassenfeindes“, derjenigen, denen man nach 1945 ihren Besitz wegnahm – aber nicht die Bildung. Ein Glück für uns, die Nachgeborenen, dass sie nun im Gespräch weitergeben, was man ihnen nicht wegnehmen konnte. „Das ist ihre Geschichte, ihr Buch“, schreibt Victoria Dragu Dimitriu im Vorwort. Ein Zeugnis wird abgelegt, ein Profil umrissen, ein Schicksal nachvollzogen, das Bild einer Stadt entworfen, so wie sie war – oder eben so wie sie in der Erinnerung weiterlebt. Die Genealogie einer Stadt und der Menschen und Bauten, die sie ausmachen.
Mal erzählt der eine, mal die andere, mal sprechen sie miteinander, mal mit ihrer „offiziellen“ Gesprächspartnerin. Mal geht es ums Überleben, mal ums Sterben, mal ums Zerstören, mal ums Retten. Ein hohes Tier der späten Siebziger gratuliert Eugenia Greceanu beiläufig mit dem Attribut „apokalyptisches Biest“, was Radu Greceanu als unpassend empfindet. Noblesse oblige.
„Jeni, mit diesen Bezeichnungen bin ich nicht einverstanden. Es ist nicht unbedingt nötig, dass du sie verwendest.
Ich will sie aber verwenden, denn sie treffen genau zu.“
Reflektionsfreudige Menschen im Wirbel historischen Geschehens. Mal geht es um die griechischen Wurzeln des Greceanu-Geschlechts, mal um den Petrusdom, mal um die Wahlverwandtschaften, mal um den Neorumänismus. Oft genug finden die zwei in der Tat Worte, die ins Schwarze treffen.
Was sehen wir auf diesem Bild? Ungefähr so fangen viele der in diesem Band vereinten Geschichtslektionen an. Oder: Das war vor der Demolierung, das war nach der Demolierung ... kurz nach der Entlassung aus dem Gefängnis ... Direktion für Denkmäler, Kulturministerium, sozialistische Bildung, Familienangelegenheiten, städtisches Lebensgefühl. Ein Wirrwarr. Und zwei Menschen, die den Faden sehen, den Diskurs einer Geschichtlichkeit meistern, die jahrzehntelang an ihrer inneren Architektur, an ihrem Leben, an ihrem rückblickenden Erwartungshorizont gerüttelt hat. Das Gespräch wird in einem angemessenen Rhythmus geführt.
„Zu diesem Kapitel (‘Gesetze und Architekten’) hat Jeni mehr zu sagen. Ich werde mich wieder damit begnügen, Ihr Gespräch mit anzuhören. Ich blättere in diesen Zeitschriften hier herum und höre Ihnen zu.“
Keine Statisten, sondern Menschen, die auch das Zuhören erlernt haben. Menschen, die vorzüglich dann sprechen, wenn sie was zu sagen haben. Menschen, die ein fürchterliches Zeitalter überdauert haben und jetzt mit ihrem unermesslichen Schatz an Lebenserfahrung, an Lebensweisheit auf uns zukommen. So war das – und eine gewisse Subjektivität in der Formulierung von Erinnerungen muss natürlich in Kauf genommen werden. So war das. Die Authentizität der Erzählweise ist überzeugend.
Auf dem Umschlag: das Kloster Antim, 1899 von Petre Antonescu mit Pinsel und Farbe gekonnt wie für das 21. Jahrhundert festgehalten. Am Ende des Buches: Familienfotos, Porträts, Skizzen, ein Grundriss des Klosters Antim, eine Luftaufnahme des Klosters. Zweckmäßiges Begleitmaterial zum Gespräch.
Was tun mit einer solchen Textmasse aus der Vergangenheit eines Geschlechts, einer Stadt, eines Landes, eines Lebens? Begnügen wir uns erst einmal damit, das Gespräch mit anzuhören. Blättern wir uns durch ein Buch, durch eine Geschichte, durch eine gelebte Wirklichkeit, die zwei – oder sagen wir mal drei – Menschen gehört. Vielleicht sind es aber auch mehr.