In diesem Jahr feiert die ganze Musikwelt den 200. Geburtstag Richard Wagners, der im Jahr der Völkerschlacht zu Leipzig (1813) in dieser Stadt das Licht der Welt erblickt hat. Ein Journalist behauptete kürzlich überspitzt, „…über keinen Menschen wurde bisher so viel geschrieben wie über Richard Wagner, …ausgenommen vielleicht Jesus und Napoleon.“ Noch zu Lebzeiten dieses Komponisten, schon in seinem jugendlichen Alter, hat man sich über dessen theoretischen und musikalische Schöpfungen gestritten: Es gab Befürworter und Gegner dieser neuen Musikrichtung. Diese Auseinandersetzungen fanden damals im gesamten deutschsprachigen Kulturraum statt, also auch im Banat und in Siebenbürgen.
Man konnte in den deutschsprachigen Tageszeitungen Temeswars oder Hermannstadts Berichte über Wagner-Aufführungen in Wien, Budapest oder Bayreuth lesen und gleichzeitig die nur zaghaft vollzogene Anerkennung von Wagners Musik auch im damaligen Ungarn mitbekommen. Umso mehr wurde der Lieblingskomponist Adolf Hitlers nach 1933 von den Deutschen im Banat und in Siebenbürgen gefeiert und sein Schaffen bei Heldenehrungen und Kraft-durch-Freude-Veranstaltungen gewürdigt. Grund genug also, die Rezeption von Wagners Schaffen im südosteuropäischen Raum etwas näher zu betrachten.
Richard Wagner als Gast bei Graf Nakó
Graf Kálmán von Nakó (1822-1902) hatte außer seinem Kastell im Banater Großsanktnikolaus auch in Budapest, Wien und Schwarzau Besitztümer. Dessen Frau, Gräfin Berta von Nakó, geborene Gyertyánffy de Bobda (1819-1892) war eine begnadete Malerin, deren Marienbild man in der katholischen Pfarrkirche von Großsanktnikolaus auch heute noch bewundern kann. Außerdem spielte sie gut Klavier und gründete in Großsanktnikolaus ihre eigene Zigeunerkapelle, mit der sie gemeinsam in Konzerten aufgetreten ist. Ihr Name war den bedeutendsten Musikgrößen jener Zeit, wie Franz Liszt, Giacomo Meyerbeer und nicht zuletzt Richard Wagner ein Begriff. Selbst Fürstin Metternich und andere Adelige Europas schätzen diese Frau, ihre künstlerische Begabung und ihre ausstrahlende Persönlichkeit.
Für Richard Wagner war die Begegnung mit Berta von Nakó so wichtig, dass er darüber am 13. September 1861 von Wien aus an Mathilde von Wesendonck in einem Brief ausführlich berichtet hat. Fürst Rudolph Liechtenstein hat ihn nämlich auf den Landsitz des Grafen Nakó nach Schwarzau eingeladen, wo er das Grafenpaar kennengelernt hat. Schon die Einrichtung des Schlosses weckte die Aufmerksamkeit Wagners: „Die Gräfin, eine Dame am Ende der dreißiger Jahre, mit überraschend geistvollem großem schwarzen Auge, ist berühmt durch ihr eigenthümliches musikalisches Naturtalent; sie hält sich eine Zigeunerkapelle als musikalische Hauskapelle, setzt sich zu ihr ans Klavier und phantasiert mit den Leuten Stundenlang das wunderbarste Zeug. Ich fürchtete in ihr Exaltation, vielleicht Affectation antreffen zu müssen: ihre Haltung beruhigte mich bald. Besser noch belehrten mich über den Ernst ihres Schönheitssinnes mehrere staunenswürdig ausgeführte Copien schönster van Dyck´scher Porträts, von denen sie mir sagte, dass sie ihr viel Mühe gekostet haben, dass sie leider auch in der Malerei nichts Ordentliches gelernt. Etwas Ähnliches wie ihr Atelier habe ich noch nicht gesehen. (…)“
Leider war die Zigeunerkapelle der Gräfin damals gerade in Ungarn, genauer in Großsanktnikolaus, deshalb zeigte sie Wagner gleich am Klavier, wie sie mit ihren Musikanten stundenlang gemeinsam improvisiert. Wagner charakterisierte ihr Spiel so: „Dies war sehr originell und fesselnd. Bald mischte sie Motive aus Lohengrin hinein: da musste endlich auch ich ans Klavier. Ich freute mich der schönen Stille, mit der Alles aufgenommen wurde.“
Der Graf wird von Wagner als ein „schöner Ungar von echtem Schlage“ beschrieben, der dem Besucher versicherte, dass er der größte Anhänger seiner Musik in Ungarn und in Wien sei. Beim Frühstück waren auch die ungarischen Magnaten Zichy und Almásy zugegen und Wagner störte es, dass diese Herren nur über ihre Pferdezüchtungen sprachen. Schließlich reiste er weiter, um in Mödling bei Wien seinen Solisten Ander zu treffen, der in der Wiener Aufführung des „Fliegenden Holländers“ gesungen hat.
Diese Begegnung war für Richard Wagner in bester Erinnerung geblieben, weshalb er darüber sogar nach vielen Jahren in seiner Autobiografie „Mein Leben“ berichtet hat. Hier schreibt er, dass Fürstin Metternich ihm bereits in Paris die Familie des Grafen Nakó in Wien empfohlen hat, „…von dessen Frau namentlich sie mir in bedeutungsvollem Sinne sprach.“ Er nennt Berta eine „Art von kultivierter Zigeunerin“, deren Mal- und Musiziertalent er bewundert hat. Am Klavier spiele sie „…nur Zigeunerweisen mit allerechtestem, wie sie sagte, von Liszt verfehltem Vortrage.“ Diese Behauptung Wagners beweist, dass Berta von Nakó Liszt kannte und besonders seine „Ungarischen Rhapsodien“ schätzte, komponiert nach ungarischen Motiven. Zwei Jahre davor (1859) erschien nämlich in Paris Liszts Buch „Die Zigeuner und ihre Musik in Ungarn“. Es gibt Behauptungen, dass Berta selbst eine Zigeunerin gewesen sein soll, die in der Großsanktnikolauser Grafenfamilie adoptiert wurde. Die Aussage Wagners untermauert diese Behauptung.
Seinen Besuch bei den Nakós quittierte Wagner mit der Feststellung: „Ich lernte hier die Tendenz einer freimütigen ungarischen Gastfreundschaft kennen. (…) Leider hatte ich mich bald zu fragen, was ich unter diesen Leuten zu tun haben sollte…“ – ausgenommen das gemeinsame Musizieren mit Berta von Nakó. Und diese ungarische Gastfreundschaft wird Wagner zwei Jahre später (1863) in Pesth erfahren, wo er einige Konzerte dirigieren wird.
Seine Konzerte des Jahres 1861 in Wien erbrachten jedenfalls keine großen Einnahmen und selbst mit der finanziellen Unterstützung seitens der Grafenfamilie Nakó konnte er seine Situation – bedingt auch durch seine persönlichen hohen materiellen Ansprüche – nicht verbessern und verließ tief enttäuscht die Stadt.
Franz Liszt, der Freund, Förderer und später auch Schwiegervater Richard Wagners, hat die Gräfin Berta von Nakó bereits 1856 in Paris kennengelernt. Auch er war von ihrer Persönlichkeit begeistert und berichtete euphorisch in einem Brief wie folgt: „Weil ich jetzt in Fahrt bin, über Volkslieder und alte Weisen zu sprechen, erzähle ich Ihnen nun, wie ich mit einer charmanten jungen Frau Bekanntschaft gemacht habe, der Gräfin von Nakó, die in bezaubernder Art und mit der ihr eigenen Leidenschaft und mit Talent Zigeuner-Weisen spielt.
Auf eigene Kosten unterhält sie auch eine kleine Künstler-Truppe von Zigeunern (aus dem Banat), die sie kürzlich vor Meyerbeer auftreten ließ. Bei meiner Ankunft waren sie schon wieder weg, ich hatte aber keinen Grund, es zu bedauern, da Frau Nakó alleine einer Horde von Zigeunern gleicht. Darüber hinaus beschäftigt sie sich nicht ohne Erfolg mit Malerei, und ich habe mehrere ihrer Portraitstudien (Ölbilder) gesehen, die mir gut gelungen zu sein scheinen. Kurz gesagt, sie ist eine Löwin, die mehr als ihre Vorgängerinnen einen ziemlich ausgeprägten Kunstsinn hat. Letzten Sommer war sie in Paris (wo sie gut mit Frau Kalergis bekannt wurde) und wird im nächsten Frühling dorthin zurückkommen, nach einem Aufenthalt in Brüssel.“