Wagnerkonzert in Temeswar abgelehnt
Im Jahre 1887 wandte sich Impresario Jules Sachs aus Berlin an August Pummer (1837-1893), dem Vorsitzenden des Temeswarer Philharmonischen Vereins, mit einem Angebot, in der Banater Metropole ein Wagnerkonzert mit erstklassigen Interpreten zu veranstalten. Dazu gehörten Solisten der berühmtesten Opernhäuser der Welt, aus New York, Stuttgart, Kassel, Prag. Er wies in seinem Schreiben darauf hin, dass in der damals 36.000 Einwohner zählenden Stadt Temeswar das „deutsche Element“ zahlreich vertreten sei und einen großen Saal bestimmt füllen würde. Doch Pummer lehnte dieses verlockende Angebot ab mit der Begründung, dass er dieses Konzert in keinem Fall akzeptieren könne, da er den Geschmack des Publikums kenne und dieses Wagner-Konzert keinen Erfolg haben kann.
Doch diese Einstellung des Temeswarer Publikums wird sich in wenigen Jahren grundlegend ändern. In den folgenden Jahren werden durch den Temeswarer Philharmonischen Verein viele Wagner-Kompositionen aufgeführt, darunter Teile aus „Rienzi“, „Lohengrin“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Der fliegende Holländer“, „Walküre“, „Parsival“, „Tristan und Isolde“. Teile aus dem „Fliegenden Holländer“ hat der Chor in ungarischer Sprache gesungen, was damals in Ungarn üblich war. Selbst der Präses des Temeswarer Philharmonischen Vereins, August Pummer, hat in vielen Konzerten Arien aus Wagner-Opern gesungen. Er war ein begnadeter Bass-Bariton und ein eifriger Förderer der Banater Musikszene seiner Zeit. So trat er als Solist am 18. Mai 1873 im alten Orawitzaer Theater anlässlich des gemeinsamen Konzertes des Temeswarer Philharmonischen Vereins und des Orawitzaer Musik- und Gesangvereins auf und sang die „Hymne an den Abendstern“ aus Wagners „Tannhäuser“. Auf seinem handgeschriebenen Libretto dieser Oper notierte jemand die Bemerkung: „Herrn August Pummer, ein Herr ohne Sorg und Kummer.“
Dem Temeswarer Beispiel folgten auch andere größere Musik- und Gesangvereine in Werschetz, Orawitza, Lugosch, Arad und Karansebesch. Für den Vortrag der Orchesterteile mussten meist zahlreiche Musiker der örtlichen Militärkapellen verpflichtet werden, da die damaligen Opern- und Sinfonieorchester aus kleineren Besetzungen bestanden. Es erklangen dabei auch neue Kompositionen, wie z. B. Zellners „Potpourri aus Richard Wagners sämtlichen Werken“ und Hamms „Erinnerungen an Richard Wagner“. Selbst Teile der Oper „Der Bärenhäuter“, komponiert von Siegfried Wagner, dem Sohn Richard Wagners, wurden in einer Fassung für Klavier zu vier Händen von Eugen Schürger und Árpád László vorgetragen. Erst im Jahre 1907 fand im großen Saal der städtischen Redoute ein reines Wagner-Konzert statt, das der Kammersänger Hermann Winkelmann von der k.u.k. Hofoper in Wien gemeinsam mit dem Klaviervirtuosen Oskar Dachs gegeben hat.
Jarosys Wagneriana
Der Temeswarer Domkapellmeister und Musikwissenschaftler Desiderius Jarosy (1882-1932) widmete Richard Wagner im Jahre 1908, anlässlich des 25. Todestages des Komponisten, ein kleines Büchlein in ungarischer Sprache mit dem Titel „Richard Wagner als Musikdramaturg“. Einen Vortrag darüber hielt er am 28. November 1908 im Rahmen eines Wagner-Konzertes, das vom Temeswarer Philharmonischen Verein und Solisten im großen Redoutensaal der Stadt gestaltet wurde.
Die Musikkapelle des 29. Regiments spielte unter der Leitung des verdienstvollen Kapellmeisters Wenzel Josef Heller Teile aus Wagners Opern „Die Meistersinger“, „Der fliegende Holländer“ und „Lohengrin“, die Sopranistin Blanda Heller sang einige Arien, der Pianist Eugen (Jenö) Schürger spielte Opernparaphrasen nach Wagner-Opern von Franz Liszt und der Männerchor des Philharmonischen Vereins trat mit Chören aus dem „Tannhäuser“ auf.
Jarosy wird nach dem ersten Weltkrieg auch in seiner deutschsprachigen „Banater Musik-Zeitung“ (später unter dem Titel „Musikalische Rundschau“ erschienen) über Richard Wagner mehrere Artikel veröffentlichen. So erschienen 1924 die beiden Artikel „Verdi und Wagner“ (von Adolf Weiszmann) und „Bruckner bei Richard Wagner“ wie auch zahlreiche Berichte über Wagner-Konzerte weltweit, Anekdoten und Zeitzeugenberichte. Im Jahre 1925 schrieb Jarosy eine längere Würdigung über Cosima Wagner, die Ehefrau Wagners und Tochter Liszts.
Jarosy hat sie persönlich anlässlich seiner Reise zu den Opernfestspielen in Bayreuth kennengelernt. Cosima Wagner wird hier als eine kranke, alte Frau dargestellt, die ihre letzten Tage erlebt: „Vielleicht noch ein letzter, schwerer Atemzug und Cosima Wagner wandelt in die Ewigkeit. Das Herz, welches Isolde-Liebe inne hatte, pocht nun zum letzten Mal. Die Wahnfried-Villa wird tot, der Geist der über ihr schwebte, ist erstens in Richard Wagner, jetzt vielleicht zweitens in Cosima Wagner dahingegangen. In der Ewigkeit treffen sich zwei Geister: Einer wartet auf den Anderen… Jetzt ist sie vielleicht auch schon dort, wo nur die Ewigkeit waltet und hat das menschliche Wahnfried nun Siegfried Wagner überlassen…“ Doch Jarosy hat sich geirrt: Cosima wird noch fünf Jahre weiterleben und erst 1930 im hohen Alter von 93 Jahren zu Grabe getragen. Kurz vor ihrem Tod brachte die „Banater Deutsche Zeitung“ vom 5. Mai 1929 die Nachricht mit einem Foto, dass sie schwer erkrankt sei und dass es ihr zu verdanken sei, dass die Bayreuther Festspiele „uns bis auf den heutigen Tag“ erhalten blieben.
In Bayreuth entstand damals auch das berühmte Foto, das den Temeswarer Priester, Domkapellmeister und Musikwissenschaftler Desiderius Jarosy zeigt, hinter ihm stehend Graf Zichy.
Die musikhistorischen Forschungen Jarosys hat dessen Nachfolger, Desiderius Braun (1894-1940), ebenfalls Temeswarer Domkapellmeister, fortgesetzt. Er widmete Wagners Temeswarer „Tannhäuser“-Premiere aus dem Jahre 1866 in seinem Buch „Banater Rhapsodie“ ein eigenes kurzes Kapitel und berichtet auch über die „Lohengrin“-Aufführung aus dem Jahre 1898 an derselben Bühne, die vom damaligen jungen Dirigenten Bruno Walter (1876-1962) geleitet wurde.
In seinen Memoiren schildert Walter seine Schwierigkeiten, die er mit dem kleinen Temeswarer Opernorchester bei der Einstudierung von Wagners „Lohengrin“ hatte: „…Das Orchester war noch kleiner als in Preßburg, und wenn die Partitur geteilte Celli vorschrieb, erschien eine Falte der Verzweiflung auf der Stirn des einen, einzigen Cellisten, über den ich verfügte und der als wohlwollender Mann mich gern mit Doppelgriffen befriedigt haben würde, wenn es seine Technik oder die Möglichkeiten des Instrumentes erlaubt hätten. Ich suchte ihn von hoffnungslosen Versuchen abzuhalten, indem ich ihm zeigte, dass ich die zweite Cellopartie den Bratschen oder, falls sie dafür zu tief war, einem Fagott zugeteilt hatte, aber die gutgemeinten und schlecht ausgeführten Doppelgriffe wie die Verzweiflungsfalte erhielten sich bis zum Schluss der Saison.“ Trotz dieser Missgeschicke erinnerte sich Bruno Walter viele Jahre später (1956) in seinem Schreiben an das Temeswarer Deutsche Staatstheater aus Beverly Hills, Californien, gerne zurück an diese Zeit, die er in Temeswar verbracht hat: „Ihr gütiger Brief zu meinem achtzigsten Geburtstag hat mir die größte Freude gemacht. Welch ein schönes Gefühl für mich, dass die Söhne der Väter, die in der Zeit meiner dortigen Tätigkeit mich mit ihrer Zustimmung zu meinen Leistungen erfreut haben, diese Gesinnung mit so warmen Herzen fortsetzen…“ Bruno Walter wurde später ein bedeutender Dirigent und seine Wagner-Aufführungen und Einspielungen sind heute noch tonangebend.