Der schaurige Abenteuerroman „Dracula“ (1897) des irischen Schriftstellers Bram Stoker ist wohl der bekannteste seiner Art, denen die Vampirerzählungen der Romatik und des 19. Jahrhunderts zu Grunde liegen. Den blutrünstigen Roman lässt Stoker in Transsylvanien, also in den Karpaten, damals ein Teil des Königreiches Ungarn und damit ein Teil der k.u.k.-Monarchie Österreich-Ungarn, spielen. Einen erheblichen Anteil an diesem Werk haben die Ausführungen des Leibarztes der österreichischen Kaiserin Maria Theresia, Gerard van Swieten. Heuer ist sein 250. Todesjahr.
In Stokers Gruselroman „Dracula“ ist einer der Hauptcharaktere der Vampirjäger Van Helsing, der forschungsbeflissen den Spuren auf den Grund gehen will. Genau dieser mutige Mann aber spiegelt einen Lebensabschnitt des kaiserlichen Leibarztes, Gerard van Swieten, wieder. Dass der Mediziner gut 150 Jahre nach seinem Tod die Vorlage eines Romanhelden in einem Buch über eine blutsaugende Nachtgestalt werden sollte, hätte er sich sicherlich nicht träumen lassen. Doch bevor der im niederländischen Leiden Geborene zum „Vampirjäger“ avanciert, hat er eine durch und durch moderne, wissenschaftsgeprägte Medizinerausbildung erfahren. Gerard von Swieten, dessen adelige Eltern früh sterben, studiert in der Universitätsstadt Löwen und später in seiner Heimatstadt Leiden. Er ist so gut, dass er, wenn er nicht katholisch wäre, die Nachfolgestelle seines renommierten Lehrers Herman Boerhaave, eine Koryphäe auf dem Gebiet der damaligen Medizinwissenschaft, antreten könnte. Doch seine römisch-katholische Religionszugehörigkeit ist seinerzeit an einer protestantischen Universität ein großes Hindernis. So lässt van Swieten sich als Arzt und Privatlehrer in seiner Heimatstadt nieder. Durch seine Veröffentlichungen, die seine wissenschaftliche Weitsicht bezeugen, wird er in gebildeten Kreisen bekannt. Es kommt so zum gelegentlichen Schriftwechsel mit der Kaiserin Maria Theresia. Als ihm diese von der schweren Erkrankung ihrer Schwester, Anna von Lothringen, berichtet, bricht er auf, um dieser zu helfen. Ungeachtet seiner Behandlungen verstirbt die Adelige am Kindbettfieber. Trotz des Todes ihrer Schwester ist die Kaiserin von der wissenschaftlichen Vorgehensweise und dem umfassenden Wissen über die Zusammenhänge der Krankheitsbilder so beeindruckt, dass sie Gerard van Swieten 1745 zu ihrem Leibarzt bestellt. Hier kann er sich nun entfalten und zeigt, dass er nicht nur allein für die Kaiserin wirken will. Sein Beruf ist auch seine Berufung. Es wurde die Erste Wiener Medizinische Schule gegründet. Durch kaiserliche Hilfe lässt er ein chemisches Labor einrichten und kauft wissenschaftliche Bücher an, die neueste Erkenntnisse enthalten. Zum Wohle der Patienten führt Van Swieten den klinischen Unterricht ein. Direkt am Krankenbett wird nun zusätzlich gelehrt. Auch eine spezielle Hebammen-Schule lässt der Gelehrte einrichten. Mit seinen vielen kleinen und großen Umgestaltungen im Gesundheitswesen gewinnt die medizinische Fakultät an Ansehen. Lehre und Forschung, gerade im Gesundheitsbereich, werden massiv gefördert. Seine Erweiterung der Hofbibliothek, die die Kaiserin mit Aufmerksamkeit verfolgt, lassen ihn zum Vorsitzenden der Bücherzensur-Hofkommission für die habsburgischen Lande werden. Der kaiserliche Angestellte entwirft für die Zensurkommission einen Codex, indem er die Bewertung der erschienenen Bücher festhält. Werke, die er für schamlos erachtet, werden verboten. 1753 wird Gerard van Swieten in den Freiherrenstand erhoben. Zweifellos eine hohe Auszeichnung für den vielfachen Familienvater.
Als 1755 der Kaiserin gehäuft Berichte aus dem Osten ihres Reiches über vermeintliche Vampire, blutrünstige Tote, die doch nicht tot sein sollen, erhält, ist sie gewillt, diesem Aberglauben ein Ende zu bereiten. Dafür ernennt sie ihren Leibarzt, der sich gerade mit der Bekämpfung der Pocken und der Syphilis befasst, zum Kommissionsleiter der Expedition. Van Swieten geht auch in Mähren wissenschaftlich vor, dabei hat er die Vampirphantasien bereits vor seinem Reiseantritt als „Barbarei der Unwissenheit“ bezeichnet. Tatsächlich kann er vor Ort erklären, warum es zu den scheinbaren Phänomenen kommt. Gerard van Swieten kann natürliche Ursachen dafür ausmachen, dass tote Leiber, nach dem sie schon einige Zeit im Grabe lagen, an Bauchumfang deutlich zugenommen haben und weshalb einige Tote weiterhin eine rosa Hautfarben, gleich einem Lebenden, aufweisen können. Auch das Tropfen von Blut aus den Mündern einiger Verstorbener kann er medizinisch erklären. Nachdem der Monarchin der Bericht ihres medizinischen Kommissars mit dem Titel „Abhandlung des Daseyns der Gespenster“ vorliegt, schafft sie Fakten. Weil die abergläubische Bevölkerung in ihrem Vampirwahn Tote enthauptet, verbrennt oder sogar einen Pfahl durch den Oberkörper rammt, verbietet die Herrscherin diese vermeintlichen Abwehrmaßnahmen umgehend. Gerade seine von der Aufklärung geprägte Herangehensweise in Wissenschaft und Forschung machen den Leibarzt zu einem Vorbild. Der fromme Wissenschaftler zeigte schon vor knapp 300 Jahren, dass sich Glaube und Wissenschaft in Einklang befinden können und eben kein gegenseitiges Ausschlußkriterium darstellen. Kaiserin Maria Theresia war ihm jedenfalls sehr dankbar. Dies wird auch darin deutlich, dass sie betend an seinem Totenbett verweilt, als ihr Arzt 1772 seinen letzten Atem aushaucht.