Städte sind nicht nur Straßen, Beton und Häuser. Jedoch auch nicht nur Menschen, Geschichten und Katzen. Städte sind ein Geflecht aus all dem. Dazu gehören auch Geräusche, Gerüche und Farben. Eine Stadt ist also eine komplizierte Sache. „Ortswechsel Bukarest. Ein Stadttagebuch“, mit Bildern und Text von Arinda Crăciun (mit Übersetzung und Text von Eva Ruth Wemme) schafft es jedoch, mit wunderschönen Bildern und interessanten Texten ein breites und tiefes Bild der Stadt zu zeichnen.
Dabei fängt das Buch ganz persönlich an: „Endlich. Meine erste längere Reise nach Bukarest seit der Pandemie. (…) Bei der Ankunft entdecke ich die leuchtende neue S-Bahnstation OTOPENI am Flughafen. Wie gut, ich muss nicht mehr mit dem Bus in die Stadt.“ Daneben gibt es ein Bild von genau dieser Station. Das Buch behauptet, wie der Titel schon sagt, ein Tagebuch zu sein. Das heißt, man folgt einer Erzählerin durch die Stadt, die sie bereist.
Jedoch, wenn man die Struktur des Buches betrachtet, ist es gar nicht wirklich ein Tagebuch. Es ist viel eher ein Stadtporträt, denn nach den ersten Einträgen werden nach und nach so gut wie alle Viertel der Stadt akribisch abgearbeitet und vorgestellt, darunter Ferentari, Dorobanți, Mântuleasa, Pipera und so weiter. Auch die Calea Victoriei, der botanische Garten und die Piața Obor kommen vor.
Bei den einzelnen Orten wird zuerst tagebuchartig der Besuch vorgestellt und dann stets etwas zur Geschichte erzählt. Zum Beispiel: „Ich laufe den Bulevardul Dacia zur Strada Mântuleasa hinunter. Eine riesige Zwischenkriegs-Villa an der anderen, dann wieder Wohnblocks aus den Dreißigern. Ich versuche möglichst nur im Schatten zu gehen, es ist noch Mai, aber schon so heiß (…)“. Auf der nächsten Seite geht es um die Geschichte des Mântuleasa-Viertels: „Das Viertel hat seinen Namen wahrscheinlich von den beiden Schwägerinnen Maria und Stanca Manta (…)“.
Der Text ist stets umgeben von wunderschönen Zeichnungen, sodass man sich den Vierteln auf drei Ebenen nähert: auf bildlicher, auf erzählerischer und auf geschichtlicher.
Auf der erzählerischen Ebene verwendet der Text außerdem zahlreiche Zitate. Es werden unterschiedlichste Autoren herangezogen, die etwas über die Orte geschrieben haben, darunter unter anderem Mircea Cărtărescu, Lavinia Braniște, Gabriela Adameșteanu und Eugen Ionescu. Das gibt der erzählerischen Ebene deutlich mehr Tiefe: denn die Leser kriegen nicht nur Crăciuns Perspektive geboten – die stets sehr interessant und bildlich ist – sondern auch die von verschiedenen Autoren und gar historischen Persönlichkeiten.
„Wie Sankt Petersburg und Brasilia hat Bukarest keine Geschichte, es mimt sie lediglich. Der legendäre Architekt der Stadt hatte sich gefragt, wie eine urbane Ballung das schreckliche Schicksal der Menschheit, die überwältigende und hoffnungsferne Tragödie unserer Gattung besser, wahrer und tiefer reflektieren könnte. (…) Seine geniale Idee war, eine von allem Anfang an schon ruinierte Stadt zu bauen, die einzige, die von Menschen bewohnt werden musste“, so wird Cărtărescus Roman „Solenoid“ unter anderem zitiert.
Darüber hinaus hat Crăciun einen weiteren Schwerpunkt: die Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit Bukarests. Deswegen stellt sie unter anderem die jüdische, aus Bukarest stammende Künstlerin Hedda Sterne vor, die 1941 aus Rumänien fliehen musste. Auch Mihail Sebastian, der Tagebücher unter anderem über die Judenverfolgungen in der Stadt schrieb, wird ausführlicher präsentiert, so wie die jüdischen Viertel in der Stadt.
Alles in allem schafft das Buch der in Berlin lebenden Arinda Crăciun einen erstaunlichen Spagat: sowohl flaniert man entspannt mit der Erzählerin durch die Stadt und die wunderschönen Bilder, darüber hinaus kann ein jeder wahrscheinlich noch etwas Neues über die Geschichte der Stadt und der einzelnen Viertel lernen. Es ist ein einzigartiges Buch-Porträt, über eine einzigartige Stadt.







