Fotografien aus den Pariser Ateliers des großen Bildhauers Constantin Brâncuşi gibt es bereits seit dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, nachdem der im Jahre 1876 in Hobiţa geborene Rumäne als Kunststudent, Beiträger zu bedeutenden Ausstellungen und Mitarbeiter Auguste Rodins in der Pariser Hauptstadt Fuß gefasst hatte. Doch erst Jahre später begann Brâncuşi selbst damit, sein Atelier und die in ihm versammelten Werke fotografisch zu verewigen. Dies war nicht zuletzt einem Streit geschuldet, den der aufstrebende Bildhauer mit einem Fotografen hatte, der bei einem Fotoshooting im Atelier des Künstlers eine Bronzeskulptur Brâncuşis gepudert hatte, um unerwünschte Lichteffekte zu beseitigen. Doch gerade die Strahlkraft und der Glanz waren für Brâncuşi unverzichtbare Effekte seines bildhauerischen Schaffens, die er auch in das Medium der Fotografie hinüberzuretten wünschte. Nicht von ungefähr nahm er seit 1921 Unterricht bei einem Meister der fotografischen Kunst, bei dem amerikanischen Objektkünstler und Porträtfotografen Man Ray.
Die Bukarester Ausstellung, die derzeit und noch bis zum 29. Mai dieses Jahres in den beiden Kretzulescu-Sälen des Bukarester Nationalen Kunstmuseums zu sehen ist, zeigt insgesamt 40 Schwarzweißfotografien des großen rumänischen Bildhauers aus den Jahren zwischen 1912 und 1945. Sie reiht sich ein in ein Programm des rumänischen Kulturministeriums zum Gedenken an den in diesem Jahr begangenen 140. Geburtstag des rumänischen Avantgardisten und Repräsentanten der klassischen Moderne. Unterstützt wurde das Bukarester Kunstmuseum bei der Erarbeitung dieser sehenswerten Ausstellung vom Centre Georges Pompidou in Paris, das auch die beiden interaktiven Module bereitstellte, die im Ştirbei-Flügel des Kunstmuseums zu museumspädagogischen Zwecken für Kinder ihren Platz haben und die in die gegenwärtige Brâncuşi-Ausstellung integriert sind.
Die 40 Atelierfotografien Constantin Brâncuşis, deren Präsentation in der Bukarester Ausstellung keiner chronologischen Ordnung folgt, lassen sich in drei Gruppen einteilen: in fotografische Wiedergaben des Ateliers mit diversen Werkensembles; in Fokussierungen auf Einzelwerke; und in Selbstporträts des Künstlers in seinem Atelier. Dem Atelier Constantin Brâncuşis wachsen durch seine fotografischen Repräsentationen gleichsam metaphysische Qualitäten zu. Es wird zu einem Ort der ubiquitären Präsenz, des ewigen Anwesens jener Werke, die alleine und je für sich schon kanonischen Charakter haben. Das Atelier wird dadurch zum zeitlosen Archiv, zum Kanon des Kanons, das im Wechsel der Oeuvres Brâncuşis Oeuvre konstituiert.
In der Atelieransicht mit Fräulein Pogany II aus dem Jahre 1923 beispielsweise sind neben der titelgebenden Skulptur auch diverse Stein- und Metallkörper, Holzstrünke und Teile der unendlichen Säule zu sehen, neben einer kleinen profanen Blumenvase, die an das Irdische im Elysium des Kunstateliers gemahnt. Überhaupt spielt Brâncuşi in seinen Fotografien mit dem Gegensatz von Heiligem und Profanem, von ewiger Kunst und vergänglichem Alltag. Einmal ist da der Ausschnitt eines Ofenrohrs zu sehen, einmal der Teil einer Tür, einmal ein Sessel, ein andermal ein Hund, aber immer marginal und kaum bemerkt, wie eine Erinnerung daran, dass das Ephemere und Alltägliche letztlich doch mit zum Gesamtbild einer Kunstwerkstatt gehört. Einmal erhebt sich die unendliche Säule im Atelier in höchste Höhen, grell beleuchtet vom durchs schräge Glasdach einfallenden Sonnenlicht, ein anderes Mal verliert sie sich im Dunkel des Ateliers über ihr, als reiche ihre Spitze ins schwarze Nichts.
Zahlreiche Fotografien rücken ein einzelnes Kunstwerk ins Zentrum des Bildes, das gleichwohl von anderen Meisterwerken satellitengleich umrahmt wird. So präsentiert die Atelieransicht mit Fisch aus den Jahren 1930-1933 zugleich eine Reihe anderer Skulpturen Brâncuşis wie die unendliche Säule, den Vogel im Raum oder Neugeborenes II. Es scheint, als bildeten die Skulpturen Brâncuşis in seinen Atelierfotografien ein Orchester, in dem in wechselnder Besetzung musiziert wird und in dem einzelne Stimmen abwechselnd hervor- und wieder zurücktreten. Besonders interessant sind jene Fotografien, in denen ein – zumeist aus Metall gefertigtes – Kunstwerk Teile des Ateliers in sich widerspiegelt. Die betreffende Skulptur erscheint dabei als ein zweites Auge: Im Einzelwerk schlägt das Atelier gleichsam sein Auge auf und versammelt in sich die Gesamtheit jener Objekte, die ihm ins Auge fallen. Den Höhepunkt bildet dabei gewiss die „Blonde Schwarze“ betitelte Fotografie aus dem Jahre 1926. Im Oval des Gesichts, in den aufgeworfenen Lippen und im Haarknoten der abgelichteten Bronzeskulptur widerspiegelt sich mandorlahaft das gesamte Atelier des einzigartigen rumänischen Bildhauers.
Viele Atelierfotografien zelebrieren den Gegensatz von Licht und Schatten, spielen mit den daraus resultierenden Effekten, zum Beispiel die Fotografie „Hähne und Der König der Könige“ aus den Jahren 1930-1945, wo der schräge Lichteinfall das geriffelte Obergewand des Königs optisch ein zweites Mal modelliert, oder die Fotografie „Der Vogel im Raum“ aus dem Jahre 1930, wo die schmale nach oben strebende Figur wie eine Leuchtröhre wirkt, die von innen heraus erglüht. In ähnlicher Weise präsentiert Brâncuşi in seinen Fotografien auch Einzelwerke, völlig aus ihren Atelierbezügen gelöst und ganz alleine in sich ruhend, wie etwa Leda, Prinzessin X, Fräulein Pogany I, Neugeborenes II oder Die Wunderreiche (Măiastra).
Eine Folge von sechs Selbstporträts beschließt den Reigen der Atelierfotografien des rumänischen Meisters. Ihrer Natur nach wirken sie gestellt und ordnen sich so in das Stilllebenhafte der in der Bukarester Ausstellung gezeigten Fotografien ein. Einmal blickt der Künstler, mit verschränkten Armen auf dem Tisch des Schweigens sitzend, frontal in die Kamera, ein anderes Mal schaut er wie zufällig von seiner Arbeit auf, dann wieder lehnt er gegen einen unbehauenen hellen Steinblock, mit seinem weißen Leinenkittel einen wunderbaren Kontrast zu den dunklen Holzelementen im Hintergrund bildend, ein weiteres Mal hält er inne, während er einen mächtigen Holzbalken durchsägt, dann wieder sitzt er, aus dem Bild herausblickend, auf einer Holzkonstruktion oder verschwindet schließlich mit seinem Gesicht und den arbeitenden Armen und Händen fast gänzlich im Dunkel seines Ateliers. Das vielleicht schönste Bild der Ausstellung ist eine Fotografie aus den Jahren 1922-1923: Brâncuşis „Atelieransicht mit Marmorvogel“. Das hier abgebildete Atelier wirkt wie ein Schiffswrack unter Wasser, dessen versunkene Ladung reglos verstreut auf dem Meeresgrund ruht, und aus diesem subaquatischen Ambiente erhebt sich dann triumphierend der Marmorvogel, phönixgleich aufsteigend als Symbol der Kunst.