Meine Damen und Herren Richter,
verehrte Geschworene,
werter Herr Staatsanwalt und Anwesende!
Ich trete heute im Namen meines Mandanten Nikolaus Lenau auf und der drei Angeklagten, deren Namen mit Rücksicht auf die Hinterbliebenen nicht öffentlich genannt werden sollen, um zu zeigen, dass die vorgelegten Beweise der Staatsanwaltschaft weder ausreichend noch rechtlich tragfähig sind, um eine Verurteilung meines Mandanten wegen romantisierender Verherrlichung von Mord und Totschlag, aber auch wegen unterlassener Hilfeleistung zu rechtfertigen.
Davon kann keine Rede sein, wie zu beweisen sein wird.
Es ist die Tragödie, die uns Hiesigen das Blut in den Adern gefrieren lässt, es geht um Tod, Verderbnis und Zerstörung. Jeder Krieg, schrieb ich in einem Liedtext, ist längst verloren, bevor er überhaupt beginnt. Wer – außer der Staatsanwaltschaft – würde es bestreiten können, dass wir wieder mal in paradoxen Zeiten leben, in denen der Krieg das Ziel ist für Frieden.
Damit alle Anwesenden, die Vertreter der Systemmedien von Funk, Fernsehen und Presse, aber auch das Publikum in Kenntnis gesetzt sind, welches der Grund der eigentlichen Klage und der Gegenstand des heutigen Prozesses ist, sei das schriftliche Zeugnis, wie es überliefert wurde, jetzt öffentlich bekannt gegeben, und zwar genau in dem Wortlaut, wie es nach Verrat in einer der von der Regierung zusammen mit einer sogenannten NGO eingerichteten und finanzierten Meldestelle eingegangen ist.
Darüber und nur darüber gilt es heute zu richten.
Muss ich vorausschicken und darauf hinweisen, hohes Gericht: es ist nichts Geringeres als ein Gedicht?
Der Name des Verfassers und Angeklagten ist bekannt, es dreht sich um Nikolaus Franz Niembsch Edler von Strehlenau, österreichischer Spätromantiker, vor allem Lyriker, genannt Nikolaus Lenau.
Die Drei
Drei Reiter nach verlorener Schlacht,
Wie reiten sie so sacht, so sacht!
Aus tiefen Wunden quillt das Blut,
Es spürt das Roß, die warme Flut.
Vom Sattel tropft das Blut, vom Zaum
Und spült hinunter Staub und Schaum.
Die Rosse schreiten sanft und weich,
Sonst flöß das Blut zu rasch, zu reich.
Die Reiter reiten dicht gesellt
Und einer sich am anderen hält.
Sie sehn sich traurig ins Gesicht
Und einer um den anderen spricht:
„Mir blüht daheim die schönste Maid
Drum tut mein früher Tod mir leid.“
„Hab Haus und Hof und grünen Wald
Und sterben muss ich hier so bald!“
„Den Blick hab ich in Gottes Welt,
Sonst nichts doch schwer mirs Sterben fällt.“
Und lauernd auf dem Todesritt
Ziehn durch die Luft drei Geier mit.
Sie teilen kreischend unter sich:
„Den speisest du, den du, den ich.“
Soweit das Beweisstück, über und für das in diesem Gebäude juristisch und hoffentlich fair die Lanze zu brechen und Gerechtigkeit zu erwirken ist. Es sind nur 22 Verszeilen, die der Zeuge zu Papier gebracht hat, aber sie beschäftigen die Welt, zumindest die literarische, nun aber auch die juristische. Und, meine Damen und Herren Geschworene, machen Sie sich nichts vor: die Welt sieht uns zu und wird sich ihren Reim darauf machen, ob hier, in diesem hohen Hause, Recht gesprochen oder Recht gebrochen wird.
Natürlich will ich Sie von der nachvollziehbaren Unschuld meiner Mandanten überzeugen, aber nicht auf Kosten der Missachtung der Gesetze. Ich ziele auf Gerechtigkeit, baue auf Ihr Urteil.
Uns allen ist die zurecht kursierende Erkenntnis bekannt: vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Dennoch ist es mir als Anwalt im Laufe der Jahre nicht entgangen, dass es von Vorteil sein kann, ich betone kann, wenn man vor Gericht de facto im Recht ist.
Recht ist ein scheues Reh und schnell im Dickicht der Paragraphen versprengt, aber genau deswegen sind wir hier zusammengekommen, um das Recht aus dem Unterholz der Rechtsprechung zugunsten meines Mandanten herauszulocken.
Ich bitte um Nachsicht dafür, dass mein Plädoyer für die Unschuld meines Mandanten nicht in wenigen Sätzen beschreibbar ist. Ich will es so kurz wie möglich machen, aber auch davor warnen, dass 22 Zeilen unter Umständen – wie in unserem Fall – eine geballte Menge an Stoff darstellen, den es zu durchforsten, zu analysieren, zu bedenken, zu beurteilen und zu verteidigen gilt.
Dazu will ich alle Blicke lenken auf das unbeugsame Recht und den aufrechten Gang, ja auf die geradezu unumgängliche wie unverhandelbare Freiheit der literarischen Behandlung und Betätigung zur ästhetischen Aufarbeitung individueller oder auch gesellschaftlicher Bedrängnisse, Beschädigungen, Erlebnisse sowie existentieller Gefährdungen, von der mein Mandant Lenau lyrischen Gebrauch gemacht hat.
Niemandem dürfte es entgangen sein, dass die Korridore der Meinungsfreiheit sich in letzter Zeit besorgniserregend verengt haben, aber mit Aristoteles gesprochen: „Es ist, was ist!“.
Deswegen werde ich auch besonderes Gewicht auf die Grundprinzipien des Rechtsstaates legen, auf die Unschuldsvermutung für Schriftsteller und die Verhältnismäßigkeit von geführten Klagen sowie auf das Einklagen einer fairen Verfahrensführung und vernunftbetonten, klugen Beurteilung meines Mandanten und seiner Protagonisten in dem Gedicht „Die Drei“.
Dazu, hohes Gericht, ist es unerlässlich, neben den als Dreieinigkeit und wegen des Verdachtes gemordet zu haben ins Blickfeld der Rechtsprechung geratenen Reiter auch den einzigen Zeugen, den Beobachter der drei Angeklagten, also Mitwisser, und bedauerlicher-weise zu Unrecht Mitbeschuldigten, quasi den Überbringer der schlechten Nachricht, Nikolaus Franz Niembsch Edler von Strehlenau, als Dichter der Literaturgeschichte unter dem Namen Nikolaus Lenau bekannt, von dem Vorwurf frei zu sprechen, die Drei, des Mordes und der Zugehörigkeit zu einer vermuteten kriminellen Bande von Freischärlern verdächtigen, gesehen, belauscht und sie danach weder dem Bundesverfassungsschutz, noch der Amadeu-Antonio-Stiftung gemeldet zu haben, obwohl ihm bekannt gewesen sei, dass die Drei in blutige Auseinandersetzungen verwickelt gewesen sein mussten, sogar bei dem anonymen Petzer aus Nordrhein-Westfalen, auf dessen Denunziation sich die Staatsanwaltschaft stützt, im Verdacht stünden, nach „verlorener Schlacht“ desertiert, sich also – populärwissenschaftlich unterstellt – aus dem Staub gemacht zu haben, ihre Mitkämpfer im Stich gelassen, sprich, verraten zu haben. Um zu verhindern, dass dem Recht Unrecht getan wird, sehe ich mich genötigt, sehr geehrte Geschworene, auf einige rechtscharakterliche Notwendigkeiten zu rekurrieren. Zuvorderst will ich mich hier öffentlich darüber beschweren, dass es inzwischen wieder möglich ist, anonym anzuzeigen, im Klartext gesprochen, zu denunzieren.
Unschuldsvermutung und Beweislast
Im Vorfeld wurde in regierungsverbundenen Medien die Meinung geschürt, dass die Schuld meiner vier Mandanten feststünde, da drei von ihnen so schwer verwundet waren, dass das Blut von ihren Sätteln tropfte, was sie geradezu gezwungen habe, die Rosse in sachtem Schritt gehen zu lassen, anstatt im wilden Galopp davon zu preschen. Dadurch konnte mein anderer Mandant, Nikolaus Lenau, sie ganz genau beobachten und auch wirklichkeits- und wahrheitsgetreu beschreiben, wie sie „dicht gesellt / Und einer sich am anderen hält.“
Bis zum Beweis der Schuld gilt die Unschuld, auch für meine Mandanten, gegen die eine Anklage erhoben ist, mit ihrem Tun und Sein im Grunde im Untergrund die grundsätzliche Unterwanderung des Staates und ein Regime-Change zu betreiben. Sie würden, laut dem anonymen Kläger, für Kriege und Mord, Hass und Hetze werben, sie gar verherrlichen, Gewaltakte und Vergewaltigungen gegen Friedfertige nicht nur tolerieren, also billigen, sondern sie auch relativieren, verschleiern und obendrein – was besonders verwerflich sei – romantisieren, anstatt die Verbrecher knallhart anzuprangern, zu verurteilen und umgehend der Obrigkeit zu melden.
Was der Herr Staatsanwalt gegen das Gedicht und den Schriftsteller Lenau hier vorgetragen hat, dass sich die Gestaltungsgrenzen des Autors und Beobachters klar zeigten und die Selbstbespiegelung das Elend, das von blutigen Schlachten ausgehe, leichtsinnig verzerre, spottet jeder Beweisführung, festigt nur den klassischen Zweifel an der Schuldigkeit meiner Mandanten. Und im Zweifel, hohes Gericht, ist immer noch zugunsten des Angeklagten zu entscheiden.
Fehlende oder mangelhafte Beweise
Importierte oder indirekte Beweise, die nicht eindeutig kausal und direkt mit dem behaupteten Tatvorwurf des Mordens verknüpft sind, dürfen nicht zur Verurteilung führen. Vorsicht ist geboten: Zeugenaussagen können fehleranfällig sein. Ein sich anbietender Abgleich mit digitalen Spuren, forensischen Ergebnissen und Protokollen muss transparent und wiederholbar sein. Und der Herr Staatanwalt hat es versäumt, überzeugend Beweise zu sichern. In Wahrheit war es ihm gar nicht möglich, solche Beweise gegen meine Mandanten zu finden, ohne welche im Kurzschlussverfahren selbst zu konstruieren. Ergo, konnte er sich nur dubioser Andeutungen und schnell ausfransender Behauptungen bedienen.
Der Versuch der Staatsanwaltschaft, Nikolaus Lenau als „deutschen Byron“ zu ironisieren, erscheint nicht nur mir fragwürdig. Er wollte meinen Mandanten Lenau bei den Geschworenen in trübes Licht rücken. Die Behauptung – ich zitiere den zitierten Kritiker der Staatsanwaltschaft – „leidenschaftliche Lieder des Lebens- und Liebesrausches spielen zum Teil in der ungarischen Zigeunerwelt“ ist zwar in der Sache richtig, dennoch im heutigen gerichtlichen Kontext anrüchig, weil einige der Geschworenen sie durchaus als „Cancel Culture“ werten und als unzulässige Aneignung meinem Mandanten zur Last legen könnten, mit Verweis darauf, dass Lenau – notorisch und diffamierend – seine unbestrittene Dichtkunst dazu nutze, mehrfach, gezielt antiziganistisch, wehrlose Zigeuner ans Licht der Welt zu zerren, wie etwa auch in dem Gedicht „Die drei Zigeuner“ angeblich geschehen.
Der verehrte Herr Staatsanwalt kann leider nicht lesen, behauptet aber, es sei deutbar als übles Machwerk gegen Sinti und Roma gerichtet, könne darüber hinaus schädlicher Weise auch die ohnehin defizitäre Moral junger zugewanderten Männer aus anderen Kulturen bestärken, nicht zu arbeiten, sondern zu musizieren, in den Tag hineinzuträumen und Tage lieber spielend mit den Handys zu verbringen, anstatt sich emsig auf dem Arbeitsmarkt zu bewähren und in unsere Gesellschaft zu integrieren, egal ob als Dachdecker, Paketauslieferer, Müllmann oder Frauen-Fachärzte. Drei „Zigeuner-Lümmel unter einem Baum“, so drückte es der Herr Staatsanwalt in seiner Anklage diskriminierend aus, nehme sich mein Mandant vor, um sie bloßzustellen. Der eine fiedele sinnlos und ohne Zuhörer auf einer Geige, der andere hat die Pfeife im Munde und blickt faul und gelangweilt dem Rauch hinterher, während der Dritte die Zimbal an den Baum gehängt hat und am hellen Tage „behaglich schläft“, während „Über die Saiten ein Windhauch lief / Über sein Herz ein Traum ging.“
Doch anstatt Flucht vor Arbeit und – wie der Herr Staatsanwalt durchblicken lässt, der offensichtlich nichts von Musik und Kunst oder genüsslichem Reflektieren hält - unnützes Tun und Faulheit auf Kosten der Gesellschaft zu verurteilen, erdreiste sich mein Mandant, Herr Lenau, die drei vor sich hinlebenden Zigeuner unter dem blauen Himmel der Puszta noch in eine Art Burka aus hellblauer Bewunderung zu hüllen und mit einem verwerflichen Vierzeiler lobend zu bedenken:
„Dreifach haben sie mir gezeigt,
Wenn das Leben uns nachtet,
Wie man’s verraucht, verschläft, vergeigt,
Und es dreimal verachtet.“
Diffamierung, hohes Gericht, sieht anders aus. Es ist große Dichtkunst, mit der wir es hier zu tun haben, die musische Friedfertigkeit verherrlichend und romantisierend, nur kann, und vor allem dürfen solche Verszeilen nie und nimmer vor einem ordentlichen Gericht und vor klugen Geschworenen vom Staatsanwalt zum Verbrechen umgeframt werden, mit der Maßgabe, solche Verse umgehend zu zensieren oder umzuschreiben, weil sich der Dichter in seiner Maßlosigkeit und selbstverliehenen Herrlichkeit dazu aufschwinge, über andere zu richten, ohne realiter Richter zu sein. Dichter hin oder her, eindeutig oder plurivalent, das spiele alles für den damit erfüllten Tatbestand der Hetze keine Rolle, sondern sei eine indiskutable und verbotene Herabwürdigung und Verunglimpfung von Minderheiten, was strafbar sei.
Verfahrensmängel
Zu konstatieren, hohes Gericht, verehrte Geschworene, wäre zu all dem noch die Verletzung der Ordnungsgemäßheit des Verfahrens, z.B. mangelhafte Belehrung meines Mandanten im Zeugenstand, der am 13. August 1802 in dem zum Königreich Ungarn gehörenden Dorf Csatád geboren wurde, das heute unter dem Ortsnamen Lenauheim zu Rumänien gehört. Das Leben meines Mandanten war überschattet von einigen Verfehlungen, innerer Zerrissenheit und einer tieferen Ruhelosigkeit, genau wie auch jene Leben der drei Reitersoldaten, bevor sie in die Schlacht gezogen sind. Ihr imaginärer Beobachter, Lenau, der in Amerika Eindrücke in der Missouri-Gegend über Indianer sammelte, was ihn zu weiteren Dichtungen inspirierte, die ebenfalls durchdrungen waren von Bewunderung und ausgeprägter sprachlicher Musikalität, hatte es nicht einfach im Leben und kehrte bereits nach einem Jahr nach Europa, genauer nach Schwaben zurück, nach dem missglückten Versuch, in den Urwäldern Amerikas eine Farm zu gründen, was ihm mitunter aus Köpfen voller Hirngespinsten als kolonisatorisches Verbrechen an den Urbewohnern vorgehalten wird. Was heute manchem kriminellen Messerstecher zu Gute gehalten wird vor Gerichten, nämlich die antichristliche, antifeministische und antisemitische Sozialisierung unter widrigen Umständen, eine verunglückte Sozialisierung eben, die muss auch für meinen Mandanten, Nikolaus Lenau, als Abbitte und Strafmaßreduzierung gelten.
Wie uns bei Recherchen der Herausgeber Heinz Amelung in seiner respektablen, leider jedoch undatierten Sammlung Lenau’
scher Gedichte in gotischer Schrift für die „Deutsche Bibliothek in Berlin“, informierte, gäbe es durchaus mildernde Umstände für die Beurteilung, anstatt einer Verurteilung des Dichters zu berücksichtigen. Ich zitiere: „In heißer überzärtlicher Liebe hat die Mutter (Lenaus) die mit ihrem leichtsinnigen Gatten eine sehr unglückliche Ehe führte, ihren Liebling Niki, ,das Meisterstück der Natur‘, wie sie ihn nannte, früh verzogen und verwöhnt. Als er dann mit sechzehn Jahren unter die strenge Zucht der Großeltern gestellt wurde, entfloh er bald wieder zur Mutter. Jahre ungeregelten und unvollendeten Studiums der Philosophie, Rechtswissenschaft, Landwirtschaft und Medizin in buntem Wechsel folgten, bis Lenau 1831 nach Stuttgart kam“, wo ihn der schwäbische Dichterkreis enthusiastisch aufnahm, er aber im gleichen Jahr des Medizinstudiums wegen nach Heidelberg umziehen musste, wo er zwei Zimmer im Gasthof „Zum König von Portugal“, Hauptstraße 146, um den günstigen Preis von 10 Gulden belegte und Vorträge über Cholera über sich ergehen ließ, aber die Freunde und das lebendige Stuttgart heftig vermisste, so dass er am 5. November 1831 in einem Brief an Gustav Schwab schrieb: „Heidelberg will mir nicht recht heimisch werden.“ Und dies obwohl er hier seine beeindruckenden „Schilflieder“ dichtete, wie Michael Buselmeier festhält, „deren Landschaftsbilder freilich eher an die weite Steppe Ungarns erinnern als an jenen ,kurfürstlichen See‘ zwischen Kirchheim und Rohrbach, in welchen der Rohr-Bach mündete und auf dem der Dichter im Winter 1831/1832 Schlittschuh gelaufen sein soll.“
In einem Brief an Karl Mayer, datiert in Heidelberg am 31. Jänner 1832, schreibt der „Meister der Grautöne“, so bezeichnet ihn mein Freund aus Heidelberger Tagen, Michael Buselmeier, er sei „heiter, wie ich es seit Jahren nicht gewesen. In meinem finsteren Hofzimmer kann man recht fröhlich sein. Ich habe manches Gedicht darin gemacht, an manches Liebe darin gedacht… ich spiel nun fleißig Gitarre in meiner Spelunca; pfeife mir meine steirischen Ländler… ich verdampfe eine Pfeife nach der anderen, eine Zigarette nach der anderen und gehe viel auf den schönen Bergen herum, die mir täglich besser gefallen… Ich will noch was Tüchtiges leisten in der Kunst. Ich will arbeiten für die Welt und mich veredeln für meine Freunde.“
Es kann dem hohen Gericht nicht entgangen sein, wie der Herr Staatsanwalt in seiner Anklage sich der unzulässigen Beweismittelbeschaffung schuldig gemacht hat, durch Verwertung vertraulicher Informationen, vermutlich aus auf krummen Wegen verschafften Briefen des Beklagten, aus Abhörmaßnahmen. Ich fordere daher nicht nur eine Begnadigung meines Mandanten, sondern Freispruch für Herrn Lenau und auch für meine drei anderen Mandanten, die Reitersoldaten, die diesen Prozess nicht mehr erleben konnten.
Würdigung der Motivlage der drei Reitersoldaten
Warum und in welche Schlacht die drei Reitersoldaten gezogen sind, das wissen weder die Mordlust unterstellende, ins Blaue spekulierende Staatsanwaltschaft noch ich als Verteidiger. Wenn wir ihnen gerecht werden wollen, würde es gewiss helfen, die Pferde wegzudenken aus unserer Vorstellung im Sinne der merkenswürdigen Erleuchtung des unbestechlich präzisen Denkers Stanislaw Jerzy Lec: „Ein Pferd ohne Reiter ist immer noch ein Pferd. Aber ein Reiter ohne Pferd ist nur ein Mensch.“ Es ist der Mensch, der im Brennglas unserer Beurteilung oder Verurteilung des Krieges stehen muss.
Aller Wahrscheinlichkeit nach haben wir es mit Helden zu tun, mit rechtschaffenen Männern, die für hehre Zwecke, die Verteidigung ihres Landes oder ihrer kulturellen Werte in die Schlacht gezogen sind, vielleicht freiwillig, vielleicht gezwungen. Die Schlacht wird jedenfalls für sie zum existentiellen, einschneidenden Erlebnis und weckt in Nikolaus Lenau, ihrem Beobachter, eine vor diesem Gericht nicht auflösbare Ambivalenz der Haltung: Wer in der Auslegung der Geschehnisse die irdische Nähe und menschliche Tragik akzeptiert, empfindet gerührt den Schmerz über den bevorstehenden Tod der drei Männer, wer aber den Blick zu Gott hebt, wie der Dritte im Bunde, der findet Trost in der transzendenten Perspektive, suggeriert uns mein Mandant. Die Gespräche der drei Reiter, die Lenau als imaginär Involvierter und Zuhörender literarisch bezeugt, führen über die Trinität zur Vermutung ihrer Rechtschaffenheit. Jeder der Drei reflektiert den Tod und ahnt, dass man es nicht schaffen würde, dem Tod noch von der Schippe zu reiten. Daher ist auch nicht anzunehmen, dass sie im Angesicht ihrer Vergänglichkeit und der letztendlich um Gott vertraulich kreisenden Lebensbilanz, sich selbst, dem Dichter und uns etwas vorspiegeln müssten, möchten oder sündhaft vorlügen wollen. Was wir dank meines Mandanten über ihre Gefühle, Gemeinschaft und die Triole des Leidens sowie des sich gegenseitigen Stützens realiter wissen:
„Mir blüht daheim die schönste Maid/ Drum tut mein früher Tod mir leid.“; oder: „Hab Haus und Hof und grünen Wald/ Und sterben muss ich hier so bald!“; sowie: „Den Blick hab ich in Gottes Welt, / Sonst nichts doch schwer mirs Sterben fällt.“ Die Gesprächszeilen führen uns den Konflikt vor zwischen weltlichen Wünschen, wie Heimat, Haus und Hof, Maid oder grünem Wald einerseits und dem unvermeidlichen Tod andererseits. Es geht keines-wegs um Verschleierung krimineller Taten: es handelt sich um zentrale Motive der romantischen und konkreten Melancholie Lenau’scher Dichtkunst: Tod, Schicksal, Schuld, Naturbildlichkeit und vergebliches Streben. Der präzise Blick auf die Geschlagenen und die Sprache betören, der Reim fließt rhythmisch übers Papier wie das Blut aus den Wunden, was mein Mandant in dem Bild anklingen lässt: „Die Rosse schreiten sanft und weich,/ Sonst flöß das Blut zu rasch, zu reich.“
Für die Verteidigung steht fest, es sind keine mordenden Bestien, unfähig zu Empathie und Mitleid, die hier angeklagt sind, sondern Männer, die vom Feind und Schicksal zwar geschlagen sind, aber ihre Pflicht getan haben. Novalis folgend, sind sie unterwegs „immer nach Hause“. Und im Offenen ihrer zerfließenden Existenz halten sie durch, geben nicht auf, gönnen sich trotz Ermattung keine Rast, sondern blutend aus allen Wunden setzen sie ihren Ritt heimwärts fort, hoffend, ihr Zuhause doch noch lebend zu erreichen und dort Frieden zu finden. Was sie im Unterschied zu uns nicht ahnen: mit ihnen reitet bereits der Tod und über ihnen schweben krächzend die sich die Beute schon aufteilenden Aasgeier: „Den speisest du, den du, den ich.“ Damit wird klar: Lenau hat uns mit dem verdächtig ungefähren Gedichttitel bis zum Schluss hereingelegt, es sind die drei Geier, die er meint, sie beherrschen als Akteure die Szenerie, nicht die drei Reitersoldaten, sie reiten als sichere Opfer durch die Landschaft. Das Leben wirkt eben an keiner Stelle der dichterischen Beobachtung idyllisch, sondern ist erfahrbar in seiner Rohheit und Verletzlichkeit, Verbitterung und im Schmerz.
Die berechnende Kälte der kreischenden Raubvögel mit den bedrohlich und beängstigend weit ausgebreiteten Schwingen lässt uns mit den noch hoch zu Ross, aber den Geiern totsicher ausgelieferten Reitern verzweifeln. Und wir halten Ausschau nach Gott. Als ob die drei Männer nicht schon geschlagen genug sind, werden sie nicht nur um ihr Leben, sondern unversöhnlich auch um Gräber gebracht. Wir sehen ihr Ende kommen, denn von ihnen wird nichts übrigbleiben, als der Wind, der über ihre abgenagten bleichen Knochen weht. Mein Mandant, bedenken sie das, meine Damen und Herren Geschworenen, konnte gar nicht helfend eingreifen, gegen die Über-Macht der drei Geier in den Lüften, Symbole des Todes, holen sich die Geier doch nicht nur das Fleisch, sondern verschlingen zugleich auch die Hoffnungen. Ewig hält das auch nicht mein Mandant aus, dessen Blick auf die Welt in die Schwermütigkeit und Verwirrung führt, so dass er 1844 dem Wahnsinn verfällt und die letzten sechs Jahre bis zu seinem Tode 1850 in der Heilanstalt in Oberdöbling bei Wien verbringen muss, als Gefangener seiner selbst.
Forderung und Abschluss
Diese tragischen Lebensumstände, bedenken Sie das, verehrte Geschworene, hohes Gericht, die müssen bei der Prüfung der vorgetragenen und in ihrer Gänze von der Staatsanwaltschaft fingierten, aus der Luft gegriffenen Vorwürfe berücksichtigt werden, zumal für eine Verurteilung meiner Mandanten dem hohen Gericht nichts als Vermutungen, Unterstellungen und Spekulationen präsentiert werden konnten, was für eine rechtsstaatliche Strafe nie und nimmer ausreichen darf, da keine Anforderungen dafür erfüllt sind. Ich fordere das hohe Gericht und die Geschworenen auf, alle Zweifel ernst zu nehmen, die Rechtsordnung zu wahren und die Grundsätze eines fairen Prozesses. Meine vier Mandanten sind zwar alle schon tot, dennoch unschuldig.
Ich fordere den Freispruch!
Vorgetragen auf der Internationalen Nikolaus-Lenau-Gedenktagung in Temeswar, 31.10 – 3.11.2025
(Gekürzt und bearbeitet für die ADZ von Werner Kremm)





