Kloster der Wünsche – Festung des Glaubens

ADZ-Reihe „Kultur der Vielfalt“ – Teil 1/6: Auf den Spuren des Kulturerbes der Armenier in Suceava – die Klöster Hagigadar und Zamca

Blick vom Hügel Bulai ins weite Land
Fotos: George Dumitriu

Kloster Hagigadar

Kloster Hagigadar: bemalter Torbogen

Zamca: Eingangsportal

Hagigadar: Blick gen Altar

Kloster Zamca: Altar

Kloster Zamca: Blick zum Altar

Befestigung des mittelalterlichen Komplexes Zamca

Zauberhafte Deckenmalerei mit Verkündigungsszene im Kloster Hagigadar

Wie eine trutzige Burg thront das Kloster Hagigadar auf dem Hügel Bulai inmitten der sanft gewellten Landschaft Suceavas. Man sagt, der Hügel sei auf einer Seite etwas abgeschliffen, von den zahllosen Pilgern, die diese Stätte seit Jahrhunderten auf den Knien rutschend erklimmen, wie ein alter armenischer Brauch gebietet. Oben angekommen wird auch die Kirche auf allen Vieren umrundet. Erst dann darf man im Stillen eine Bitte zum Himmel senden – und auf ein Wunder hoffen. Dies verheißt der Name des Klosters: Hagigadar kommt vom armenischen „hagiui“ – Wunsch, und „gadar“ Erfüllung. Das Kloster der Erfüllung der Wünsche.

Anmutig verschnörkelte Schriftzeichen auf der Eingangstafel: Sie täuschen darüber hinweg, dass heute kaum noch jemand die armenische Sprache beherrscht. Nur die Liturgie wird noch  auf Armenisch gehalten, die Predigt auf Rumänisch, verrät Pfarrer Torkom Azad Mandalian mit leichtem Bedauern. In Suceava gibt es nur noch 185 armenische Familien, erzählt er, dafür aber zahlreiche rumänische Orthodoxe, die diese Kirche ebenso gern aufsuchen. Besorgt zeigt er sich über den Priestermangel: Fünf, sechs des Armenischen mächtige Pfarrer gibt es noch hierzulande, weswegen man sich bemühe, Nachwuchs aus Armenien anzuwerben: junge Geistliche, die auch bereit sind, Rumänisch erlernen. Mandalian stammt aus einer traditonellen Pfarrerfamilie. Sein Großvater Knel  konnte sich 1915 vor dem armenischen Genozid in der Türkei in die Moldau retten und wirkte noch 50 Jahre in Hagigadar. Sein Grab und das seiner Gattin, der Presbyterin Araxi Mandalian, befindet sich in den Mauern des Klosters.

Erste Christen, erste Einwanderer

Kultur und Kirche sind untrennbar verwoben in der tiefgläubigen armenischen Minderheit. Gerne rühmt man sich der Tatsache, dass Armenien das erste christianisierte Land der Welt war. Dem heiligen Gregor, auch „Lichtbringer Armeniens“ genannt, gelang es schon im Jahr 301, König Tiridat III. zu bekehren. Dieser erklärte daraufhin das Christentum zur Staatsreligion. Zum Vergleich: Im Römischen Reich wurde es erst 380 zur Staatsreligion erklärt; bis zum Konzil von Nicäa im Jahr 325 wurden Christen noch verfolgt.

Torkom Azad Mandalian – der erste ist sein religiöser, der zweite sein bürgerlicher Vorname – führt uns ins Innere der 1512-1513 erbauten, denkmalgeschützten Kirche. Der Legende zufolge wurde sie zur Zeit Bogdans III. (1504-1517), auch Bogdan der Blinde genannt, von einem armenischen Viehhändler namens Drăgan Donavachian gestiftet.  Dieser hatte auf dem Weg nach Budapest mit seiner Herde auf dem Bulai-Hügel gerastet und einen Traum gehabt. In diesem seien ihm singende Engel erschienen, was er als gutes Omen für den bevorstehenden Rinderverkauf wertete. Er versprach, bei erfolgreichem Handel hier eine Kirche zu errichten. 

Noch heute weiden in der weiten Ferne wie damals Rinderherden, ein friedliches Bild, das einen in die Zeit zurückversetzt, als armenische Einwanderer vom 10. Jh. an ihr Glück in der Moldau suchten. Alexander der Gute (1400-1432) erlaubte den Armeniern, sich in Suceava, Cetatea Albă, Galați, Vaslui, Botoșani, Dorohoi und Hotin niederzulassen und Handel zu treiben. Sie begründeten bedeutende Handelswege und einige Historiker sind sogar der Meinung, dass den Armeniern die Gründung der ersten mittelalterlichen Städte in der Moldau zu verdanken sei. Sie bauten nicht nur Kirchen in Gura Humorului, Czernowitz/Cernăuți und rund um Suceava, sondern auch Schulen, Kranken- und Waisenhäuser. 1401 wurde ihnen gestattet, ein eigenes Bistum in Suceava zu gründen.

Das Alter des Klosters Hagigadar bestätigen archäo-logische Ausgrabungen aus dem Jahr 2010, bei denen man im Naos der Kirche Münzen aus der Zeit Bogdans III. fand, mit dem Kopf des Auerochsen, dem Symbol der Moldau.

Ansonsten weiß man aus einem lateinischen Schriftstück aus dem Jahr 1693, dass der heilige Ort als Refugium für fromme armenische „Jungfrauen und Witwen“ diente, die dort „in Keuschheit und Reinheit“ zurückgezogen lebten, doch ohne offizielles Gelübde. Dies wird auch für die Zeit unter habsburgischer Herrschaft (1775-1918) bestätigt.

Ein Wunder, ein vorchristlicher Brauch

Die Kirche, die dem Entschlafen der Muttergottes geweiht ist, beherbergt einen reichverzierten Altar. Die Wände schmücken nur einzelne Heilige  – zum Unterschied zu den voll bemalten rumänisch-orthodoxen Kirchen. Bemalt wurden sie im Jahr 1896. 

Zum Inventar der Kirche gehört an alten Ikonen: die wundertätige Marienikone, die Gläubige früher zum Dank für erfüllte Heilungswünsche mit „einem großen Haufen an Augen, Zähnen, Ohren, Beinen, Armen usw. auf Gold und Silber“ schmückten, wie der Moldauer Folklorist und Historiker Dimitrie Dan erzählt. 1848 soll sie diesen Ort vor der „asiatischen Cholera“ bewahrt haben. 

Seither gilt Hagigadar als bedeutendes Pilgerziel für Armenier aus Rumänien und der Diaspora, vor allem zur Kirchweihe und dem Feiertag des hl. Joachim und der hl. Anna. Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde zu diesem Anlass noch ein Brauch namens „Madach“ praktiziert: Man sammelte Geld, um gehörnte Rinder zu kaufen, deren Fleisch im Kloster unter den Armen verteilt wurde. Dabei handelt es sich um ein Opferritual aus vorchristlicher Zeit für die Fruchtbarkeitsgöttin Anahit, das nach der Christianisierung adaptiert wurde. Heute serviert man den Besuchern statt dessen eine Suppe mit rindfleischgefüllten Teigtaschen, „Aganciapur“ genannt, „Ohrensuppe“ auf Armenisch, und Reisfleisch. Die Kessel, in denen das Rindfleisch gekocht wird, werden von den Priestern geweiht. Man sagt, wer vor dem Kirchweihfest 40 Teigtaschen zubereitet, habe vor Gott einen Wunsch frei.

Des Weiteren erwähnenswert sind die Ikonen der Heiligen Apostel Jakob und Bartholomäus mit einer slawischen Inschrift sowie die Ikonen der vier Evangelisten auf der Ikonenwand, aber auch die beiden rumänisch beschrifteten Ikonen des hl. Archidiakons Stefan sowie des hl. Diakons Laurentius an den Altartüren.

Kloster Zamca – ältester armenischer Kultort

Das Ensemble von Zamca besteht aus der Kirche zum heiligen Auxentie (1551), dem Glockenturm (1606) und der Kapelle zum Hl. Gregor. Am selben Ort, in einem früheren Bauwerk, befand sich der erste Sitz des 1401 gegründeten armenischen Erzbistums. Das ehemalige Mönchskloster liegt zwei-drei Kilometer von Hagigadar entfernt auf einer Anhöhe. Es ist der wichtigste und älteste Kultort der Armenier von Suceava. In der Mitte der Kirche liegt der Stifter in einer steinernen Gruft begraben, Agopșa (Jakob) Vartan, gestorben 1602. 

Das beeindruckend befestigte mittelalterliche Ensemble blickt auf eine bewegte Vergangenheit zurück. Während der Belagerung der Festung Cetatea de Scaun durch die Osmanen war es für die Einwohner Suceavas Zufluchtsort. Später geriet es unter polnische Besetzung – daher wohl auch der Name Zamca, er leitet sich vom polnischen Wort „zamok“ für Festung ab. Ende des 17. Jh. wurde Suceava mehrmals von den Truppen  des polnischen Königs Johann III. Sobieski besetzt. Während der Kampagne gegen die Osmanen 1690-91 drang Sobieski zum dritten Mal in die Moldau vor und plünderte Dörfer und Städte. Nach seiner Rückkehr vom Feldzug ließ er seine Garnisonen in den Burgen Neamț und Suceava sowie in den Klöstern Agapia und Zamca zurück. Die Polen errichteten die Mauer um das Kloster Zamca, flankiert von Bollwerken an den Ecken. 

Über 130 Jahre blieb der Komplex von Zamca unter fremder Herrschaft. Nach der Besetzung der Nordmoldau durch die Habsburger (1775) wurde die Kirche zum Hl. Auxentie als Munitionslager missbraucht. Erst 1827 gelang es der armenischen Gemeinschaft, das Kloster durch Prozesse wieder zu erlangen. 


Die ADZ-Reihe „Kultur der Vielfalt“ ist Ergebnis einer vom DRI organisierten Journalistenreise in die Moldau und Bukowina im Oktober 2021 auf den Spuren der nationalen Minderheiten. In sechs Folgen, die im 14-tägigen  Rhythmus erscheinen, geht es darin um Kultur und Kulturerbe der Armenier, der Ukrainer und Huzulen, der Lipowaner, Deutschen, Polen und Juden.