Das Korbflechten ist eines der am weitesten verbreiteten Handwerke in der Geschichte der menschlichen Zivilisation. Es ist schwer zu bestimmen, wie alt es genau ist, da die verwendeten, natürlichen Materialien wie Holz und Gras schnell verrotten. Ein Großteil der Geschichte der Korbflechterei ist deswegen nicht wissenschaftlich dokumentiert. Bekannt ist jedoch, dass Körbe immer schon als funktionale und strapazierfähige Gebrauchsgegenstände geschätzt wurden. Gutes Handwerk ist unverwüstlich.
Das Handwerk des Korbflechtens galt vor allem innerhalb der Roma-Gemeinschaft als sehr angesehen. Diese aus vielen Untergruppen bestehende Volksgruppe bildet die größte ethnische Minderheit Europas. Das indoarische Romanes ist ihre gemeinsame Sprache und der indische Subkontinent wird mutmaßlich als ihr historisch-geographisches Herkunftsgebiet betrachtet.
Zu denen aus Indien mitgebrachten handwerklichen Fertigkeiten der Roma gehört das Korbflechten. Es zählt zu den ältesten und am meisten gewürdigten Roma-Berufen. Viele Roma führten eine oftmals durch Diskriminierung erzwungene, nicht-sesshafte Lebensweise. Der Beruf als Korbflechter erleichterte Ortswechsel, da die Weiden, ihr bevorzugtes Material, überall in der Natur, kostenfrei vorhanden waren. Die meisten Roma-Familien reisten und lebten in einem Caravan, von dem aus sie auch ihre Korbwaren anboten.
In Ost-Europa war die Korbflechterei im griechisch-türkischen Raum, in der Gemeinschaft der Sepecides (Korbflechter), von besonderer Bedeutung. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts konnten ganze Roma-Siedlungen ihren Lebensunterhalt mit Korbflechten verdienen. Ihre handwerkliche Fertigkeit wurde respektiert und bewundert.
Alle sozialen Schichten waren auf die Dienste der Roma angewiesen, da es keine Alternative zu geflochtenen Körben gab. Sie wurden in der Landwirtschaft, für die Lagerung und den Transport von Lebensmitteln verwendet. Wegen ihres geringen Gewichts und ihrer hohen Stabilität waren Körbe ebenfalls gut geeignet, um Holz, Metall oder Steine zu transportieren.
Zu den traditionellen Korbmodellen der Roma gehören die „corfa“ und der „coș“. Die „corfa“ hat die Form einer Halbkugel und zwei Griffe, wodurch er zu zweit getragen werden kann. Der „coș“ hat eine Zylinderform und einen geraden Boden, der einen stabilen Stand ermöglicht. Dank des Weidenmaterials sind die Körbe zudem robust und langlebig.
Auch die in Rumänien lebenden Roma waren kunstfertige Korbflechter. Die sogenannten „coșari“ (Korbflechter) benötigten handwerkliches Geschick und Wissen über die Ernte und die Verarbeitung der Rohstoffe, etwas das über Generationen hinweg vor allem innerhalb der Familie weitergegeben wurde.
Körbe flechten – über Generationen hinweg
Anfang des 19. Jahrhunderts sind Körbe auch in Siebenbürgen, im südöstlichen Karpatenraum, ständig benötigte Gebrauchsgegenstände. Sie werden vor allem von fliegenden Handwerkern und Händlern verkauft. Professionelle Korbflechter, die eine Werkstatt mit Geschäft führen, gibt es selten.Andreas Müllner, ein Einwanderer aus Wien, sieht dies als Chance und eröffnet 1867 eine Korbflechterei in Kronstadt, am Rossmarkt (heute Breiter Bach, Haus Nr. 46). Er steht damit am Anfang einer Kette von Korbflechtern, die bis in die Gegenwart reicht. So wurde das Wissen über dieses Handwerk über viele Generationen weitergegeben: Andreas Müllner (1828-1906), Andreas Kravatzky (1866-1931), Alexander Franz Kravatzky (1907-1982), Gerhard Mix (1920-2017), Günter Mix (1956), Alice Dicks, geb. Mix (1965), Esmé Hofman (1971),
Andreas Müllner (1828-1906):
Andreas Müllner bringt seine Sachkenntnis der Korbflechterei aus Wien mit. Er gelangt 1848 nach Siebenbürgen (damals Königreich Österreich-Ungarn), zusammen mit seinem Freund Johann Krawatzky. Im Namen des österreichischen Kaisers Franz Joseph kämpfen sie gegen die hier ansässigen Ungarn, die ihre Selbstständigkeit erzwingen wollen. Andreas und Johann bleiben auch nach der Entlassung aus dem Militär in Siebenbürgen und heiraten Frauen aus Honigberg/H˛rman. Zu Hause wird manch österreichische Sitte gepflegt und Deutsch gesprochen.
Jahre später schickt Johann Krawatzky seinen Sohn Andreas in die Lehre bei seinem Freund Müllner. Andreas erlernt in Kronstadt das Flechthandwerk und heiratet bald die Tochter des Hauses, so dass die beiden Familien künftig in enger Verwandtschaft miteinan-der verbunden sind.
Andreas Kravatzky (1866-1931):
Nach Lehrjahren in Kronstadt und Wien zieht es Andreas Krawatzky 1889 nach Bukarest, in die Hauptstadt des Nachbarlandes Rumänien, wo er eine eigene Korbflechterei eröffnet. Die Wirtschaft boomt und Korbwaren aller Art sind gefragt. Bald wird Andreas königlicher Hoflieferant und bekommt von König Karl I. den Auftrag zur Ausstattung von Zimmern im Schloss Pele{ in Sinaia. In dieser Zeit ändert er auch die Schreibweise seines Namens in Kravatzky. Nach zehn Jahren in Bukarest kehrt die Familie nach Kronstadt/Bra{ov zurück, wo Andreas die Korbflechterei seines Schwiegervaters Andreas Müllner übernimmt.
Alexander Franz Kravatzky (1907-1982):
Der jüngste Sohn Alexander tritt in die Fußstapfen seines Vaters Andreas. Er absolviert bei ihm die Lehre zum Korbflechter und führt nach dessen Tod 1931 den Betrieb weiter. Im Laufe der Jahre baut er das Geschäft aus, stellt Mitarbeiter ein und begleitet die Ausbildung von Lehrlingen. Einer davon ist Gerhard Mix, der aus einer deutschen Familie aus Bessarabien stammt.
Die politischen Wirren des Zweiten Weltkrieges haben sowohl für Alexander als auch Gerhard lebenslange Folgen. Nach der Rückkehr von Zwangsarbeiten in Russland und später am Donau-Schwarzmeer-Kanal findet Alexander Kravatzky seine Familie enteignet vor. Er erkämpft sich die Rückgabe der Werkstatt in Kronstadt und kann sich trotz der nachlassenden Nachfrage an Korbwaren mit Sonderanfertigungen über Wasser halten.
Auch die Weitergabe seines Handwerks innerhalb der Familie scheint gesichert. Sein ältester Sohn Dieter-Jochen beginnt eine Lehre zum Korbflechter. Als jedoch eine neue Gesetzgebung der kommunistischen Machthaber 1956 es privaten Handwerkern verbietet, Lehrlinge zu beschäftigen, ist der Junge gezwungen, den Betrieb des Vaters zu verlassen. In den 1970er und 1980er Jahren wandern Alexanders Kinder nach Deutschland aus. Er selbst zieht es vor, in Siebenbürgen zu bleiben.
Gerhard Mix (1920-2017):
Im Laufe des Zweiten Weltkrieges gelangt auch der Lehrjunge Gerhard Mix nach Deutschland. Er bringt seine in Kronstadt erlernten Kenntnisse des Korbflechtens mit und eröffnet 1946 in Freiberg am Neckar ein eigenes Geschäft. Drei seiner Kinder lernen ebenfalls das Flechthandwerk. Seine Tochter Alice geht bei dem Vater in die Lehre. Seine Söhne Uwe und Günter machen eine Ausbildung an der Staatlichen Berufsfachschule für Korbflechterei in Lichtenfels.
Günter Mix (1956), Alice Dicks, geb. Mix (1965)
Die Korbflechterei von Gerhard Mix besteht 72 Jahre lang. In den letzten sieben Jahren wird sie von seiner Tochter Alice geführt, die sie 2018, ein Jahr nach dem Tod des Vaters, schließt.
Der Lebensschwerpunkt von Gerhard Mix war sein Handwerk. Er war bis kurz vor seinem Tod mit 97 Jahren noch jeden Tag in der Werkstatt zu finden.
Günter Mix, der die Inspiration für das Korbflechten in der Werkstatt seines Vaters fand, gibt sein handwerkliches Wissen als Fachlehrer weiter. Bis zu seiner Pensionierung 2022 lehrt er an der Staatlichen Berufsfachschule für Flechtwerkgestaltung in Lichtenfels, der einzigen Schule dieser Art in Deutschland. Es könnte also durchaus sein, dass Teile des handwerklichen Wissens aus Kronstadt mehr als 150 Jahre später Schülern in Deutschland vermittelt wurden, die es wiederum in die weite Welt tragen.
Für eine Ausbildung zum Flechtwerkgestalter interessieren sich vorwiegend Frauen. Viele Absolventen üben den Beruf in Teilzeit aus und arbeiten alleine. Sie stellen Einzelstücke her, geben Workshops und entwickeln ungewöhnliche Sonderanfertigungen.
Esmé Hofman (1971)
Esmé Hofman, eine Korbflechterin aus den Niederlanden, hat auch in Lichtenfels studiert, unter anderem bei Günter Mix. Sie stellt ausgesuchte Korbwaren im Auftrag her und arbeitet auch als Kuratorin, Dozentin und Beraterin. In den Niederlanden ist sie die Einzige, die die arbeitsintensive Feingeflecht-Technik mit Spänen aus gespaltenen Weidenzweigen berufsmäßig ausübt. Sie hat diese vom Aussterben bedrohte Technik während ihrer Ausbildung in Deutschland gelernt und wendet sie bei Restaurierungsarbeiten für Museen und Privatkunden an.
Hofman findet es zudem wichtig, in interdisziplinären und experimentellen Projekten mit Künstlern und Designern nach neuen, kreativen Anwendungen für ihr Handwerk zu suchen. Um es am Leben zu erhalten und die Techniken an folgende Generationen weiterzugeben, gibt sie Fortbildungen und Lesungen.
Heute ein Nischenhandwerk
Doch der Aufbau einer Korbflechterwerkstatt nebst Geschäft rentiert sich heute nicht mehr. In den letzten Jahrzehnten sind Peddigrohr und Rattan als Flechtmaterialien in Mode gekommen und da diese vorwiegend in Indonesien und China wachsen, war der Siegeszug der asiatischen Korbmacher nicht aufzuhalten. Dazu kommt, dass auch Handwerker in Osteuropa ihre Waren preiswerter anbieten als westeuropäische Hersteller.
Auch innerhalb der Roma-Gemeinschaft in Ost-europa hat die Bedeutung der Korbflechterei als Kunstgewerbe im Laufe des letzten Jahrhunderts kontinuierlich abgenommen. Sie bekamen folgenschwere Konkurrenz von Fabriken, wo Korbwaren in Serie, maschinell und nach externen Entwürfen reproduziert wurden.
Nur in wenigen Dörfern in den Ostkarpaten der Ukraine haben Roma-Familien die alte Tradition des Korbflechtens erhalten können, beispielsweise in Iza bei Khust, einem Dorf, das seit dem 19. Jahrhundert als Zentrum der Korbflechterei bekannt ist. Mit der Zeit wurde das Handwerk zum Haupterwerb aller Einwohner. Heute sehen die Straßen von Iza wie ein Freilichtmuseum aus. Die meisten Einheimischen stellen ihre Waren entlang der Straße und an ihren Zäunen aus und verkaufen sie vor allem an Touristen.
In Rumänien gibt es nur noch wenige professionelle Korbflechtereien. Toderașcu Artizan in Sat Heci, bei Jassy/Iași, ist der einzige professionelle Betrieb im Nordosten des Landes, der hochwertige Weidengeflechte herstellt. Das Handwerk wurde in der Familie Toderașcu seit drei Generationen weitergegeben.
Lilian Toderașcu erlernte das Handwerk bei seinem Vater und gründete eine Korbflechterei, in dem mittlerweile auch sein Sohn Tudor Alexandru Toderașcu arbeitet. Eine eigene Weidenplantage hilft ihnen, die Qualität der Weidengeflechte zu garantieren, die sie zunehmend im Internet bewerben und verkaufen. Das riesige Angebot besteht aus Gebrauchsgegenständen wie Möbeln, Körben, Taschen, Spielzeug und ausgefallenen Accessoires.
Das Korbflechten ist ein Nischenhandwerk geworden, das nur eine kleine Gruppe von Handwerkern und Künstlern ausübt. Es wird als Ergebnis eines kreativen Prozesses und als ein Kulturprodukt angesehen. Auch Objekte aus den Korbflechtereien Kravatzky und Mix sind mittlerweile Museumsstücke. Sie wurden in die Sammlung des Siebenbürgischen Museums in Gundelsheim/Neckar aufgenommen und zeugen davon, dass Korbwaren einst als Gebrauchsgegenstände florierten.