Er brauche kein Mikrofon, sagt Martin Eichler, für diesen Raum genüge seine Stimme auch so. Dann sagt er so sympathische Sätze wie: „Alle jungen Menschen wollen ans Ende der Welt reisen. Für uns kam das Ende der Welt ziemlich schnell.“
Mit eingeschränkter Reisefreiheit erklärt der Fotograf, dessen Arbeit „Straßen der Trauer” derzeit im Bukarester Friedrich-Schiller-Kulturhaus zu sehen ist, seine Verbundenheit zu Rumänien. Nachdem Eichler in der DDR Theologie studiert hatte, siedelte er in den achtziger Jahren in den Westen über und begann, sich dort der Fotografie zu widmen. Seine Reisen durch Siebenbürgen und das Banat behielt er bei. Später wurde er mit Landschaftsfotografien dieser Regionen bekannt.
In den häufigen Autoreisen zwischen Deutschland und Rumänien lag dann auch das Vorhaben begründet, Kreuze, die am Straßenrand für Unfallopfer aufgestellt wurden, zu dokumentieren. Über Jahre hinweg wuchs diese Serie auf knapp 1300 Fotografien an.
Wenn Eisler über die „Straßen der Trauer“ spricht, dann scheint er mehr Pfarrer als Fotograf zu sein. Da ist die Rede vom Kreuz als christlichem Motiv, von Auferstehung und Schuld. Er erzählt von einem Schlüsselerlebnis, das sich zutrug, als er an einem Gedächtnisschrein anhielt, und davon, wie seine Gedanken in solchen Momenten bei den Familien der Toten sind. Und man glaubt ihm das alles, wie er dasteht und Sätze sagt, die nur ein Pfarrer mit einem solch munteren Optimismus sagen kann. Aber Eichler weiß selbst, dass der christliche Aspekt in seiner Arbeit etwas Sperriges hat. Deshalb fügt er manchmal selbstironische Anekdoten hinzu, wie die, dass er nicht an jedem Kreuz anhalten konnte, da ansonsten schon bald ein weiteres Kreuz nötig gewesen wäre. Keinesfalls, sagt er trocken, solle die Arbeit als „Verkehrserziehung“ missverstanden werden.
Woran es Eichler also wirklich gelegen scheint, ist der Ort in seinem metaphysischen Sinn. Besonders eindrücklich wird dies, wenn Eichler Landschaften im Panorama festhält und die Kreuze nahezu verschwinden. Auf diesen Fotografien erfährt der Ort – und Ort heißt hier vor allem Wetterverhältnisse und Lichteinfall – eine Veränderung durch das Kreuz. Solche, beinah esoterischen Wirkweisen wurden in der künstlerischen Fotografie durch den Amerikaner Joel Sternfeld bekannt.
In der großartigen Arbeit „On this side” (im Deutschen schlicht: Tatorte. Bilder gegen das Vergessen.) fotografiert Sternfeld Orte, die sich tief in das kulturelle Bewusstsein seines Landes gebrannt haben: Das Kino, in dem Lee Harvey Oswald einen Film ansah, bevor er Kennedy erschoss. Das Motel, in dem das Attentat auf Martin Luther King verübt wurde. Aber auch vermeintlich unbedeutendere Tatorte. Was diese Fotografie so verstörend macht, ist, dass sich die auf ihnen abgebildeten Orte scheinbar desinteressiert gegenüber ihrer Geschichte zeigen und dass gerade in diesem Desinteresse viel des Schreckens spürbar wird.
In Eichlers „Straßen der Trauer” kommt den Unfallorten durch die Gegenwart und Symbolik des Kreuzes genau dieses Nachspüren abhanden.