Als Grafikerin war Käthe Kollwitz schon zu Lebzeiten eine über die Landesgrenzen hinaus geachtete und bewunderte Künstlerin, bis die Nationalsozialisten sie in die „innere Emigration“ zwangen. Doch als Bildhauerin musste sie schwer um ihre Anerkennung ringen. Einzig die Figuren von Vater und Mutter, die 1932 auf dem Gefallenen-Friedhof im belgischen Roggevelde (seit 1955 in Vladsloo-Praedbosch) als Totenmal für die Opfer des Ersten Weltkrieges aufgestellt wurden, brachten ihr eine weite Resonanz ein. Aber erst die Nachwelt hat ihre Position in der Bildhauerkunst der Moderne entsprechend gewürdigt. Mehr als 20 realisierte Plastiken hat sie hinterlassen, unzählige, nur in Gips ausgeführte Arbeiten sind verloren gegangen. Das Käthe-Kollwitz-Museum präsentiert jetzt anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums das plastische Werk der Kollwitz, spürt den Motiven und Vorbildern nach, stellt Querverbindungen mit dem grafischen Werk her und bezieht auch die verschollenen Werke, vor allem die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der beiden öffentlich aufgestellten Plastiken, der „Mutter mit totem Sohn“ (eine vergrößerte Fassung befindet sich seit 1993 in der Neuen Wache, der zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft) und den schon genannten „Trauernden Eltern“, mit ein.
Kollwitz hatte 1910 begonnen, plastisch zu arbeiten. 1917 fragte sie bang: „Ob meine Plastik nicht auch nur transponierte Zeichnung ist?“ Die Plastik „Liebespaar“ (zweite Fassung, 1913-1916, Bronze) war die erste Arbeit, die sie ausstellte. Die ineinander verschränkten Körper der beiden Liebenden orientieren sich an Auguste Rodin und verbinden die extreme – wie verrenkt anmutende - Körperhaltung der „Kauernden Frau“ (um 1882) mit der Erotik des „Kusses“ (um 1884/1900).
Im Zentrum ihres Werks steht der Mensch mit seiner Körpersprache, mit Mimik und Gebärden, mit all den Ausdrucksmöglichkeiten, die ihm zur stummen und doch beredten Verständigung eigen sind. Das Zusammenspiel von heftig gesteigerter äußerer Bewegtheit und starker, innerer psychischer Regung ist Ausdruck einer Erschütterung, die den Menschen mit der Kraft einer Offenbarung im Innersten trifft. So wenn er plötzlich eine neue Bedeutung, ein neues Gesicht der Dinge wahrnimmt, einen aufblitzenden Spalt, ein Zeichen, das ihm bisher verborgen geblieben war. Das „ständige Gespräch mit dem Tod“, so teilte ihre Schwester Lise mit, war das Leitmotiv für Käthe Kollwitz. 18 Jahre lang, mit Unterbrechungen, arbeitete sie an jenem Denkmal für ihren 1914 gefallenen Sohn Peter, den trauernden Elternfiguren.
In klarer Silhouette hebt sich die Mutter mit dem Ausdruck schmerzvollen Niedergebeugtseins vom aufrechten Widerstehen im Leid des knienden Vaters ab. Für Kollwitz spielen die „Dinge hinter der Wirklichkeit“ eine besondere Rolle. Sie hat Vorbilder aus der christlichen Darstellungstradition umformuliert und ihren eigenen Bildgedanken anverwandelt. Bei Kollwitz sind das die Variationen zum Bildtypus der Muttergottes in guter Hoffnung oder ihr wiederholtes Aufgreifen der Grablegungs- bzw. Beweinungsszene. Bei ihr ergibt sich die Gebärde der an das Gesicht oder den Kopf gelegten Hand in allen Ausdrucksfärbungen, vom Nachdenken über Kummer und Leid bis zur tiefsten Verzweiflung. Radikal hat sie das Muster der „Pietà“ umgeformt. Die nackte Mutterfigur der Kollwitz („Frau mit totem Kind“, 1903, Radierung) scheint förmlich ihren toten Sprössling verschlingen und wieder einverleiben zu wollen. Zugleich wird der wie aus sich selbst leuchtende Kopf des Kindes so aus der Körpermitte der dunkel-massigen Mutter nach vorn gedrängt, als solle er, wie bei der Geburt, wieder das Licht der Welt erblicken.
Offensichtlich ist hier das Motiv der „Wiedergeburt“ und der „Mutter Erde“ zu einer Darstellung des ewigen Kreislaufs von Werden und Vergehen zusammengeflossen. Die Plastik „Mutter mit zwei Kindern“ (1926-1936, Bronze) greift dieses Motiv auf: Die nahezu animalisch kauernde Frau umfasst mit ihren gewaltigen Armen energisch ihre Kinder. Eine Mutter, „die ihre beiden Kinder umschließt, ich bin es selbst mit meinen eigenen leibgeborenen Kindern“, so hatte sie sie gezeichnet, und die Plastik wuchs nun zu einer mütterlichen Urkraft im Beschützen von unschuldigem, hilfsbedürftigem jungen Leben. „Mutter mit totem Sohn“ (1937/38, Bronze) wandelt das Pietà-Motiv dahingehend ab, dass die Mutter den wie schlafend daliegenden Toten an ihren Körper gebettet hat, mit der einen Hand seinen Kopf und mit der anderen dessen Hand hält, wie um ihm wieder Leben zu geben. „Meine Mutter bleibt im Sinnen darüber, dass der Sohn nicht angenommen wurde von den Menschen“, äußerte sich die Künstlerin 1939. „Abschied“ (1940/41, Bronze) greift das Thema der Umarmung noch einmal auf, jetzt aber nicht in leidenschaftlicher Hingabe, sondern in schmerzvoller Entsagung, während die zwei Fassungen des Halbreliefs „Mutter schützt ihr Kind“ (1941/42, Bronze) die Schutzfunktion der mütterlichen Hände symbolisieren.
1922 war der Holzschnittzyklus „Krieg“ entstanden, in dessen Blatt 6 („Die Mütter“) bereits eine monumentale grafische Lösung dieses seit Jahren variierten Motivs gelang. 15 Jahre später gestaltete sie die Rundum-Plastik „Turm der Mütter“ (1937/38, Bronze): eine bewegte Gruppe von Müttern beschützt nicht nur gemeinsam die Kinder, sondern widersteht mimisch und gestisch kämpferisch-entschlossen der drohenden Gefahr. In ihrem kleinformatigen Bronzerelief „Die Klage“ (1938/40, Bronze), dem Gedenken des im gleichen Jahr verstorbenen und wie sie von den Nazis verfemten Ernst Barlach gewidmet, hat sie sich selbst als Trauernde dargestellt. Dieses Relief galt nicht allein der Trauer um Barlach, sondern überhaupt dem Unrecht, das in der NS-Zeit den Menschen zugefügt wurde. Das Motiv der verklammerten Hände und der harte, die Schnittflächen oben und unten begrenzende Ausschnitt geben der Komposition – trotz des ganz anderen Formats – eine ähnliche Festigkeit und innere Monumentalität wie Barlachs Güstrower Denkzeichen, der „Schwebende Engel“, der die Züge der Kollwitz trägt.
Alle Phasen ihres Werkes begleiten die Selbstbildnisse, gezeichnet mit Kohle und Kreide, in den grafischen Techniken der Radierung, der Lithografie und des Holzschnitts. Herausragend ihr Selbstbildnis (1926-1937, Bronze), es ist Rechenschaft, Zeugnis, Überprüfung, Merkstein eines Lebens und einer Zeit. Das Antlitz hat alles Private verloren und sich zum Wesenhaften verdichtet – als ruhende Schwere des Lebens. Wenn Kollwitz die Grundbedingungen und Möglichkeiten des Menschseins, das Moment des existenziellen Ausgesetztseins gestaltet hat, so war doch Leid und Not, aber auch Widerstehen für Kollwitz ein gesellschaftlich bedingtes Problem, das sie etwa durch aufrüttelnde Appelle an die Mitmenschlichkeit zu verändern suchte. „Sie ist die Stimme des Schweigens der hingeopferten Völker“, schrieb Romain Rolland schon 1927 über sie. Von den Nazis als „entartet“ verfemt, starb sie einsam wenige Tage vor Kriegsende in Moritzburg bei Dresden.