Vier ultramoderne Wolkenkratzer glänzen im Sonnenlicht und recken sich fast 250 Meter hoch in den blauen Himmel über Madrid. Mit dem Geschäftsviertel rund um die 2008 fertiggestellten „Cuatro Torres“ hört die städtebauliche Ästhetik im äußersten Norden der spanischen Hauptstadt aber auch schon auf. Ein paar Wohnblocks im 08/15-Stil und der ziemlich desolate Bahnhof von Chamartín dämmern vor sich hin, dahinter wird es flach und leblos. Selbst bunte Graffitis an den Wänden vor der „Estación“ vermögen das triste Ambiente nicht aufzuhellen. Das aber soll sich bald ändern, denn in dem Gebiet ist eines der größten Bauprojekte Europas in Planung.
Der Name ist Programm: „Madrid Nuevo Norte“. Die Metropole expandiert und bekommt einen völlig „neuen Norden“ verpasst. Mehr als ein Vierteljahrhundert wurde debattiert und gestritten, aber in diesem Sommer stimmten schließlich alle Parteien im Stadtrat unisono für das gigantische Vorhaben. „26 Jahre, 6 Bürgermeister und 7,3 Milliarden Euro“, umriss der Radiosender „COPE“ das Ringen um das Megaprojekt und seine gigantischen Kosten.
Einen interaktiven Ausstellungsraum, in dem sich Bürger über das Vorhaben informieren können, und eine Webseite mit dem gesamten Konzept gibt es auch schon. Das Areal erstrecke sich über 5,6 Kilometer Länge und einen Kilometer Breite, ist da zu lesen, „von der Calle Mateo Inurria nahe Plaza de Castilla bis hin zur M-40“, der Madrider Ringautobahn.
Vom Zentrum Madrids samt Museumsmeile und Königspalast bis zur etwa sechs Kilometer nördlich liegenden Plaza Castilla pulsiert die Drei-Millionen-Metropole, ist gespickt mit Wohn- und Bürogebäuden, Cafés und Einkaufszentren. An dem Platz mit seiner „Puerta de Europa“ (Tor Europas) – zwei auffälligen und schräg aufeinander zulaufenden Hochhäusern – enden die wichtigsten Buslinien der Süd-Nord-Achse. Danach wird es fast abstoßend, „ein schwarzes Loch“, wie es das zuständige Architekturbüro Rogers Stirk Harbour + Partners formuliert.
Dort sollen nun 2,4 Millionen Quadratmeter neu bebaut werden. 10.500 Wohnungen und Hunderte Bürokomplexe und 400.000 Quadratmeter Grünflächen sowie drei neue Wolkenkratzer sind geplant. Einer soll 300 Meter in den Himmel ragen und wäre damit das höchste Gebäude Spaniens.
Bisher sind verschiedene nördliche Stadtteile durch die Schienen, die zum Chamartín-Bahnhof führen, voneinander abgeschnitten. Ungenutzte Felder und brach liegende Industriegebiete runden das triste Bild ab. Die Stadt spricht von einer „klaffenden Wunde“, die es zu heilen gelte. Denn nicht überall in Madrid locken gemütliche Tapas-Lokale und pittoreske Bodegas.
Ende 2020 sollen die Arbeiten starten. Das schafft auch viele Jobs: 240.000 insgesamt werden es Schätzungen zufolge sein, teil-weise für den Bau, aber auch später im neuen Business-Distrikt. Das Projekt wird in verschiedenen Phasen verwirklicht und soll 25 Jahre später vollendet sein.
Den Masterplan hinter der künftigen Madrider Urbanistik hat das Büro des renommierten britischen Architekten und Pritzker-Preisträger Richard Rogers entworfen. Der 86-Jährige ist nicht zum ersten Mal in Spanien aktiv und hat bereits die ungenutzte Stierkampfarena von Barcelona in einen imposanten Einkaufs- und Unterhaltungskomplex verwandelt und den Terminal 4 des Madrider Flughafens mit seiner geschwungenen Dachform erdacht.