Politische Geschichte und nationale Mythenbildung, Staatshistorie und rumänische Volksidentität sind die großen Themen der kürzlich im Bukarester Nationalen Kunstmuseum eröffneten Ausstellung, die noch bis zum 13. Februar kommenden Jahres dort besichtigt werden kann. Über 250 Exponate rumänischer Künstler aus den Jahren 1830 bis 1930, Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und kunsthandwerkliche Objekte, sind in sechs großen Sälen im Erdgeschoss des Kunstmuseums zu sehen, museologisch exzellent präsentiert, präzise und detailliert beschriftet und zum Teil mit längeren Erklärungen versehen, die sich deutend und interpretierend dem Gehalt der jeweiligen Kunstwerke nähern.
Die Kuratorinnen der Ausstellung, Monica Enache und Valentina Iancu, die von dem Historiker Lucian Boia bei ihrer rundum gelungenen Arbeit unterstützt wurden, haben die Ausstellung in neun Einzelabschnitte gegliedert. Zunächst dominieren historische und politische Gesichtspunkte, die dann im zweiten Teil von eher kunstgeschichtlichen Betrachtungsweisen abgelöst werden.
Die beiden Hauptteile sind durch einen Leitgedanken eng miteinander verbunden, die Leitfrage nämlich, auf welche Weise die bildenden Künstler Rumäniens durch ihre Werke zur Definition rumänischer Identität, mithin zur Herausbildung und Festigung eines rumänischen Nationalbewusstseins beigetragen haben, das für den späteren rumänischen Nationalstaat von im wahrsten Sinne des Wortes grundlegender Bedeutung war.
War Rumänien zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wie die Ausstellungsmacher auf der ersten der zahlreichen informativen Schautafeln betonen, noch ganz vom Orientalischen, Kyrillischen, Griechischen dominiert, so hatte das rumänische Identitätsbewusstsein im Zuge der nationalstaatlichen Bestrebungen jener Epoche innerhalb weniger Jahrzehnte eine grundlegende Wandlung erfahren: Um die Jahrhundertmitte herrschte plötzlich nicht mehr Orientalisches, sondern Europäisches vor, kulturelle und politische Errungenschaften Frankreichs wurden zum Vorbild, das Lateinische ebnete den Weg zu den Ursprüngen, seien sie römischer, dakischer oder dako-römischer Natur.
Rumänische Identitätsbildung vollzog sich in der Rückbesinnung auf eine erst noch zu schreibende Geschichte, die sich in ihrem Streben nach nationaler Unabhängigkeit eindrücklicher Symbole und der Vorbildhaftigkeit geschichtlicher Führerfiguren bediente.
Die Revolution von 1848 in ihrer artistischen Begleitung durch die rumänischen Künstler bildet das Auftaktthema der Bukarester Ausstellung. Ein Gemälde aus dem Revolutionsjahr von Constantin Daniel Rosenthal zeigt Rumänien als Allegorie auf der Freiheitsaue von Blasendorf/Blaj, gehüllt in die rumänische Trikolore und mit einem Ölzweig in der Hand. Porträts von Achtundvierzigern (Nicolae Golescu, Nicolae Bălcescu, Simion Balint u. a.) sind in diesem ersten Ausstellungsabschnitt ebenso zu sehen wie ein hochinteressantes, „Befreiung der Zigeuner“ betiteltes Bild von Theodor Aman, das ebenfalls aus dem Revolutionsjahr stammt. Vor dem Sockel einer Freiheitsstatue küsst eine Zigeunerin die Trikolorenschärpe eines Revolutionärs, der den umstehenden Zigeunern das nationale Freiheitsdekret vorweist: Nationale Einheit wird hier liberal gedacht, Revolution führt nicht zur Ausgrenzung, sondern zur Emanzipation des Anderen. Vom selben Künstler stammt auch das Gemälde „Schlacht an der Alma“, das die erste Schlacht des Krimkriegs (20.9.1854) am Krimfluss Alma zum malerischen Thema hat.
Die Vereinigung der rumänischen Fürstentümer Moldau und Walachei wird von mehreren Künstlern bildnerisch vorweggenommen. So entstehen noch vor 1859 Werke, die Michael den Tapferen (Mihai Viteazul), dem im Jahre 1600 kurzfristig die Vereinigung Siebenbürgens, der Moldau und der Walachei gelungen war, zum geschichtlichen Vorbild stilisieren. Und ein Bild Constantin Leccas von 1857 evoziert ein 350 Jahre zurückliegendes historisches Ereignis: Die Versöhnung des moldauischen Herrschers Bogdan des Blinden mit dem walachischen Herrscher Radu dem Großen wird zur Präfiguration der politisch anstehenden Vereinigung der rumänischen Fürstentümer im Jahre 1859.
Die Herrscherproklamation Karls I. (Carol I) 1866, der in Rumänien und Bulgarien als Unabhängigkeitskrieg bezeichnete Russisch-Türkische Krieg 1877-1878, die Königsproklamation Karls I. 1881 sind weitere historische Etappen, die von den bildenden Künstlern Rumäniens aufmerksam verfolgt und mitschaffend begleitet wurden.
So tragen Figuren von Freiheitsallegorien die Gesichtszüge bedeutender Frauengestalten der rumänischen Geschichte, etwa von Maria Rosetti oder von Maria Cantacuzino, so feiern Gemälde von Emil Volkers die Ankunft Karls I. in Rumänien, im Achtspänner und begleitet von trikolorebetressten Reitern, so werden Sava Hen]ia, Carol Popp de Szathmáry, George Demetrescu Mirea und Nicolae Grigorescu zu Kriegsberichterstattern, die den künftigen rumänischen König bei seinen Schlachten mit der Staffelei begleiten, so skulptiert der Bildhauer Karl Storck nicht nur Porträtbüsten von Michael dem Tapferen, sondern auch von Prinzessin Elisabeth und von König Karl I.
Mit dem sechsten Ausstellungsabschnitt („Das Dorf bei Grigorescu“) verlässt die Sequenz der Exponate das primär politische und historische Terrain und widmet sich vermehrt kulturellen und mentalen Konstanten des rumänischen National- und Identitätsbewusstseins, beispielsweise der Idealisierung des Bauerntums, der Hochschätzung der Dorfwelt oder der Verehrung des Natürlichen und Autochthonen.
Rumänen und Rumäninnen in Trachten und regionalen Kostümen werden hierbei zum malerischen Motiv, ebenso Bauern, Schäfer, Schornsteinfeger oder Vertreter anderer Berufe, reale und idyllische Landschaften, Häuser und ihre Interieurs, Dorfleben und Brunnenszenen, Begräbnis und Osternacht, all dies blättert einen künstlerischen Bilderbogen auf, der das rumänische Nationalbewusstsein im Medium der Malerei, der Zeichnung und verschiedener kunsthandwerklicher Objekte widerspiegelt.
Das Traditionelle und Traditionalistische wird dabei zur identitätsstiftenden Matrix, die gleichwohl moderne Einflüsse verarbeitet und in sich aufnimmt, wenn man beispielsweise an Bilder von Camil Ressu, Nicolae Tonitza oder Ion Theodorescu-Sion denkt, die in der Bukarester Ausstellung gezeigt werden.
Wer die sorgsam zusammengestellten Exponate dieser Ausstellung studieren möchte, sollte viel Zeit mitbringen, um die aus verschiedenen Museen des Landes (Bacău, Bukarest, Kronstadt/Braşov und Jassy/Iaşi/) sowie aus eigenen Beständen des Bukarester Kunstmuseums zusammengetragenen Schätze in Ruhe betrachten und genießen zu können.