Orthodoxer Blick auf Heilige der deutschen Lande

Der rumänische Theologe Alexandru Nan präsentiert Lebensläufe gemeinsamer Heiliger der Alten Kirche als verbindende Bezugspunkte des Glaubens

Vorbilder über die Zeiten: Weitere Heilige der deutschen Lande. Edition Hagia Sophia, Wachtendonk 2024, 194 S., ISBN 978-3-96321-193-5, 19,50 Euro

Ikone „Synaxis früher Heiliger der deutschen Lande“ (Titelfoto Band 2). Diese Ikone ist beim Verlag Edition Hagia Sophia in unterschiedlichen Größen erhältlich.

Heilige der deutschen Lande. Auf den Spuren der orthodoxen Heiligen des Westens. Edition Hagia Sophia, Wachtendonk 2024, 218 S., ISBN 978-3-96321-191-1, 19,50 Euro


Die Heiligen und die Heiligenverehrung bilden ein zentrales Element der katholischen und ostkirchlichen Frömmigkeit. Vor allem die Heiligen der Alten Ungeteilten Kirche verbinden bis heute Westkirche und Ostkirche. Die Opfer der Christenverfolgungen des 20. Jahrhunderts wiederum begründen als Heilige eine „Ökumene der Märtyrer“. Indes nehmen westliche und östliche Theologen die Heiligen durchaus durch die je eigene Brille wahr. Der rumänische Erzpriester Alexandru Nan wagt nun einen ganz speziellen Blick auf die Heiligen der deutschen Lande im ersten Jahrtausend aus der Perspektive der orthodoxen Theologie und Frömmigkeit wie auch der Liturgie.      

Nan lebt seit vielen Jahren als Priester der rumänisch-orthodoxen Kirchengemeinde Mariä Verkündigung und Dekan des Kirchenbezirks Bayern-Süd in München. Der promovierte Theologe hat in Hermannstadt/Sibiu und Klausenburg/Cluj-Napoca studiert, aber auch in Chur und Lugano in der Schweiz. Nan wendet sich mit diesem Werk gezielt frühen Heiligen zu, die auch in der Ostkirche anerkannt sind. 

Im ersten Band „Heilige der deutschen Lande“ präsentiert Nan 21 Heiligenviten, im Fortsetzungsband „Vorbilder über die Zeiten“ weitere 26. Er beschreibt jeweils die Lebensläufe, schildert die Frömmigkeit und Glaubenstreue dieser Heiligen, manchmal bis hin zum Martyrium. Immer wieder unterstreicht er die Sorge für die Armen, aber auch den besonderen missionarischen Impetus dieser Heiligen, die sowohl für die kirchliche Entwicklung, als auch für die Kulturgeschichte der entsprechenden Regionen entscheidende Bedeutung erlangten. 

Gerade angesichts der weitgehend erlahmten Bereitschaft zur Neuevangelisation bei den (Amts)Kirchen in deutschen Landen heute und der beinahe schon panischen Abwehr des Missionsgedankens und des Ziels, missionarische Kirche zu sein, ist es umso bedeutsamer, dass in dieser Darstellung des rumänischen Theologen das Wirken der Heiligen und die darin sich widerspiegelnde Kirchengeschichte immer als Missionsgeschichte in Erscheinung treten. Ohne das missionarische wie charismatische Wirken der hier vorgestellten Heiligen wäre die Christianisierung Europas und des deutschsprachigen Raums nicht möglich gewesen.       

Und so stellt Erzpriester Nan heilige Asketen, Missionare und Märtyrer, Mönche, Nonnen und Bischöfe vor, die wie himmlische Lichtfunken für die Kirche wirkten und immer wieder auch als Verteidiger der rechten Lehre in Erscheinung traten, oft gegen erheblichen Widerstand. Auch deren Wunder und Attribute, historische Zeugnisse und Hinweise auf den Beginn der Verehrung werden referiert. Schutzpatrone wichtiger Städte und ganzer Länder kommen hier in den Blick, genauso Gründer und Erneuerer von Klöstern, dazu Missionare und Apostel der frühmittelalterlichen Kirche. 
Dazu zählen die Heiligen Felix und Regula (Schutzpatrone Zürichs), Gallus, Wolfgang (Erneuerer der Klöster und Schutzpatron Bayerns), Pirmin (Schutzheiliger der Insel Reichenau), Willibrord (Apostel der Friesen), der Spitalsgründer Otmar, Korbinian (erster Missionarsbischof in Bayern), Konrad (Schutzherr von Konstanz), Virgil (Bischof von Salzburg), Luzius (Missionar und Landespatron Liechtensteins), Mauritius (Kommandeur der Thebäischen Legion), Valentin (Schutzpatron der Diözese Passau), Ansgar (Erzbischof von Hamburg und Apostel des Nordens), Rupert (Apostel Bayerns), Wiborada (Schutzheilige der Bibliotheken), Bonifatius (Apostel der Deutschen), Bischof Ulrich, Willibald von Eichstätt, Kilian, Kolonat und Totnan als Apostel der Franken bis zur heiligen Afra von Augsburg. 

Die Anordnung der Heiligen erfolgt nach deren Gedenktagen im Kirchenjahr. Für westliche Leser höchst aufschlussreich, werden auch jeweils liturgische Hymnen wiedergegeben (Troparion und Kondakion). In feiner Sprache werden hier die Heiligen in kommemorativer Absicht besungen und um Fürbitte angerufen. So lautet etwa das Troparion für den großen angelsächsischen Missionar Willibald von Eichstätt: „Aus fernen Landen bist du zu uns gekommen, o heiliger Willibald, als Gesandter Gottes zu unseren Vätern. Der Frohen Botschaft Heil und Macht hast du uns gebracht, du hehre Lichtgestalt des Glaubens, von Gottes Gnade hell umstrahlt. Als Zeichen für das Heil der Welt hast du an der Eichenstätte Jesu Kreuz errichtet und darüber unsere Kirche aufgebaut. In der Herrlichkeit bitte nun Christus, deinen Herrn, um Sein Erbarmen für uns alle.“ (Bd. I, S. 87)

Auch der zweite Band liefert wertvolle Einblicke in Leben und Werk zahlreicher Heiliger der deutschen Lande. Hier kommen unter anderem Maximin von Trier (Kämpfer gegen den Arianismus), Emmeram von Regensburg (Missionsbischof in Bayern), Nicetius (Bischof von Trier), Cassius und Florentius von Bonn sowie Gereon von Köln und Viktor von Xanten (Soldatenheilige und Märtyrer der Thebäischen Legion), Leonhard von Limoges (in Bayern sehr verehrt), Eucharius, Valerius und Maternus als die ersten Bischöfe von Trier, Wunibald von Heidenheim, Walburga von Heidenheim (Wundertäterin und Verwandte des Hl. Bonifatius), Liudger (Apostel Westfalens), Alban von Mainz (Kämpfer gegen die Arianer), Goar (der um des Einsiedlerlebens willen vor der Bischofsweihe floh), Liborius von Paderborn (Bischof von Le Mans), Sebaldus (Beschützer Nürnbergs) und Bischof Paulinus von Trier (Verfechter der nizänischen Lehre) zur Sprache.

Dem ersten Band stellt Nan einen Überblick über die frühen christlichen Spuren in der heutigen Schweiz und die Anfänge des Christentums im deutschsprachigen Raum sowie im heutigen Westösterreich voran. Dabei wird auch der Beginn der Kirchengeschichtsschreibung bei Eusebius von Caesarea und Sozomenos markiert. Der Fortsetzungsband startet mit einer Einführung in die Glaubenspraxis der Pilgerreise in der Kirche der Antike als Reisen an heilige Orte zu Andachtszwecken. So habe sich das christliche Pilgerwesen aus dem Besuch Jerusalems und anderer heiliger Stätten als „kulturelle und historische Grundlage der christlichen Pilgerreise“ entwickelt. 

Der rumänische Theologe verbindet mit seinem Doppelband jedoch nicht nur die historische und ökumenische Perspektive, sondern auch das geistliche Anliegen, mit dem gemeinsamen Blick auf diese Heiligen zur Nachfolge Christi und zum Zeugnis des Glaubens in schwierigen Zeiten aufzurufen: „Da die Christen Europas heute zwar manchmal diskriminiert, aber nicht verfolgt werden und noch nicht das Martyrium von ihnen verlangt wird, kann man ihnen nur raten, Christus mit ganzem Herzen nachzufolgen und diese Vorbilder zu ehren.“ (Bd. I, S. 22) 

Dabei geraten diese westlich-katholischen Heiligen als Heilige der Alten Ungeteilten Kirche zugleich als „orthodoxe“ Heilige in den Fokus. Der rumänische Metropolit Serafim von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa aus Nürnberg hält dazu in seinem Geleitwort fest: „Ich bin froh, dass mehr und mehr westliche Heilige des ersten Jahrtausends in den Kalendern der verschiedenen orthodoxen Ortskirchen aufgeführt werden.“ (Bd. I, S. 17) Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, wie viele rumänische orthodoxe Pfarreien und Kirchen im deutschsprachigen Raum auch westliche Heilige als Patrone haben, worauf im Einzelfall hingewiesen wird.  

Die beiden Bände bieten anhand der 47 hier verhandelten Heiligenviten eine allgemeinverständliche und gut lesbare Übersicht über die wichtigsten Heiligen des deutschsprachigen Raums vom 4. bis 10. Jahrhundert und führen zugleich vor, dass Leben und Werk, Wirkung und Rezeption dieser Heiligen immer auch als Missionsgeschichte im europäischen Raum zu lesen sind. Zugleich wird in diesem – übrigens zuerst auf Rumänisch erschienenen – Doppelwerk immer wieder deutlich, wie grundlegend die Heiligen Christen und Kirche in Ost und West geprägt haben und bis heute verbinden. 

Der Einladung des orthodoxen Erzpriesters, die Heiligen immer wieder neu als lebendige wie leuchtende Vorbilder für die eigene Christusnachfolge zu würdigen, kann nur beigepflichtet werden. Betrachtet man die weitverbreitete neue staatliche und gesellschaftliche Feindseligkeit gegenüber den Kirchen heute und den Kampf der – oft wenigen – Aufrechten gegen allerlei lehrmäßige Irrungen und Wirrungen in Theologie und Kirche heute, so ist rasch festzustellen, dass die Herausforderungen und Probleme der Heiligen damals denen unserer Zeit durchaus gleichen. Ein Grund mehr, immer wieder neu Orientierung bei den Heiligen zu suchen.