Im März dieses Jahres wurde in Hermannstadt im Teutsch-Haus ein Buch vorgestellt, das den Titel trägt: „Charles Boner und die Siebenbürger Sachsen.“ Boner war ein englischer Schriftsteller, der sich in den Jahren 1863-1864 in Siebenbürgen aufhielt und die sächsischen Siedlungen von West bis Ost und von Süd bis Nord bereiste. Seine Eindrücke waren vorwiegend positiv, vor allem war er überrascht von der damals noch funktionierenden sächsischen Selbstverwaltung, sowie vom Gemeinschaftssinn der Bauern und Bürger und vom verhältnismäßig hohen Niveau der Lehrer und Pfarrer, welche er ge-radezu als Apostel der Verbreitung von Erkenntnissen und sittlicher Haltung bezeichnete.
Diese hohe Einschätzung der Siebenbürger Sachsen durch einen auswärtigen Zeugen war der Grund dafür, dass gut 80 Jahre später auf Boners Beobachtungen zurückgegriffen wurde. 1945, als durch Deportation, Enteignungen und völlige Entrechtung der deutschen Bevölkerung in Rumänien, die gewachsenen Strukturen schwer erschüttert und weithin aufgelöst waren, wagte es Herman Roth, der nur einem begrenzten Kreis literarisch Interessierten bekannt war, eine Reihe von schmalen Heften unter dem Titel „Sächsische Selbstbesinnung“ herauszugeben, um den völlig verunsicherten Leuten nicht nur etwas Trost zuzusprechen, sondern um ihnen zu einer neuen Orientierung zu verhelfen. Durch verschiedene Hinweise auf kulturelle Leistungen der Sachsen wollte er zu einer inneren Selbstbesinnung führen, zu einer neuen Identitätsfindung, die nicht auf ererbtem Recht, auf Macht oder wirtschaftlicher Überlegenheit aufbaut, sondern auf der in der sächsischen Gemeinschaft seit Jahrhunderten erwachsenen Kultur. Von den geplanten etwa 50 Heften sind nur sieben erschienen, weil im Januar 1948, nach der Vertreibung des Königs, sämtliche deutschen Publikationen untersagt wurden, deren Erscheinen auch bis dahin schon fraglich war. Das vorletzte der publizierten Hefte war glücklicherweise das über Charles Boner und die Siebenbürger Sachsen, das nun in einer Neuauflage, herausgegeben von Hermann Fabini, vorliegt.
Das Buch von Charles Boner, von dem das genannte Heft nur ein Auszug ist, stellt ein einzigartiges Dokument dar für das Dasein und die Lebensweise der Siebenbürger Sachsen um die Mitte des 19. Jahrhunderts; genauer gesagt zwischen der 1848er Revolution und dem sogenannten „Ausgleich“ 1867. Das englische Original erschien in London schon 1865, die deutsche Übersetzung trägt den Titel „Siebenbürgen, Land und Leute“ und erschien drei Jahre danach in Leipzig. Das von Herman Roth 1947 herausgegebene Heft enthält eine Auswahl von Texten aus diesem umfangreichen Werk, dazu ein ausführliches Vorwort, das den Leser zu den ausgewählten Texten hinführt und sie ihm besser verständlich macht. Dieses „Vorwort“ schrieb der namhafte Gymnasiallehrer Theobald Streitfeld aus Mühlbach. Die von Hermann Fabini besorgte Neuauflage gibt den Text des Heftes von Hermann Roth wortgetreu und vollständig wieder, ergänzt es aber durch eine glänzende Auswahl von Illustrationen, die historische Bilder enthält, dazu Aquarelle von Juliana Fabritius und eigene Fotografien des Herausgebers. Diese Bilder verleihen den vorgelegten Texten Farbe und Leben. Dazu kommen vom He-rausgeber Fabini verfasste Texte: zu Beginn eine Einführung und zum Abschluss vier Kurzbiografien. Die Einführung verdient eine besondere Beachtung.
So wie Herman Roth in den erschütternden Nachkriegsjahren eine Herausforderung zur sächsischen Selbstbesinnung erkannte, sieht Hermann Fabini in unserer Zeit eine Krise, die unsere Generation gleichfalls zur Selbstbesinnung ruft. Die Globalisierung sowie die Herrschaft der Marktwirtschaft und der Technik haben weltweit gesiegt, aber der Mensch ist dabei in Gefahr, sein Profil und mithin seine Würde zu verlieren. Es fehlt der heutigen Welt an einer aufbauenden Vision. Verunsicherung und Unzufriedenheit greifen um sich. Neue Nationalismen beunruhigen die Welt, doch sind sie ein Zeichen dafür, dass etwas in dem geltenden System nicht stimmt. Ein neues Suchen nach Identität hat begonnen, wobei durchaus auch kleine Gruppen wie die Siebenbürger Sachsen ein gültiges Beispiel sein können. Fabini setzt sich mit mehreren zeitgenössischen Autoren auseinan-der und das Ergebnis ist ein Aufruf zur Selbstbesinnung. Sicher brauchen wir sie, doch nicht nur als Sachsen. Vielleicht sollte es eine europäische Selbstbesinnung sein – oder noch mehr?
Die Neuauflage des Heftes ist sehr zu begrüßen. Durch die Ergänzungen des Herausgebers ist es zu einem Buch angewachsen, das man nicht nur gerne liest, sondern auch gerne ansieht. Am wichtigsten sind aber die Informationen und die Denkanstöße, die es enthält. Dieses Buch sollte gelesen und beachtet werden!