Konzerte, Meisterklassen und Symposien feiern in Bukarest den hundertsten Geburtstag von Sergiu Celibidache. Einen Einblick aus nächster Nähe in das Leben und Werk des Musikers ermöglichen zudem die Filme, die im Grand Cinema Digiplex Băneasa gezeigt wurden.
Als Eröffnungsevent des Festivals hatte Anfang Mai der Dokumentarfilm „Der Garten des Sergiu Celibidache“ („Le jardin de Celibidache“, Frankreich, 1997) Premiere. Der Regisseur, Serge Ioan Celibidache, dokumentiert die späten Lebensjahre seines Vaters und begleitet ihn mit der Kamera im Haus und Garten in La Neuville-sur-Essonne bei Paris, bei den Proben und Aufführungen mit den Münchner Philharmonikern, zu den Meisterklassen und Besprechungen mit seinen Schülern.
Das Charisma des Musikers, die strenge, kompromisslose Arbeitsweise, seine von Phänomenologie und Buddhismus beeinflusste Gedankenwelt spielen im Film eine wichtige Rolle. Den Kern macht jedoch das „Seelenporträt“ aus, das nur der Sohn aus der Unmittelbarkeit hat erschaffen können. Celibidache war auch in seinen späten Jahren ein Nonkonformist, stets wechselnd zwischen extrovertiert und unerbittlich (am Pult), minutiös und scharf (als Lehrer), humorvoll, mondän, gutmütig (in jedweder Gesellschaft) oder in sich zurückgezogen (daheim).
Celibidache der Kosmopolit, der Orchester in Italien, Südamerika, Skandinavien, Frankreich, Deutschland, England oder Israel dirigiert hat und in mehreren Sprachen gleichermaßen „zuhause“ war, schöpfte Energie vor allem in seinem Garten – kein Wunder dass seine Musik etwas von der Kraft und Schlichtheit der Natur mitnahm. Beinahe hätte man diese Musik anfassen und festhalten können, so stark und lebendig waren die Konturen, so durchdacht die Architektur, so sorgfältig die einzelnen Elemente in ein Ganzes eingegliedert.
Celibidache fordert von seinen Musikern: „Eins wollen wir nicht, und zwar metrisch sein!“ Er legt großen Wert darauf, dass man nicht „der Gefangene der eigenen Persönlichkeit bleibt“ und sich hingegen von Ego-Reaktionen, Minderwertigkeitsgefühlen oder Ungeschicklichkeiten befreit.
Technische Exzellenz ist für ihn selbstverständlich, doch beginnt Musik erst jenseits der Technik. Nicht eine einzige Note dirigiert er von der Partitur. Die Schüler ermuntert er oft alles andere als liebenswürdig: „Es ist grau, du dirigierst schlecht!“ oder „Was machst du da, schwimmst du? Hier ist kein Wasser!“ Wenn dann endlich Musik entsteht, sagt er hocherfreut „Wunderbar die Bläser, bravo!“
Aus der Perspektive des Schülers und des Gesprächspartners zeigt Jan Schmidt-Garre den Maestro im Film „Celibidache“ (Originaltitel „You don’t do anything, you let it evolve“/ „Man tut nichts, man lässt es entstehen“, 1992). Der Streifen ist auf Celibidaches Gedanken über die Tonkunst aufgebaut, beispielsweise „Schönheit ist nicht die Endstation der Musik, sondern der Köder. Dahinter steht die Wahrheit“ oder „Musik ist nicht definierbar durch Denken, aber erlebbar.“
Deshalb bestand der Dirigent und Pädagoge stets darauf, dass die Interpretation nicht „gewollt“ klingt, sondern dass jeder Musiker mit seinen eigenen Mitteln zur Wahrheit gelangt, dass jeder Dirigierschüler „aus dem Bestehenden“ heraus dirigiert, dass er eingestellt ist, „auf was tatsächlich mitspielt“. Eine Theorie, die in jedem Saal und für jedes Stück angewandt werden kann, gibt es für Celibidache nicht.
Es gilt, Spontaneität und Flexibilität zu üben, aus der eigenen Bequemlichkeit herauszutreten, sich an seine eigenen Grenzen zu wagen und sie zu überwinden. Motivieren konnte der Dirigent manchmal auch so: „Ihr habt fantastisch zusammen gebellt, aber ich habe nichts verstanden. Ihr wart lange nicht an der frischen Luft!“
Beeindruckend ist der Filmabschnitt aus Bukarest, wo Celibidache zwei Monate nach der Wende die Münchner Philharmoniker dirigiert. Die Klänge aus dem Rumänischen Athenäum begleiten Bilder aus dem Bukarest des Frühjahrs 1990, mit ausgedienten Dacias, alten Lastern und Bussen, einem armseligen Speiseeis-Kiosk, Plattenbauten und der thronenden Casa Poporului. Im Foyer des Athenäums wird Celibidache gefragt, ob und wie er seine Tradition weitergibt, worauf er simpel und mit seinem leicht moldauischen Akzent erwidert: „Nu exist² tradi]ie!“ („Es gibt keine Tradition!“). Zur Lage in Rumänien sagt er nur: „Ihr tragt alle eine enorme Verantwortung für die mediokre künstlerische Situation, in der sich Rumänien befindet – eines der begabtesten Völker, die ich kenne!“