KULTURHAUPTSTADT TEMESWAR 2023: UNION PLACE – eine kurze Trilogie

Ein Platz der Nationen in einem Mini-Europa

„Union Place – eine kurze Trilogie“ in drei Sprachen wurde an vier aufeinanderfolgenden Abenden in Temeswar aufgeführt. Die nächste Station: das Escher Theater Luxemburg am 20. und 21. Oktober | Fotos: Adrian Pîclișan

Drei Liebesgeschichten an drei verschiedenen Orten in Europa. Anscheinend haben diese Geschichten und Darsteller keine Verbindung zueinander, doch ist es denn tatsächlich so? Mit viel Dynamik und Spannung, anhand zahlreicher aktueller, wichtiger und ernster Themen führt der rote Faden zu einem gemeinsamen Punkt und lässt die Lebensgeschichten an einem imaginären Platz der Nationen zusammenkommen. 
Die dreisprachige Ko-Produktion dreier europäischer Theater – Schauspielhaus Salzburg (Österreich), Nationaltheater Temeswar (Rumänien), Escher Theater in Esch-sur-Alzette  (Luxemburg) – nach einem Text der rumänischen Dramatikerin und ADZ-Redakteurin Elise Wilk feierte am 25. August Premiere am Temeswarer Nationaltheater. Gleich vier Mal wurde in der europäischen Kulturhauptstadt 2023 die Inszenierung in der Regie des rumänischen Regisseurs Alexandru Weinberger-Bara gespielt. In Österreich fand die Uraufführung von „Union Place – eine kurze Trilogie“ am Salzburger Schauspielhaus im Mai statt. Der nächste Halt ist am 20. und 21. Oktober in Luxemburg.

Auswanderung und deren hinterlassene Narben aus dem Kommunismus, Arbeit im Ausland und die im Heimatland zurückgebliebenen Kinder, Eheschließung infolge von Kontaktanzeigen, Untreue in den Beziehungen, Verkuppeln durch Dating-Apps, Unfruchtbarkeit, Leihmütter, Krieg, Unfälle, die Kinder verursachen und Eltern verheimlichen wollen – all das sind die Themen, die in „Union Place“ behandelt werden. Die Lebensgeschichten pendeln mit viel Humor und Sensibilität zwischen Ost und West, zwischen Temeswar, Wien und Luxemburg, zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Wie eine spannende TV-Serie wechseln die Szenen im raschen Tempo, lassen keinen Moment der Ruhe oder Langeweile aufkommen. Man bekommt immer wieder Hinweise auf die Vernetzung der Geschichten und verliert nie den Überblick über das Gesamtbild. 

Um diesen Text, der die drei europäischen Städte verbindet, zu verfassen, hatte Elise Wilk 2022 den Auftrag seitens des Schauspielhauses Salzburg erhalten. So hat sie Liebesgeschichten zwischen Paaren sowie Beziehungen zwischen Eltern und Kindern entstehen lassen. Sieben Schauspieler der drei Partnertheater schlüpfen in die Schuhe der Figuren und vermitteln die Geschichten: Cristina König und Andrei Chifu vom Temeswarer Nationaltheater, Sophia Fischbacher, Wolfgang Kandler, Jens Ole Schmieder und Christiane Warnecke vom Salzburger Schauspielhaus und Philippe Thelen vom Escher Theater. Regie führte Alexandru Weinberger-Bara, der in Rumänien geboren ist, derzeit aber in Österreich lebt und arbeitet. 

Die Inszenierung schafft ein Hin und Her unter den verschiedenen Themen, den Geschichten und Zeiten: vom Paar Mariana – Rudolf (Rudi) in Temeswar (Rumänien), das sich im Jahr 2023 nach 37 Jahren wieder trifft, bis zurück zur Geschichte des gleichen Paars im Jahr 1986, als Rudi vor dem Kommunismus ins Ausland entflieht. Für Mariana ist dies ein ernüchternder Moment, der ihr ganzes Leben prägen wird. Das zweite Paar Sophie – Darius lernt sich in Wien im Jahr 2021 via Technologie kennen. Eine an die falsche Person gesendete Nachricht führt zu einer Affäre, die bis 2022 zu Beginn des Krieges in der Ukraine andauert. Der plötzliche Bruch in der Beziehung führt zu einer Tragödie. Die dritte Geschichte, die des Paars Daniela - Walter, ereignet sich in Luxemburg pünktlich zur Weihnachtszeit 2019. Die ausgewanderte Rumänin, die zu einer Dorfstarsängerin zweiter Hand geworden ist, hat den Deutschen Walter über eine Kontaktanzeige kennengelernt und anschließend geheiratet. Der Sohn von Daniela, Alex, kommt zu Besuch, anscheinend für eine längere Zeit, die Rumänin verheimlicht aber den wahren Grund dafür. 

Kulturelle Unterschiede, Vorurteile und Stereotypen der einzelnen Nationalitäten kommen in dem Stück ans Licht. Man lacht laut bei diesen feinen Hinweisen oder man wird ernst und nachdenklich bei den traurigen Details, eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Dieser Auftrag hat für die Dramatikerin Elise Wilk ganz anders als gewöhnlich begonnen, denn sie musste den Text ausgehend von bereits ausgewählten Schauspielern schreiben. „Die Besetzung war bereits vor einem Jahr bekannt, als der Text noch nicht existierte. Ich habe mich also von den Fotos der ausgewählten Schauspieler für diese Geschichten inspirieren lassen. Nachdem ich den Text fertig geschrieben hatte, musste die Besetzung geändert werden. Drei der Schauspieler mussten aus gesundheitlichen Gründen ausgetauscht werden. Ich hatte befürchtet, dass einige der Details jetzt nicht übereinstimmen würden, aber am Ende hat alles gut geklappt. Bei solchen internationalen Ko-Produktionen kann das Unerwartete viel häufiger vorkommen“, erzählt die Dramatikerin. 

Diese Koproduktion schafft auch eine Brücke zwischen ehemaligen, aktuellen und künftigen Kulturhauptstädten Europas. Esch-sur-Alzette war 2022 Kulturhauptstadt, Temeswar ist es in diesem Jahr und die österreichische Region Bad Ischl-Salzkammergut, in der Nähe von Salzburg, wird im kommenden Jahr den Titel tragen. 

Die Inszenierung feierte Premiere im Mai am Salzburger Schauspielhaus und wurde vom österreichischen Publikum gut aufgenommen. „Ich war überrascht, dass das Publikum so neugierig war, sich nach der Vorstellung mit den Schauspielern zu unterhalten und mehr zu all diesen Themen zu erfahren. Es hat mir bewiesen, dass es Geschichten gibt, die viele nachempfinden können, auch wenn man aus einem anderen Land kommt. Davon war ich sehr angenehm überrascht. Eine interessante Erfahrung war, dass ein Mann aus dem Publikum mir erzählt hat, dass er aus Rumänien stamme und genauso wie der Darsteller im Theaterstück als 17-Jähriger 1986 aus dem kommunistischen Rumänien geflohen ist und dass er im selben Flüchtlingslager gelandet ist wie die Figur Rudolf. Für diesen Mann war es also besonders berührend, diese Geschichte auf der Bühne zu sehen“, setzt Textautorin Elise Wilk fort.

Aktuelle, doch in der Theaterwelt noch eher unbekannte und außergewöhnliche Themen stoßen weiterhin bei Elise Wilk auf Interesse. Das Thema der Migration hat sie vor wenigen Jahren bereits in ihrem Text „Dispari]ii“ („Verschwinden“) behandelt. Der Exodus der Deutschen aus Rumänien ist in der Produktion an gleich mehreren Theatern wiederzufinden. In Rumänien wurde der Text in rumänischer Sprache in Sankt Georgen/Sfântu Gheorghe und in ungarischer Sprache in Neumarkt am Mieresch/Târgu Mures bzw. im Ausland, in Schwedt (Deutschland), Budapest (Ungarn) und Russe (Bulgarien), inszeniert. 

Für 2024 steht für Elise Wilk eine weitere Zusammenarbeit an einem Temeswarer Theater an. Vor Kurzem hat sie einen Text zum Thema Armut geschrieben, dieser wird im Frühling am Deutschen Staatstheater Temeswar (DSTT) als eine neue Koproduktion, diesmal mit dem deutschen Theater Altenburg Gera, uraufgeführt. 

 

*** Dieser Beitrag wurde durch die Finanzierung „Energie! Kreative Stipendien”, die von der Stadt Temeswar über das Projektezentrum im Rahmen des nationalen Kulturprogramms „Temeswar - Kulturhauptstadt Europas 2023” gewährt wurden, verfasst. Die Erstellung gibt nicht unbedingt den Standpunkt des Projektezentrums der Stadt Temeswar wieder und das Zentrum ist nicht verantwortlich für den Inhalt des Beitrags oder für die Art und Weise, wie dieser verfasst wurde.