Am 21. September 1985 wurde der rumänische Bauingenieur, Dichter, Schriftsteller und Dissident Gheorghe Ursu unter irgendeinem Vorwand verhaftet und in das Bukarester Gefängnis Rahova gebracht, wo er zusammen mit zwei gewalttätigen Wiederholungstätern in einer Arrestzelle inhaftiert wurde. Täglich wurde er von der Securitate zu seinem Tagebuch befragt, das aufgrund einer Denunziation durch eine Arbeitskollegin in den Besitz der gefürchteten Geheimpolizei geraten war. Gheorghe Ursu hatte dabei nicht nur die berüchtigten Verhörmethoden der Securitate zu erdulden, sondern wurde außerdem von seinen beiden Zellengenossen sadistisch gequält, die von den wachhabenden Milizmännern dafür freie Hand erhalten hatten. Am 17. November starb der Dissident an den während seiner zweimonatigen Haftzeit erlittenen Verletzungen. Ermittlungen wegen seines gewaltsamen Todes wurden nicht eingeleitet, auf dem Totenschein stand „Peritonitis“ als offizielle Todesursache.
Für die mit Gheorghe Ursu befreundete Dichterin Nina Cassian, die sich im Herbst 1985 mit einem Stipendium in den USA aufhielt, war die Verhaftung des Freundes sowie die Konfiszierung seines Tagebuchs der entscheidende Anlass, nicht mehr nach Rumänien zurückzukehren, sondern im amerikanischen Exil zu bleiben. Der „Fall Babu“, wie der Kasus des getöteten Dissidenten Gheorghe Ursu auch genannt wurde, beschäftigte die rumänischen Gerichte erst eine Dekade nach der Revolution. Es kam zu mehreren Verurteilungen, das Tagebuch von Gheorghe Ursu blieb aber bis heute verschwunden.
Andrei Cohns jüngster Film „Arest“ (Arrest), der auf dem diesjährigen Internationalen Filmfestival Karlovy Vary (KVIFF) seine Weltpremiere erlebte und beim diesjährigen Internationalen Filmfestival Transilvania (TIFF) in Klausenburg/Cluj-Napoca den Spielfilmpreis der „Tage des Rumänischen Films“ erhielt, basiert auf den Schicksalen Gheorghe Ursus und anderer Dissidenten, die in den Kerkern des kommunistischen Rumänien gefoltert und zu Tode gequält wurden. Abgesehen von den Anfangssequenzen, die einerseits die Verhaftung des Dissidenten Dinu (Alexandru Papadopol) an einem Nudistenstrand am Schwarzen Meer und seine Ankunft im Bukarester Gefängnis zeigen, anderer-seits das Gespräch seines Mithäftlings Vali (Iulian Postelnicu) mit einem Securitate-Offizier, der ihm für Gewaltakte gegenüber seinem künftigen Zellengenossen Haftverschonung verspricht, spielt der ganze über zwei Stunden dauernde Film ausschließlich in dieser einen schmutzigen Arrestzelle, in der es neben sechs Stockbetten, einem Tisch mit Stühlen, einem Waschbecken und einem Abtritt nichts gibt als puren Schrecken.
Bereits die erste Begegnung in dieser Arrestzelle zwischen Dinu und Vali, der ständig die körperliche Berührung mit dem aus seinem Sommerurlaub heraus verhafteten Familienvater sucht, lässt eine Atmosphäre subkutaner Präsenz von Gewalt auf der Leinwand entstehen, der sich der Zuschauer bis zum Ende des Films nicht mehr entziehen kann, schon gar nicht mehr nach der ersten plötzlichen Gewalteruption und noch viel weniger nach den sich immer stärker häufenden Gewaltexzessen. Der mit englischen Untertiteln versehene Film Andrei Cohns lässt Gewalt, noch bevor sie körperlich zum Ausbruch kommt, als psychologisches Szenario der Bedrohung, vor allem aber als unablässigen Redefluss zur Erscheinung kommen. Der fast krankhaft geschwätzige Vali spinnt den wehrlosen Dinu immer stärker in den Kokon seiner aggressiven Sprechattacken ein, sodass dieser den ersten körperlichen Angriff Valis bereits willenlos und ohne große Gegenwehr über sich ergehen lässt.
Das logorrhoische Sprechen Valis, das die Register des Scherzens und Umgarnens wie des Befragens, Verhörens und Anbrüllens gleichermaßen beherrscht, verrät natürlich einiges über die Psyche des Delinquenten, noch viel mehr aber über den sozialpsychologischen Zustand der rumänischen Gesellschaft in den späten achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Antisemitismus und ethnische Diskriminierung gehen eine gelungene Symbiose mit dem nationalistischen Diskurs ein, die Hochschätzung rumänischer Poesie und Filmkunst verträgt sich vorzüglich mit der Verehrung westlicher Rock- und Popkultur, das Lob auf die Heimat geht Hand in Hand mit dem Hass auf bourgeoise Intellektuelle aus guten Familien, die nicht in ärmlichen Wohnblocks hausen müssen, sondern zur Not Erbstücke aus Familienbesitz versilbern können, um ihrem kommoden Leben zu frönen.
Was den ohnehin schwer erträglichen Film noch unerträglicher macht, ist die Tatsache, dass der Regisseur, der zugleich das Drehbuch zu „Arest“ schrieb, den Dissidenten Dinu als absolut gewaltlosen, vollkommen beherrschten, perfekt höflichen und zutiefst menschlichen Charakter zeichnet, als echten Leidens- und Schmerzensmann, der an das Gute im Menschen und an die Erziehbarkeit sogar seines Peinigers glaubt. Nur einmal lässt sich Dinu zu einem Akt herablassender Ironie hinreißen, nämlich als Vali ihn zwingt, westliche Rockbands aufzuzählen, die er, Vali, als treuer Hörer von Radio Freies Europa, selbstverständlich auch kennt. Neben den Musikern von Led Zeppelin lässt Dinu dabei auch die Namen von ausländischen Schriftstellern (George Moore, James Joyce, Thomas Mann) fallen, zu denen Vali zunächst zustimmend nickt. Erst am süffisanten Lächeln Dinus merkt er, dass da etwas nicht stimmen kann, und streckt daraufhin seinen Zellengenossen mit einem Kopfstoß nieder, bevor er ihn mit Fäusten traktiert.
Wer die zweistündige filmische Gewaltorgie überstanden hat, wird am Ende mit einem scheinbar friedlichen, aber symbolisch aufwühlenden Bild aus der kinematografischen Arrestzelle nach Hause entlassen. Die von Vali herbeigerufenen Milizmänner finden auf dem Zellenboden den nackten Leichnam Dinus, der seinen schweren Verletzungen erlegen ist, und beginnen damit, ihn zu bekleiden. Was ihm angetan wird, ist aber nicht das Totenkleid, sondern seine Zivilkleidung, in der seine Peiniger ihn aus dem täglichen Leben holten und in der sie ihn nun auf einer Zellenpritsche zur letzten Ruhe betten.