Größe einer Provinz am Rand durch nichts anderes als Industrie

Waagen von „Hess“ und „Balanța“ haben regional und national Geschichte geschrieben

Die alte Personen-Waage, die Teodor Dogaru (vorne links) im Hermannstädter Rathaus vorzeigte, leistet einwandfreie Dienste und wurde gern von Schülerinnen und Schülern ausprobiert, die sich darauf stellten und mit Ausbalancierung durch Eichgewichte ihr Körpergewicht errechneten.

Auch spannende Rechenaufgaben zum Üben von Mengenlehre setzt Teodor Dogaru Kindern und Jugendlichen vor: „Mit Raten geht es nicht!“ Fotos: Klaus Philippi

Hermannstadt – „Der Umzug von Mähren nach Hermannstadt damals war kein Reisen aus einem Land in ein anderes“, stellte am Mittwoch, dem 7. Mai, Handwerker und Sammler Teodor Dogaru im Rathaus-Foyer am Großen Ring/Piața Mare leicht verständlich vor einer kleinen Schulklasse klar, die bei ihm eine Führung durch seine Expo von Waagen der Marken „Hess“ und „Balanța“ gebucht hatte. „Start und Ziel der Reise zählten Anfang des 19. Jahrhunderts zu ein und demselben Imperium“, so das Erklären von Dogaru des Königreichs Österreich-Ungarn, in dessen siebenbürgischer Provinz 1896 Ludwig Hess das erste Atelier für die Produktion von Waagen weit und breit eröffnete. Als Zugewanderter hatte Vorfahre Johann Michael Hess in seiner Hermannstädter Schmiede ab 1805 bestimmt auch Waagen repariert, und keine 100 Jahre später war die Zeit reif für das Herstellen in Eigenregie geworden: „Selber bauen, um nicht mehr auf Ersatzteile aus Wien oder Budapest angewiesen zu sein“, das wäre der Grundgedanke der Waagen-Fabrik „Hess“ gewesen. 170 Arbeitnehmer beschäftigte sie zur Zwischenkriegszeit, und ihr kommunistischer Nachfolgebetrieb „Balanța“ im rumänischen Sibiu brachte es im letzten Jahrzehnt vor dem Fall des Eisernen Vorhangs gar auf 1800 Angestellte.

Der Schulklasse, die sich einen Besichtigungstermin für den finalen Ausstellungs-Tag im Rathaus gesichert hatte, sagte Teodor Dogaru nüchtern, dass längst nicht alle Beteiligten bei Regime-Wechsel die Zwangs-Übergabe der geschätzten „Hess“-Werke in das Eigentum der sozialistischen Volksrepublik begrüßten. Zumal Viktor Hess in Bukarest eine Geschäftsniederlassung gegründet und für die Sache der Fabrik Aktionäre geworben hatte, um in den Ankauf gesamter Werk-Ausstattung aus Wien und Budapest investieren zu können. Bei „Hess“ übrigens wurden nicht nur Waagen produziert, sondern auch allerhand Haushaltsgeräte wie Kühlschränke, Wärmepumpen und sogar Schinkenschneidemaschinen in drei Modellen: „Ein 1938 angefertigtes ist noch heute in einem Temeswarer Restaurant in Gebrauch!“, schwärmt Teodor Dogaru. Koch Manuel Betto Pecori aus Schellenberg/Șelimbăr, dessen Selchwaren aus rumänischem Fleisch nach italienischen Rezepten regional sehr geschätzt sind, hat der Ausstellung von Waagen-Sammler und -Restaurator Dogaru im Hermannstädter Rathaus zur Veranschaulichung eine 2013 gebaute, italienische und 33 Kilogramm schwere Schinkenschneidemaschine geliehen – eine mechanische, die elektronisch betriebenen in Fragen der Verlässlichkeit auf Dauer zweifelsohne überlegen ist. „Glaubt ja nicht, dass ihr auf das Nachschlagen in Büchern verzichten können werdet“, schärfte Teodor Dogaru freundlich den Schülerinnen und Schülern ein, die er für die Neugierde an der Materie zu gewinnen suchte. „Die ersten Nutzer von Kühlschränken und Wärmepumpen um 1900 hatten keine Telefone wie wir heute, aber sie wussten, wie ihre neuen Geräte funktionierten.“ Bezeichnend nicht zuletzt auch das Geschäftsmodell der dreisprachigen „Hess“-Werbematerialien auf Deutsch, Rumänisch und Ungarisch. Ihr abruptes Ende fand die Erfolgsgeschichte 2016 beim Niederreißen der „Balanța“, was Beton auf Waagen stürzen ließ und die unnötigen Schäden maximal in die Höhe trieb. Glücklicherweise ist Teodor Dogaru bemüht, ein großes Stück Industrie-Geschichte in Hermannstadt vor dem Vergessen zu schützen.