Auge in Auge mit Decebal und Dochia

Die Trajanssäule: größtes Erzählfries der Antike, noch lange nicht erschöpfend erforscht

Die Historiker Leonard Velcescu und Constantin Petolescu auf der Konferenzdebatte im Bukarester Schillerhaus Fotos: George Dumitriu

Die Projektion zeigt eine Nachbildung des Trajansforums mit der Trajanssäule in der Mitte.

Bemerkenswert sind die Frisuren der Daker: Die Frauen tragen Stirnbänder und kunstvoll gezwirbelte Haarsträhnen, die Männer Pagenkopf, die Kinder kurze Locken oder viele kleine Zöpfe.

Im Jahr 1856 macht sich ein rumänischer Schäfer aus Cârțișoara, Siebenbürgen, zu Fuß auf den Weg nach Rom. 45 Tage dauert sein Marsch über die Alpen, fünf Paar Opinci soll er auf dem Weg verschlissen haben. Am Ziel angekommen, breitet er seine Unterlage aus und schläft am Fuße der Trajanssäule ein. Am nächsten Tag staunen die Römer nicht schlecht über den seltsam gekleideten Mann: War ein Daker von der Säule herabgestiegen?

Wer wie Badea Cârțan den glühenden Wunsch verspürt, die Trajanssäule zu bestaunen – eines der wenigen historischen „Dokumente“, die die Eroberung Dakiens durch die Römer im 1. Jh. in allen Details beschreibt –, braucht heute nicht mehr nach Rom zu pilgern. Es genügt, die Bukarester Calea Victoriei herunterzuschlendern. Im Lapidarium des dortigen Nationalen Geschichtsmuseums gibt es eine originalgetreue Kopie des 200 Meter langen Erzählfrieses, Maßstab 1:1, in einzelne Szenen zerlegt. Man kann sie bequem auf Augenhöhe studieren, ohne sich den Hals zu verrenken. Obwohl sich der Erbauer des Originals in Rom – kein geringerer als Apollodor von Damaskus – auch darüber Gedanken gemacht hat: Die echte Trajanssäule verbreitert ihren Durchmesser nach oben, wobei die dargestellten Figuren größer werden, um die perspektivische Verkleinerung durch die Höhe auszugleichen.

Seit 113 n. Chr. zierte die Säule das Trajansforum im Herzen von Rom. Letzteres ist längst  verfallen, doch die zentrale Monumentalskulptur aus weißem Carrara-Marmor mit dem größten Relief der Antike überdauerte fast zwei Jahrtausende. An ihrer Spitze thronte die im Mittelalter verschollene vergoldete Bronzestatue des Kaisers. Die Kammer an der Basis barg als Grabmal seine Urne. Im Inneren führte eine Wendeltreppe, erhellt durch von außen fast unsichtbare kleine Fenster, auf eine Aussichtsplattform. Diese ist heute nicht mehr zugänglich, doch starke Abnutzungsspuren verweisen auf eine frühere rege Begehung.

Abriss unter Todesstrafe verboten

Dass die Trajanssäule heute noch steht, verdanken wir einem römischen Dekret, das ihren Abriss unter Todesstrafe verbot. Das Forum hingegen wurde bereits früh für neue Bauten ausgeschlachtet, einige der dort aufgestellten Dakerstatuen finden sich zum Beispiel auf dem Triumphbogen von Kaiser Konstantin wieder. Einst waren es an die hundert, die den rechteckigen Innenhof des Forums schmückten – alle in würdigen Posen, der Betrachter musste den Blick nach oben heben. Die Dakerstatuen des Trajansforums, heute in Museen in aller Welt verstreut, waren Thema der Dissertation von Leonard Velcescu an der Pariser Universität Sorbonne (siehe ADZ, 7. Januar: „Daker als Götter im Herzen von Rom?“). „Stellt man so bezwungene Feinde dar?“, fragte sich dieser – und kommt zu dem Schluss, man müsse die Beziehung zwischen Römern und Dakern völlig neu überdenken.

Des Kaisers bebildertes Kriegstagebuch

Die Daker scheinen kein beliebtes Studienthema zu sein. Velcescus Doktorarbeit aus dem Jahr 2000 ist hierzulande kaum bekannt. Auch die Trajanssäule, Thema seines Vortrags vom 20. Februar im Schillerhaus, ist wissenschaftlich keinesfall erschöpfend behandelt. Das letzte große Referenzwerk, „Die Reliefs der Traianssäule“ von Conrad Cichorius, stammt aus dem Jahr 1896.

Doch warum lohnt sich das Studium des historischen „Comic-Strips“, der auf 124 Szenen 2570 Personen, darunter 634 Daker, sowie Landschaften, Vegetation, Brücken, Festungen, Kampfszenen, römische Legionen und ausländische Hilfstruppen, ihre Waffen, Kleidung, Schmuck und Frisuren darstellt?

Zum einen wegen der Bedeutung der Ereignisse: Cassius Dio beschreibt die beiden Dakerkriege (101-102; 105-106) als schwierigste militärische Konfrontation, die das römische Reich je erlebt hat. Zum anderen aber, weil sich die Motive auf der Trajanssäule von denen anderer Monumente, die römische Siege über „Barbarenvölker“ beschreiben, stark unterscheiden: Während auf der Säule von Marcus Aurelius Germanen gefesselt  und geköpft werden, zeigt die Trajanssäule keinen einzigen erniedrigten oder  gefangenen Daker. Statt dessen bietet Kaiser Trajan Dakerprinzessin Dochia nach der Eroberung ihrer Festung galant den Arm und geleitet sie persönlich auf das Schiff, dass sie und die Kinder nach Rom bringen soll. „Die Säule ist kein militärisches Propagandainstrument“, schließt daraus Velcescu. Sie beschreibt auch Szenen, die den Römern keinesfalls schmeicheln, etwa schwer verletzte Römer oder Belagerungen durch die Daker, fügt er an. Verständlich, musste doch der Kaiser demonstrieren, warum die Eroberung vier Jahre dauerte, argumentiert der Archäologe, der davon ausgeht, dass die Szenen eine Art Kriegstagebuch darstellen – wahrscheinlich sogar die Illustration zu Trajans heute verschollenen Aufzeichnungen „De bello Dacico“. Vermutlich sind die Feldzüge für diesen Zweck von Malern und Bildhauern begleitet worden.

Kunstvolle Frisuren und exotische Krieger

Aufschluss über die Kultur der Daker geben die Szenen mit dakischen Frauen, die durch aufwändige Flechtfrisuren mit Haarbändern, Tüchern und gezwirbelten, hochgesteckten Haarsträhnen beeindrucken. Hinzu kommen Ohrschmuck, Halsbänder und kunstvoll gefaltete Kleider. Ein Kind trägt eine Frisur mit kleinen, nach hinten geflochtene Zöpfchen, die Männer Pagenkopf. Deutlich unterscheiden sich die Gesichtszüge der dargestellten Personen. Die Erwachsenen stellen distanzierte Würde zur Schau, nur auf dem Antlitz eines jungen Mädchens zeigt sich offen Angst. Familien werden fortgeführt: Säuglinge in den Armen der Mütter, Kleinkinder reiten auf den Schultern der Väter. Die ohnehin lebhaften Szenen sind früher wahrscheinlich sogar bunt gewesen. Physiker hätten Reste von Pigment nachgewiesen, verrät Velcescu. Der Brauch, Monumente zu bemalen, ist aus dem Alten Ägypten und aus Griechenland bekannt.  

Interessant sind auch die Hilfstruppen der römischen Legionen – nicht romanisierte, alliierte Völker, die angeheuert wurden, um mit ihren eigenen Waffen und Techniken zu kämpfen, wie Historiker Constantin Petolescu erklärt. Während eine Legion bis zu 6000 Soldaten umfasste, waren diese mit 500 bis 1000 Kämpfern deutlich kleiner. Sie sollten die Mängel der Römer im Nahkampf und auf bergigem Gelände kompensieren. Die Szenen zeigen Germanen und Skandinavier, erkennbar an dem seitlichen zum Knoten gedrehten Zopf, was verhindern sollte, dass ihr feines Haar beim Kampf störte. Auch waren sie wesentlich größer als die Daker und kämpften mit nacktem Oberkörper. Die Hilfstruppen von den Balearen waren als geschickte Steinewerfer bekannt. Mit Steinschleudern trafen sie auf hundert Meter gezielt den Kopf. Die Mauretanier brillierten als reitende Kämpfer, sie bereiteten den Dakern große Probleme, berichtete auch Cassius Dio. Die Palmyrer aus dem heutigen Syrien erkennt man an ihren übergroßen Bögen und den Palmen im Hintergrund, die auf ihre Herkunft verweisen. Unter den Hilfstruppen gab es noch Roxolanen, Asturier, Thraker und sogar Daker. „Nicht alle Daker waren unter Decebal vereint, die freien Daker nahmen nicht an den Kampfhandlungen teil, manche hielten gar zu den Römern“, erklärt Velcescu.

Wie die Kopie der Säule nach Rumänien kam

Die erste Idee, eine Kopie der Trajanssäule ins Land zu holen, hatte Mihail Ko-g˛lniceanu 1876 – nur wenige Jahre nach dem Fußmarsch von Badea Câr]an, der in italienischen Medien Furore machte. Umgesetzt wurde sie jedoch erst 1919 vom Archäologen Emil Panaitescu, der erwirkte, dass der rumänische Staat bei vatikanischen Meistern unter Leitung von Francesco Mercatalli eine Kopie aus weißem Zement mit Marmor-staub bestellte. Die Arbeiten an den Friesen dauerten bis 1940, die am Sockel bis 1943, doch der Auftrag – bereits bezahlt mit vier Millionen Lei – geriet in den Wirren des Zweiten Weltkriegs in Vergessenheit. Erst 1967 wurde die kostbare Reproduktion doch noch ins Land geholt.

Heute müsste Schäfer Badea Cârțan keine Tausende Kilometer mehr zu Fuß gehen. Nicht nach Rom – und nicht mal nach Bukarest. Er könnte sich die Trajanssäule  selbst auf seiner Alm jederzeit per Smartphone auf den Bildschirm holen  (auf der  Webseite des Nationalen Geschichtsmuseums www.mnir.ro gibt es eine 3D-Tour). Freilich nicht die laue Nacht unter dem Sternenhimmel am Fuße der marmornen Säule, die der glühende Patriot dort wohl in inniger geistiger Zwiesprache mit seinen mutmaßlichen Vorfahren verbrachte...