Das Herz der „Pipatsch“ hat aufgehört zu schlagen

Nachruf auf Helen Alba-Kling (25. April 1950 – 20. November 2025)

Bei Rechercheausfahrten waren sie ein eingespieltes Team: Helen Alba und Fotoreporter Karl Szélhegyi-Windberger.

Helen Alba war 2019 die treibende Kraft hinter dem 250-jährigen Ansiedlungsjubiläum von Bogarosch. Fotos: Zoltán Pázmány

Es gibt Begegnungen im Leben, die uns verändern – leise, unaufdringlich, aber tief. Die Nachricht vom Tod von Helen Alba am frühen Morgen des 21. Novembers hat mich mit einer Traurigkeit erfüllt, die schwer in Worte zu fassen ist. Wie beschreibt man eine Frau, die für so viele im Banat eine Institution gewesen ist, und für uns, einst junge Journalisten, eine Freundin und Unterstützerin zugleich?


„Hescht Luscht, mol mit mir noh Bogarosch zu fahre?“ Es scheint, als höre ich wie im Traum Frau Alba genau so, auf Schwäbisch, diese Frage aussprechen, obwohl sie mit mir eigentlich immer Hochdeutsch gesprochen hat. Unsere gemeinsame Fahrt nach Bogarosch, irgendwann im Sommer 2012, werde ich nie vergessen. Wir fuhren durch die Banater Heide, und Frau Alba erzählte mir von ihrer Kindheit, von den Leuten in ihrem Heimatdorf, von Festen und Geschichten, die im Laufe der Jahrzehnte längst zu Legenden geworden waren. In Bogarosch führte sie mich durch die Gassen, als würde sie mir einen Schatz öffnen: „To sin ich in d’ Schul gange … do hen mir g‘spielt ….“ Ich sah ihr Heimatdorf durch ihre Augen – warm, lebendig und voller Stimmen. Und ich begriff: Wer mit Frau Alba unterwegs war, lernte nicht nur ihre Mundart und ihre Geschichten kennen, sondern auch ihr Herz. Ganz unabhängig davon, welches gerade das Recherche-Thema war, wofür die Ausfahrt organisiert wurde. 

Ihr Weg zur Zeitung – damals noch die Neue Banater Zeitung (NBZ) – war keiner, den man planen kann, sondern einer, den ihr das Leben selbst in die Hände legte. Sie erzählte oft, wie sie eigentlich Medizin studieren wollte – wie ein Augenarzt und das Schicksal ihr aber eine andere Richtung gaben. Dass sie diese Wendung nicht wirklich bedauerte, merkte man schnell. Denn an der Zeitung entdeckte sie etwas, das zu ihrem eigentlichen Lebensinhalt werden sollte: die Menschen im Banat. Ihre Geschichten, ihre Sprache, ihre Erinnerungen.

Helen Alba konnte zuhören wie kaum jemand. Und vielleicht ist das der Grund, warum die „Pipatsch“ so viel mehr wurde als lediglich eine wöchentliche Mundartseite in der „Banater Zeitung“. Sie wurde ein Fenster in eine Welt, die sich zu verändern begann, aber durch Helen Albas Arbeit nicht verlorenging. Jede Woche füllte sie diese Seite mit Geschichten, Anekdoten, Beobachtungen und vor allem mit ihrer unverwechselbaren Stimme. Eine Stimme, die lachte, neckte, tröstete, manchmal auch zum Nachdenken anregte, immer aber aus dem Herzen sprach.

Sie kannte jede Ortschaft, jede sprachliche Nuance, und so viele banatschwäbische Familien. Und das war kein Zufall: Über Jahrzehnte war sie mit den Fotoreportern Karl Szélhegyi-Windberger und später mit Zoltán Pázmány durch das Banat gereist, oft über holprige Straßen, bei Wind und Wetter. Sie kam zurück mit vollen Notizblättern, neuen Freundschaften und einem Funkeln in den Augen, das verriet, wie sehr sie diese Begegnungen liebte.

Ihre Arbeit war immer persönlich. So persönlich, dass sie die Pipatsch-Seite selbst dann nicht aus der Hand gab, als sie bereits in Frührente war. Aus ihrer Wohnung heraus – meist früh am Morgen, wenn andere noch schliefen – korrigierte sie Manuskripte, kürzte Texte, suchte Bilder aus, schrieb ihre eigenen Beiträge. Und all das, während sie sich auch um ihren pflegebedürftigen Ehemann Simion kümmerte. 

Als das Alter sie in den letzten Jahren einschränkte, tat sie das Unmögliche: Sie wurde langsamer, aber sie blieb nicht stehen. Ihre „Pipatsch“ erschien weiterhin pünktlich. Wenn sie nicht reisen konnte, kamen die Menschen eben zu ihr – per E-Mail, per Telefon, per Brief. Und Helen Alba antwortete jedem. Sie hatte schon vor einiger Zeit überlegt, die „Pipatsch“ aus der Hand zu geben, doch es waren die Menschen und die vielen Kontakte, die sie nicht verzichten ließen. Regelmäßig belieferten sie ihre ausgewanderten Landsleute mit frischen Mundarttexten und Helen Alba gestaltete damit die Pipatsch-Seite in der BZ, zur Freude so vieler Leser – darunter auch viele Siebenbürger Sachsen.

Ich denke manchmal an den Tag zurück, an dem sie die Ehrennadel in Gold des Demokratischen Forums der Deutschen im Banat erhielt – es war im Herbst 2023. Sie saß in der ersten Reihe, gerührt, aber mit jener Bescheidenheit, die sie auszeichnete. Helen Alba tat alles mit Freude. Mit Leidenschaft. Mit einem tiefen Verantwortungsgefühl gegenüber der banatschwäbischen Kultur, das nicht aus Pflicht entstand, sondern aus Liebe. Zu den besonderen Ereignissen zählt das 250-jährige Ansiedlungsjubiläum ihres Heimatdorfes Bogarosch, das 2019 begangen wurde und dessen Planung und Durchführung Helen Alba eindrucksvoll leitete.

Diese Liebe zeigte sich auch in ihren Büchern, von „E Schmunzle vun der Heed“ über „Schwowischi Gsetzle“ bis hin zu „Die Grellekett“. Sie veröffentlichte als Mitglied des Literaturkreises „Stafette“ zahlreiche Texte und Gedichte im Jahrbuch des Kreises und beteiligte sich an Lesungen im In- und Ausland. Unvergesslich bleibt auch ihre langjährige ehrenamtliche Mitarbeit mit Mundartbeiträgen in den deutschen Sendungen bei „Radio Temeswar“, besonders in der Reihe „Daheim und unterwegs“. Jeden Sonntag war Helen Albas Stimme in den Häusern der Banater Schwaben zu hören und schenkte ihnen ein Stück vertraute Heimat.

Doch Helen Alba war nicht nur Journalistin. Sie war Forumsvorsitzende, Organisatorin unzähliger Veranstaltungen, eine treibende Kraft hinter Jubiläen und Festlichkeiten. Und zugleich war sie Familienmensch. Ihre Kinder Simona und Claudio, ihr Enkel Simon, der 2011 zur Welt kam, waren ihr ganzer Stolz. Wenn sie von ihm erzählte, veränderte sich ihre Stimme, wurde weicher, und ihre Augen leuchtender. 

Die letzten Jahre waren für sie nicht leicht. Die Reisen wurden seltener, der Körper stellte ihr Hindernisse in den Weg, die sie früher mit Leichtigkeit überwunden hätte. Aber das Schreiben – das gab sie nicht auf. Bis zuletzt blieben ihre Gedanken präsent: in der „Pipatsch“, in ihren Radiobeiträgen, in den Geschichten für die Lenauheimer Internetseite. Ihre Worte waren die Brücke, über die sie mit der Welt verbunden blieb.

Nun ist es still geworden um sie. Aber wer Helen Alba kannte, weiß, dass Stille kein Ende ist. Sie ist eine Pause – ein Innehalten, bevor die Erinnerungen zu sprechen beginnen. Und davon gibt es viele. In jeder Ortschaft, die sie besuchte. In jedem Lächeln, das sie hervorbrachte. In jedem Leser, der ihre Zeilen laut lesen musste, um den Klang der Mundart zu spüren.

Für mich bleibt Frau Alba eine Kollegin, wie man sie nur einmal im Leben trifft. Eine Frau, deren Humor oft im richtigen Moment kam. Die nie vergaß, jemanden zu loben, der es nötig hatte – und nie zögerte, jemanden zu ermutigen, der an sich zweifelte. Sie war streng, wenn es um Mundart ging, aber großzügig, wenn es um Menschen ging. Und am Ende war genau das ihr größtes Geschenk an uns alle.

Helen Alba hat die Mundart des Banats bewahrt. Aber sie hat noch etwas anderes bewahrt: die Würde und Wärme einer Kultur, die ohne sie ärmer wäre.

„Heit fehlt uns ihre Stimm. Die ´Pipatsch´ kreischt mit Buchstaawe, Blatt for Blatt... doch mir wisse, dass in jeder Kerweih, in jedem lachende G’sicht, in jeder Erinnerung an ihre G’schichten, sie weider lebt“, schrieb ihr guter Freund Mani Nenadov gestern Morgen in einem herzzerreißenden Nachruf auf Helen Alba in banatschwäbischer Mundart im Sozialnetzwerk „Facebook“. 

Liebe Frau Alba, danke für Ihre Stimme, Ihre Geschichten, Ihr Lachen! Wir werden Sie vermissen – in Deutschland, im Banat und in jeder Pipatsch-Zeile, die wir von nun an mit einem anderen Herzen lesen werden. 

Ruhen Sie in Frieden. Und lassen Sie die „Pipatsch“ in Ihrer neuen Welt genauso blühen wie hier.