Die Deadline rückt näher

Über einen Sektor, der die Wende noch nicht geschafft hat: die Bahn

Ein Alstom Coradia Stream, der erste von 37 bestellten elektrischen Interregios, bei der öffentlichen Vorführung im Gara de Nord, Bukarest, September 2024. Die mit nationalen Mitteln und europäischer Kofinanzierung angeschafften Züge hätten schon vollständig geliefert sein sollen, bisher sind aber erst vier in Rumänien eingetroffen. | Foto: privat

Vor einem Jahr hat der Autor sich hier schon einmal mit dem Zustand der rumänischen Bahninfrastruktur auseinander gesetzt. Schon damals fiel das Fazit bescheiden aus: zu wenig Interesse auf Seiten der Politik, zu wenig Geld, das investiert wird, um die rumänische Bahn auf ein halbwegs zeitgemäßes Niveau zu hieven, dazu gravierende Probleme bei der Umsetzung von Projekten. Ein Jahr später scheinen sich zudem die warnenden Stimmen zu bewahrheiten – entscheidende EU-finanzierte Modernisierungsprojekte könnten ihre Deadline reißen, mit ungewissen Folgen. 

Die Fördermittel aus dem Nationalen Aufbau- und Resilienzplan (PNRR) für die rumänische Bahninfrastruktur waren für Optimisten ein Hoffnungsschimmer: Würden diese Gelder das Bahnfahren in Rumänien endlich angenehmer und attraktiver machen? Stellten sie gar so etwas wie einen Startschuss dar für eine nationale Anstrengung, den Niedergang des Schienentransports zu stoppen? Solche Gedanken waren vermutlich von vorn-herein naiv, die Entwicklungen des letzten Jahres haben sie weiter verstummen lassen. Zeit für eine neuerliche Bestandsaufnahme.   

Zunächst ein Blick auf die Zahlen: Die Anzahl der Passagiere im Bahnverkehr ist im Jahr 2024 gegenüber dem Vorjahr um knapp 5 Prozent zurückgegangen, noch deutlicher war der Rückgang bei den internationalen Verbindungen. Die Bahn war damit der einzige Verkehrssektor, der 2024 kleiner wurde, der Straßenverkehr, Luftverkehr und öffentlicher Personen- und Nahverkehr verbuchten jeweils Zuwächse. Auch die Durchschnittsgeschwindigkeit im Personentransport auf der Schiene sank (alle Daten vom Nationalen Statistikinstitut). 

Krisen beim staatlichen Anbieter im Personenverkehr

Dazu kamen Anfang des Jahres Streichungen von 244 Verbindungen beim staatlichen Anbieter CFR Călători in Folge umfangreicher Last-Minute-Sparmaßnahmen der Regierung (die ADZ berichtete). Mit Beginn der Sommerhitze trudelten dann wieder die Berichte über ausgefallene Klimaanlagen und unerträgliche Temperaturen in den Zügen ein. 

Vor diesem Hintergrund entspann sich im Sommer ein Streit um das zugeteilte Budget zwischen CFR Călători und der Regulierungsbehörde ARF (Autoritatea de Reformă Feroviară) – CFR Călători wird auf das Jahr 2025 bezogen vermutlich weniger Geld aus dem Staatshaushalt erhalten als im Jahr 2024, als das Budget erheblich aus dem Nationalen Reservefonds aufgestockt wurde, wie Europa Liberă România berichtete. Direktor Traian Preoteasa verkündete zudem, dass die Gesellschaft vor der Zahlungsunfähigkeit stünde und fast 100 Mio. Lei Schulden bei ihrem Diesellieferanten habe, was zu (weiteren) Zugausfällen führen könne. Zeitgleich musste sich Preoteasa vor der Presse für sein Einkommen, insgesamt 11.000 Euro/Monat inklusive Mieteinnahmen, bzw. seine zwei Apartments in Dubai rechtfertigen. 

Auch bei den Bahnbeschäftigten ist die Stimmung mies. Hatte die Notverordnung der Regierung vor Jahresende noch dafür gesorgt, dass Überstunden nicht mehr ausbezahlt, sondern nur noch durch Zeitausgleich abgegolten werden dürfen, wodurch de facto betroffene Beschäftigte weniger Geld im Portemonnaie haben, so sahen sich die Gewerkschaften in der aktuellen finanziellen Lage kürzlich gezwungen, einem neuen Kollektivtarifvertrag zuzustimmen, der keinerlei Lohnerhöhung, also auch keinen Inflationsausgleich, vorsieht, wie das Branchenportal Club Feroviar berichtete. 

Von oben drauf geschaut scheint es so, als habe sich die Krise der rumänischen Bahn im letzten Jahr weiter verschärft. Doch wie steht es um die laufenden Modernisierungsprojekte und was sind diesbezüglich die Aussichten für die Zukunft? Die für die Infrastruktur zuständige CFR SA hatte immerhin im Oktober letzten Jahres gemeldet, dass sie „alle Ziele im Rahmen des PNRR erreicht“ und 142 Verträge unterzeichnet habe, wodurch „ca. 967 km Schiene modernisiert, elektrifiziert, repariert und erneuert werden bis ins Jahr 2026“. Alles im grünen Bereich also?

Ambitionierte Projekte hinken hinterher

Experten sehen das etwas anders. Zu Jahresbeginn hatte die Asociația Pro Infrastructură, eine NGO, die sich für die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur in Rumänien einsetzt und entsprechende Maßnahmen monitorisiert – unter anderem, indem sie Teams aus Freiwilligen zu den Baustellen schickt –, eine düstere Prognose zu den laufenden Modernisierungsprojekten veröffentlicht. Im Telefongespräch legte Exekutivdirektor Ionuț Ciurea dem Autor seine Erkenntnisse zu den einzelnen PNRR-Vorhaben auf Grundlage der bisherigen Baufortschritte dar.

Mit Blick auf die Deadline August 2026, die grundsätzlich für alle PNRR-finanzierten Maßnahmen gilt, erklärte er, dass die beiden Modernisierungsprojekte der Strecken Klausenburg/Cluj-Napoca, über Großwardein/Oradea bis Episcopia Bihor bzw. Karansebesch – Temeswar/Timișoara – Arad kaum noch Chancen hätten, fertig zu werden. Bei ersterer hätten zwei der vier Bauabschnitte, bei zweiterer nur einer der ebenfalls vier Abschnitte gute Aussichten auf Abschluss. Ebenso die Erneuerung der Stecke Bukarest – Pitești sei zeitlich deutlich hinterher. Zur Erinnerung, das sind die drei Großprojekte, die im Bereich Schiene innerhalb des PNRR vereinbart wurden.

Darüber hinaus gibt es die deutlich kleineren Quick-Wins-Projekte, punktuelle Eingriffe auf bestimmten Strecken, z. B. um Geschwindigkeitsbegrenzungen zu beseitigen – hier sähe es so aus, als ob diese rechtzeitig abgeschlossen würden. Und Investitionen in den Fuhrpark: Die Modernisierung von 75 Lokomotiven und 139 Waggons sowie die Anschaffung der 16 elektrischen  Lokomotiven könne bis Spätsommer nächsten Jahres abgeschlossen werden, bei den bestellten 20 elektrischen Triebzügen bestehen für Ciurea dagegen große Fragezeichen, trotz Versprechen des Herstellers PESA, diese ab Oktober dieses Jahres und vollständig bis zur Deadline zu liefern. Beerdigt ist das Thema Wasserstoff-Züge, für die es keine entsprechenden Herstellerangebote gab.

Entscheidend für den Erhalt der PNRR-Mittel ist letztlich die erfolgreiche Umsetzung einer Maßnahme, denn die Finanzierung ist „leistungsabhängig“ und an vorher definierte „Etappenziele“ und „Zielwerte“ geknüpft. CFR SA schreibt in einer Stellungnahme gegenüber der ADZ vom 14. Juli 2025, „das größte Risiko der Nichtfertigstellung der Bauarbeiten haben diejenigen Abschnitte, für welche der Start der Ausführung zu spät erfolgt ist“ und nennt den Abschnitt Poieni – Aleșd (Lot 3) auf der Strecke Cluj-Napoca bis zur ungarischen Grenze, sowie den Abschnitt Karansebesch – Lugosch (Lot 1), des entsprechenden Projekts. Außerdem die Abschnitte 1 und 2 – also der Großteil – der Erneuerung Bukarest – Pitești zwischen Chitila – Călinești – Golești.

Schmerzhafter Verlust von EU-Geldern droht

Ciureas bitteres Fazit: „Es ist klar, dass wir Geld verloren haben und es ist klar, 100%, 200%, dass wir noch Geld verlieren werden, die Frage ist nicht ob, sondern wieviel.“ Er weist zudem darauf hin, dass die rumänische Regierung aktuell in Verhandlungen mit der EU-Kommission stehe, um den PNRR zu überarbeiten – sehr wahrscheinlich dürfte es da auch um einige kritische Transportprojekte gehen. Zur Wahrheit gehört auch, dass selbst eine vollständige, termingerechte Realisierung der Bahnprojekte deren Finanzierung nicht definitiv sichern würde, denn der PNRR ist ein Gesamtprojekt, in dem alles mit allem zusammenhängt. Setzt Rumänien bestimmte darin versprochene Reformen nicht um, drohen Kürzungen.

Ein realistisches Szenario ist laut Ciurea der Übergang von nicht fertiggestellten Projekten aus dem PNRR in das Nationale Förderprogramm Transport (PT), allerdings fragt er: Werden dort noch ausreichend Reserven sein? Zumal er die Beschwichtigungen – Wenn wir es nicht in der Deadline schaffen, machen wir es halt mit Mitteln aus dem PT! – nicht nachvollziehen kann. „Wenn wir sie im PNRR-Zeitrahmen abschließen, kriegen wir das Geld von da, im PT bleibt Platz für andere.

Rumänien hat Bedarf nicht in Höhe von 2,3,5 oder 10 Milliarden, sondern in Höhe von sehr vielen zehn Milliarden Euro, um das Schienennetz und das Material dahin zu bringen, wo es sein sollte, auf dem Niveau eines modernen, europäischen Landes in 2025, 2026 etc.“

Von diesem Niveau ist es derzeit meilenweit entfernt, letztlich fehle einfach das politische Interesse und der öffentliche Druck, so Ciurea. Dabei könnte man trotz der bescheidenen Mittel, die investiert werden, deutlich weiter sein. Allerdings stecken wichtige Modernisierungsprojekte oder auch kleinere Reparaturarbeiten immer wieder in der Bürokratie fest, erläutert Ciurea. Ein Baum, für dessen Fällen die Erlaubnis der Umweltbehörde fehlt, ein Bahnhof, der unter Denkmalschutz steht – in der Zusammenarbeit des Transportministeriums mit den anderen involvierten Ministerien lägen die Probleme, es fehle an proaktivem Handeln und Absprachen. Dass es anders geht, zeige der Ausbau der Straßeninfrastruktur: „Im Bereich Straße wird der bürokratische Prozess in 4,5,6 Monaten erledigt, aber im Bereich Schiene in 4,5,6 Jahren“.

Gefragt nach den zukünftigen Schwerpunkten bei der Modernisierung der Bahninfrastruktur antwortete CFR SA der ADZ: „In den kommenden Jahren liegen die Prioritäten des Unternehmens in der Fertigstellung der Abschnitte, die bereits in der Ausführung sind, und der Einleitung der Umsetzung derjenigen Abschnitte, die sich in der Konzipierung bzw. Anschaffung befinden und die als Hauptziel die Modernisierung des Transeuropäischen Transportnetzwerks (TEN-T), Kernnetz und Gesamtnetz, haben“. 

Diesbezüglich führt CFR SA neben den oben bereits genannten Projekten noch die Strecken Km 614 - Simeria und Kronstadt/Brașov – Schäßburg/Sighișoara sowie den Hafen Konstanza auf, alle drei mit EU-Geldern geförderte Projekte des paneuropäischen Korridors IV. Ersteres ist eine Art Dauerbrenner der Modernisierung, die Maßnahme begann bereits 2017 und leidet unter enormen Verzögerungen. Darüber hinaus nennt CFR SA Craiova – Karansebesch und Bukarest – Giurgiu/Grenze. 

Vor dem Hintergrund des „hohen Investitionsumfangs“ und der „Budgetbeschränkungen des rumänischen Staats“ beabsichtige das Unternehmen zur Initiierung neuer Infrastrukturmaßnahmen, „externe nicht-rückzahlbare Fördermittel, für welche CFR SA als Antragssteller förderfähig ist“ zu beantragen. Das Dilemma klingt hier durch, einerseits steigen die Kosten für Baumaßnahmen enorm, die Bahn muss eine Reihe kostspieliger laufender Projekte abwickeln, anderer-seits ist der Bedarf an weiteren Modernisierungen riesig und der rumänische Staat muss einen harten Sparkurs fahren. In welchem Umfang und mit welchen Vorgaben zukünftig neue EU-Töpfe zur Verfügung stehen werden, ist aktuell noch unklar.

Eine Strategie jenseits der EU-Mittel?

Vor einem Jahr hatte der Autor den Journalisten Doru Cireașă vom Club Feroviar um seine Einschätzung zum Zustand des rumänischen Bahnsystems und den Anstrengungen, dieses zu verbessern, gebeten. In einem erneuten Gespräch schilderte er, warum die derzeitigen Bemühungen,  auch wenn diese insgesamt in die richtige Richtung gehen würden, nicht nur in Bezug auf das Ausmaß, sondern auch vom Ansatz her, absolut unzureichend seien.  

„Alles überschneidet sich in dieser Zeit mit staatlicher Sparpolitik, weder die finanziellen Mittel, noch die verbuchten Fortschritte bei der Reparatur der Infrastruktur sind zufriedenstellend. Mehr noch, die rumänische Regierung verlässt sich, meiner Meinung nach, exzessiv, also zu viel auf EU-Fördermittel. EU-Gelder decken aber nur bestimmte wichtige Achsen ab, welche den Hafen Konstanzas, bzw. Bukarest mit dem Westen des Landes und weiter mit Westeuropa verbinden. Der Bahnverkehr in einem Land ist jedoch viel mehr als das. Also nicht immer gibt es eine Übereinstimmung zwischen den Zielen dieser EU-Programme und den industriellen, wirtschaftlichen Bedarfen, das ganze Land betreffend.“

Für die nähere Zukunft seien eigentlich nur der Ausbau wichtiger Ost-West-Verbindungen konkret geplant, ergänzt Cireașă. „Das ganze Moldau-Gebiet wird nicht berücksichtigt bei den wesentlichen Maßnahmen, die Elektrifizierung der Strecke von Konstanza nach Bulgarien ist nicht enthalten, Verbindungen nach Norden, Richtung Ukraine oder Republik Moldau, über die seit Jahren gesprochen wird, sind nicht enthalten. Seit Jahren werden Machbarkeitsstudien gemacht, alle Welt redet davon, die Presse schreibt, aber das Projekt bleibt in der Schublade liegen.“