Die Deportation von Volksdeutschen aus Rumänien

Ein Gespräch mit Hartwig Ochsenfeld, geboren im Donbass (Teil 1)

Familie Eva Arendt - Ochsenfeld Foto: Privatarchiv

Interview mit Hartwig Ochsenfeld – 2018 geführt von Smaranda Vultur in Wolfsberg, Banater Bergland, (2020 auch in „Revista Memoria“ erschienen).

Die Verschleppung der Banater- und Siebenbürgendeutschen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren für Frauen und 17 und 45 Jahren für Männer (die arbeitsfähige Bevölkerung) nach Russland (1945-1949) erscheint in Dokumenten unter dem Namen „Wiederaufbauarbeit in der UdSSR“, was darauf hindeutet, dass es sich um eine Kriegsstrafe handelt, die nach ethnischen Kriterien auf eine Gruppe angewendet wird, die alle als schuldig behandelt und mit dem Nationalsozialismus und Faschismus identifiziert wird. Die Entscheidung, in die UdSSR zu verschleppen und in Arbeitslager zu internieren, fiel durch den Beschluss des Staatlichen Komitees für Verteidigung Nr. 1761 vom 16. Dezember 1944, unterzeichnet von Stalin und sie betraf auch die Volksdeutschen in Jugoslawien, Ungarn, Bulgarien und der Tschechoslowakei. Durch den Beschluss 031 der Alliierten Kontrollkommission vom 6. Januar 1945 aufgrund des Befehls des sowjetischen Oberkommandos wird der Ministerrat, beziehungsweise General R˛descu, über den Befehl zur Mobilmachung der Deutschen der genannten Kategorie vom 10. bis 20. im Januar 1945 und über die Bedingungen für die Aufnahme und Verschleppung informiert. Die rumänischen Beamten versuchten, sich dagegen zu wehren, da eine solche Maßnahme im Waffenstillstandsabkommen nicht vorgesehen war. König Michael selbst versuchte, die katastrophalen Auswirkungen der Vertreibung einer so großen Anzahl von Deutschen (etwa 75.000), Sachsen und Schwaben aus ganz Rumänien, rumänischen Staatsbürgern, zur Arbeit in die UdSSR als verheerend in ihren Folgen zu erklären. Es wird geschätzt, dass die Zahl der Todesfälle 15 bis 20 Prozent betrug, wobei die Schwerkranken in der Zeit vor 1949 nach Hause geschickt wurden. Die Deportation erfolgte vor allem in die Bergbaugebiete des Donbass und in die Wälder des Urals, wo es Arbeitslager unter verheerenden vernichtenden Bedingungen gab. Die Zeugnisse aus jener Zeit durchleuchten präzise und unveröffentlichte, oft schockierende Details über das Leben der Deutschen, aber auch der Russen jener Zeit und zeichnen darüber hinaus ein detailliertes Bild von den Folgen der Deportation auf das individuelle, familiäre und kollektive Schicksal der Deutschen.

        Auszug aus dem Buch, herausgegeben von Smaranda Vultur „Die Deutschen aus dem Banat“

Interview mit Hartwig Ochsenfeld – 2018 geführt von Smaranda Vultur in Wolfsberg, Banater Bergland, (2020 auch in „Revista Memoria“ erschienen).
Mein Name ist Hartwig Ochsenfeld. In meinem ursprünglichen rumänischen Zertifikat heiße ich Hartvig Iosif Iosifovici Ochsenfeld. Hartvig ist im original rumänischen Zertifikat mit „v“ geschrieben. Heute heißt es in meinen Papieren: Iosif Iosifovici Ochsenfeld. Immer abgekürzt durch zwei I nach Hartvig. Ich verdanke es dem Ort, an dem ich am 30. September 1945 im Donbass in einem Zwangsarbeitslager geboren wurde. Doch leider gibt es das Originalzertifikat aus der Sowjetunion nicht mehr.

Ich dachte, da kommt „Iosif Iosifovici“ her?

So stand es in jenem Original, das später in Temeswar transkribiert wurde und dann zu zwei „I“ wurde: Iosif Iosifovici. Ich hatte die sowjetische Staatsbürgerschaft, wie alle Kinder, die dort geboren wurden, und meine Mutter hatte irgendwann Mitte der 50er Jahre Angst. Das zeigt, aus welcher Perspektive die Menschen damals dachten, dass dieser Zustand, in dem Rumänien von der Sowjetunion abhängig war, ewig dauern würde, und dass sie befürchtete, dass ich, wenn ich sowjetischer Staatsbürger bliebe, in der glorreichen Sowjetunion in der Armee dienen müsste, wo die Wehrzeit vier Jahre betrug, im Gegensatz zu den drei Jahren in Rumänien damals. Und das, so erzählte mir meine Mutter, war einer der Gründe, die sie dazu bewogen haben, mich zum rumänischen Staatsbürger zu machen. Mit dem Notar erledigten sie den ganzen Papierkram. Es gab eine schöne Urkunde aus Russland, die ich nie persönlich gesehen habe, sie ist verschwunden. Wahrscheinlich wurde sie in diesem Amt festgehalten. Meine Mutter sagte das immer mit einer Art Bedauern in der Stimme: „Dieses Zertifikat war so schön“.

Wie kam es, dass Sie dort geboren wurden?

Meine Mutter war deutscher Abstammung aus dem Banat und war am 15. Januar 1945 mit 21 Jahren (geboren am 23. Mai 1923 als Eva Arendt) im für die Deportation ausschlaggebenden weiblichen Deportationsalter, das zwischen 18 und 30 Jahren lag, und sie hatte keine Kinder unter einem Jahr, um von der Ausreise befreit zu werden. Sie hatte keine Krankheiten und sie wusste nicht, dass sie mit mir schwanger war. Hätte sie das gewusst, wäre sie von der Verschleppung rechtlich befreit gewesen, denn schwangere Frauen wurden nicht verschleppt. Ich bin im September geboren. Meine Mutter hieß Eva Arendt und ist am 23. Mai 1923 in Warjasch/Varia{, ein Dorf im Nordwesten Temeswars geboren. Sie war vermutlich über viele Ecken mit der bekannten Arendt-Konditorfamilie aus Temeswar verwandt. Aber ich kam nicht in den Genuss, Kuchen aus dieser Konditorei zu essen.

Ihre Mutter wurde also auch aus Warjasch abgeholt und nach Russland verschleppt?

Sie wurde von Warjasch abgeholt, was keine große Überraschung war. Da mein Vater viele Bekannte in Temeswar hatte, wusste er seit etwa Ende Dezember 1945, was passieren würde. Er hatte die Möglichkeit, eine Ausnahmegenehmigung zu beschaffen für meine Mutter, auch ohne zu wissen, dass sie schwanger war, er hätte es mit der medizinischen Kommission geschafft, diese Ausnahmegenehmigung zu besorgen, aber da der Druck der schwäbischen Gemeinschaft in Warjasch zu groß war, da es sogar Morddrohungen gab, veranlasste dies sie aus Angst davor, nach Russland zu gehen. Es gab Vorfälle, bei denen die Gemeindegemeinschaft in der Lage war, ernsthafte Maßnahmen zu ergreifen. Sie beschloss daraufhin zu gehen. Meine beiden kleinen Schwestern blieben allein zurück. Sie waren damals vier und zwei Jahre alt. Heidrun ist 1941geboren und Hergard 1943. So haben alle drei Kinder einen H-Namen (Hergard, Heidrun, Hartwig), was natürlich kein Zufall ist. Meine Mutter heißt Eva, mein Vater heißt Josef, Seppi genannt. Meine Großmutter hieß Katharina, mein Großvater - Hans, der Vater meines Vaters – war der Joseph. Ich sage schöne deutsche Namen, aber zu der Zeit meiner Mutter im Jahr 1937 war dies üblich, als sie Mitglied im Bund Deutscher Mädchen - BDM, eine politische Organisation der Nazis, war. In den Jahren 1937-38 erhielt jedes Mädchen eine Broschüre, genannt „Deutsche Vornamen“. Dort fand meine Mutter diese Vornamen, die künstlich klangen, aber es waren die Nazis, die diese Namen ausgegraben haben. Das kommt nicht von ungefähr. Ab 1937-38, wurden bei den jungen Schwaben und Schwäbinnen Namen ausgegraben, aus allen möglichen deutschen Legenden, von denen ich überzeugt bin, dass sie auch manipuliert waren. Ja, es war eine absolut politische Sache. Obwohl ich in Enachievo, Russland geboren bin, bestand sie darauf, dass ich den Namen Hartwig erhielt. Und ich wurde erst bei der Einreise nach Rumänien getauft. Das war eines der ersten Sachen, die sie nach ihrer Rückkehr beim Eintreffen in  Sighetul Marmarosch im Norden tat, als man sie am 19. Dezember 1945 auf dem Bahnsteig von Sighet erwartete.

Weil sie also ein Kind zur Welt brachte, kam sie also schneller nach Hause und hat Sie dort auf dem Bahnhof getauft?

Ja, sie kam schneller nach Hause, mit dem ersten Transport, bei dem nur Mütter dabei waren, die ein Kind geboren hatten und die Menschen, die im Sterben lagen. Auch auf dem Transport ist so mancher gestorben. Der Transport dauerte fast drei Wochen während des Winters. Die Bedingungen für einen solchen Transport waren nicht günstig. Auch meine Mutter war ein wenig überrascht darüber und obwohl sie nicht sehr religiös war, wie auch in unserer gesamten Familie die Religion keine Rolle gespielt hat, hat sie der Taufe auf dem Bahnsteig trotzdem zugestimmt. Für viele Schwaben in Warjasch spielte die Religion keine Rolle. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass ihre Religion der Erwerb von Land und Reichtum war. Meine Großmutter hat immer gesagt: „Wenn du arm bist, dann hast du viele Kinder und dann bleibst du die ganze Zeit arm, weil du teilen musst...“.

 Es war die Großmutter mütterlicherseits. Das war eine angewandte Philosophie. Sie war eine geborene Lego, sie war also auch französischen Ursprungs.  Ihr Mann ist Arendt. Er hieß auch Hans, aber auf seiner Geburtsurkunde von 1897 stand János. Und meine Großmutter, die Katharina hieß, nannte man Katalin.
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