Es ist aktuell eines der größeren Themen im Wirtschaftsbereich: Die Regierung erwartet ein Defizit von 4,4 Prozent für dieses Jahr. Damit liegt das so genehmigte Defizit deutlich über der auf EU-Ebene akzeptierten Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die EU-Kommission schaltete sich dementsprechend bereits ein, und die ersten Akteure begannen auch schon den Abgesang auf die kürzlich erfolgten Reformen. Auch Valentin Lazea, Chefökonom der Rumänischen Nationalbank, stimmte nun in diesen Chor mit ein. Dieser hatte auf einer Fachkonferenz erklärt, dass es unmöglich sei, die Rentenerhöhung mit einem Haushaltsdefizit von drei Prozent zu vereinbaren. Er erklärt jedoch in keiner Silbe, warum man sich dann von der Rentenerhöhung und nicht von dem angestrebten Defizit verabschieden soll. Vielleicht betrachtet er die Drei-Prozent-Grenze als unumstößlich, als Glaubensgrundsatz: Ähnlich wie streng religiöse Menschen wird er vielleicht nie auf die Idee kommen, dieses wirtschaftswissenschaftliche Dogma je zu hinterfragen. Es ist eines der neuen Gebote, mit göttlicher Hand aus dem blauen Himmel mit zwölf Sternen an die Menschheit überreicht, und jetzt auch in Rumänien erhältlich.
Die Finanzpolitik eines Landes muss sich immer an den wirtschaftlichen Erfordernissen einer Volkswirtschaft orientieren können. Der immer wieder heraufbeschworene Schwellenwert von drei Prozent wird einem solchen Ansatz schlichtweg nicht gerecht. Zudem mangelt es diesem Grenzwert an jeglicher wissenschaftlichen Fundierung, er war lediglich vor mehreren Jahrzehnten der Durchschnittswert der EU-Staaten. Stellen Sie sich einmal vor, Sie geben bei einem Familienessen jedem Gast nur eine durchschnittliche Essensportion auf den Teller. Dann werden Sie schnell feststellen, dass einige nicht aufessen und andere auf einen Nachschlag warten werden. Bei letzteren könnte man jetzt anfangen zu überlegen, dass es dem übergewichtigen Vetter durchaus nicht schaden könnte, mal ein wenig zu hungern, während man den Heranwachsenden eher noch etwas zuschieben möchte. Und als eine solche Heranwachsende unter den Industriestaaten kann die Volkswirtschaft Rumänien betrachtet werden. In dem Moment, in dem Sie beginnen, situationsabhängig zu entscheiden, haben Sie schon mehr gedankliche Flexibilität aufgebracht, als es manche Volkswirte bei dem Thema Staatsdefizit zustande bringen.
Die Festlegung eines Grenzwertes stellt zudem ein undemokratisches Element dar, da es Diskussionen abwürgt. Es ist leichter, auf einen Zahlenwert zu verweisen, als über die Sinnhaftigkeit des Defizits zu diskutieren. Nun kann man hervorheben, dass gerade Notenbanker sich politisch neutral verhalten sollten, wie Technokraten eben. Doch so sehr sich Volkswirte auch hinter Statistiken verstecken mögen, sie sind keine Naturwissenschaftler, sondern Sozialwissenschaftler. Und als solche beeinflussen die eigenen politischen und weltanschaulichen Einstellungen eine jede ihrer Handlungen und ausgesprochenen Empfehlungen. Wenn Ihnen jemand von einem neutralen technokratischen Volkswirt oder Politiker erzählt, können Sie sich mit dieser Person genauso gut über die verschiedenen Käsesorten auf dem Mond unterhalten.
Trotz allem ist es durchaus sinnvoll und empfehlenswert, wirtschaftspolitische Maßnahmen in Bezug auf ihre Folgen und Auswirkungen zu analysieren und zu bewerten. Wenn jedoch das Hauptargument für die Aufhebung oder Aufschiebung der Rentenerhöhungen der Verstoß gegen die Defizitgrenze ist: Ist dann die Rentenerhöhung wirklich eine schlechte Maßnahme? Oder erscheint nicht vielmehr die Defizitgrenze als hinderlich? Rumänien hat keine solche in seiner Verfassung festgelegt und sticht damit positiv heraus unter den EU-Mitgliedsstaaten, insbesondere gegenüber den Schwarze-Null-Fetischisten in Deutschland. Gebunden wird die rumänische Regierung allein durch das Unionsrecht, dem dort verankerten „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ (der Europäische Fiskalpakt ist für Rumänien vernachlässigbar). Für Verstöße gegen den Grenzwert werden zwar Sanktionsmaßnahmen ausgesprochen, dafür wird aber eine qualifizierte Mehrheit im EU-Rat benötigt. Rumänien muss also nur genügend Freunde im EU-Club finden, um Sanktionen gegen sich zu blockieren, die südlichen Mitgliedsstaaten schauen bei diesem Thema schon ganz nett und winken hier auch freundlich.
Lazea fehlen anscheinend auch Grundkenntnisse der Funktionsweise einer Zentralbank in einer Volkswirtschaft. Seine Aussage, dass „dieses Rentengesetz auf Geld basiert, das der rumänische Staat einfach nicht hat“, ist so nicht korrekt: Ein souveräner Staat, also ein Staat mit eigener Währung wie Rumänien, kann nicht pleite gehen, da dieser sich sein eigenes Geld drucken kann. Ein moderner Staat mit souveräner Währung kann nur insolvent oder illiquide werden, wenn politische Hürden aufgebaut werden, wobei dann allerdings die Möglichkeit eines staatlichen Bankrotts gewollt ist und nicht per se durch das staatliche Defizit verursacht wird. Genau das ist eines der Probleme der Euroländer. Die nett winkenden Leute von vorher tragen bei genauerem Hinsehen eine schwere Bürde. Vielleicht ein Glück, dass Rumänien noch nicht den Euro hat.