Ein Rucksack gegen die Unvorhersehbarkeit der Welt

Bildungsprojekt bereitet Jugendliche in Rumänien auf Krisen vor

Das Projektplakat „Rucsacul de Urgență“: Ein symbolischer Leitfaden, der Jugendlichen zeigt, wie ein Notfallrucksack Leben retten kann.

Workshop-Moment: Jugendliche lernen das AMICI-Prinzip – Wasser, Nahrung, Hygiene, Komfort, Information – die fünf Bausteine eines funktionalen Notfallrucksacks.

Vom Frontbericht zur Zivilschutzstunde: Kriegsjournalist Mircea Barbu hat am eigenen Leib erlebt, wie dünn der Faden sein kann, an dem Sicherheit hängt.

Mircea Barbu und Vertreter der ISU erklären Schülern, wie man im Ernstfall richtig handelt. Fotos: Virgil Simonescu

In einer Welt, die sich immer unberechenbarer anfühlt – von Kriegen und Naturkatastrophen bis zu Energiekrisen und Pandemien – wird Zivilschutzwissen zur Bürgerpflicht. Genau hier setzt das Projekt „Rucsacul de Urgență – Educație Civică pentru Reziliență și Pregătire Comunitară“ („Der Notfallrucksack – Bürgerbildung für Resilienz und Gemeinschaftsvorbereitung“) an. Die Initiative des Vereins SAFE RO möchte Jugendlichen vermitteln, wie sie in den ersten 72 Stunden nach einer Krise richtig handeln. Was gehört in einen Notfallrucksack? Wie funktioniert Solidarität im Ernstfall? Und warum kann gelebtes Bürgertum Leben retten? Antworten darauf gibt der rumänische Kriegsreporter, Universitätsdozent und Gründer von SAFE RO, Mircea Barbu, der mit dem rumänischen Department für Notsituationen (DSU) als Partner zusammenarbeitet. In Westrumänien arbeitet Barbu mit dem Temeswarer Fotojournalisten Virgil Simonescu zusammen. 

Der Anstoß für das Bildungsprojekt kam aus Mircea Barbus eigener Erfahrung. „Ich war früher einer der Menschen, die glaubten, dass ihnen nie etwas passieren kann – nicht einmal in einem Kriegsgebiet“, erzählt er. Doch das Leben belehrte ihn anders: Wer in Krisenregionen wie Mariupol evakuiert wurde, weiß, wie dünn der Faden ist, an dem Sicherheit hängt – und wie entscheidend Selbstorganisation sein kann.

Während Notfallrucksäcke weltweit ein Thema sind, fehlte aus Barbus Sicht in Rumänien lange ein strukturierter Zugang. Also beschloss er, sein Wissen weiterzugeben. Besonders an junge Menschen, „die neugierig sind und die Zeit und Offenheit haben, Neues zu lernen“.

Für Barbu ist Zivilschutz kein Nischenthema. Rumänien sei geografisch und geopolitisch vulnerabel – und Katastrophen passieren längst nicht nur im Fernsehen. Gasexplosionen, Überschwemmungen, Erdbebenrisiken: „Das Problem ist, dass der Staat diese Themen nicht ausreichend offen anspricht“, sagt er. Institutionen hätten zwar Fortschritte gemacht, doch die Lücken seien nach wie vor sichtbar. Umso wichtiger seien zivilgesellschaftliche Initiativen, die die Resilienz der Bevölkerung stärken.

Ein Rucksack und ein Wortspiel 

Die Workshops dauern eine Schulstunde – und sind überraschend interaktiv. Die Jugendlichen sollen zunächst selbst einen Notfallrucksack packen, ohne detaillierte Vorgaben. Am nächsten Tag, beim Workshop, wird sortiert: Was ist wirklich nützlich? Was ist unpraktisch, zu schwer oder schlicht unbrauchbar? „Wir konzentrieren uns auf die fehlenden Elemente, um den Rucksack gemäß den Empfehlungen der rumänischen Behörden – https://gotowi.org/ – in ein komplettes Notfallset zu verwandeln“, sagt Mircea Barbu.

Anschließend werden den Schülern zwei konkrete Beispiele vorgestellt: ein „Low-Budget”-Rucksack, der zu Hause mit minimalen Mitteln zusammengestellt werden kann, und ein professioneller Notfallrucksack, der von den Vertretern des Departements für Notfallsituationen (ISU) zusammengestellt wurde. Das Ziel ist es, anhand anschaulicher Beispiele zu verdeutlichen, dass die Unterschiede nicht groß sind und dass jeder einen funktionalen Rucksack haben kann, selbst mit begrenzten Mitteln.

Um das Wesentliche zu behalten, kann man sich auf ein Akronym stützen, das ein einfaches Merkwort zusammenfasst: AMICI – das rumänische Wort für „Freunde“. A steht für Ap˛ (Wasser), M für „Mâncare“ (haltbare Lebensmittel), I – Igien˛ (Hygiene – Hygieneprodukte für alle, je nach Bedarf auch Menstruationshygieneartikel oder Windeln ), C – Confort (Thermischer Komfort – warme Kleidung, Socken, Handschuhe, Mütze), I – Informație (Information: Dokumente, Handy, Radio, Akkus). „Der Notfallrucksack soll der ’beste Freund’ sein – das Bild hilft, sich das Wesentliche zu merken“, sagt der rumänische Journalist Mircea Barbu.

Die ISU-Vertreter erklären den Jugendlichen auch die richtige Vorgehensweise beim Anruf unter der Notfallnummer 112; die wesentlichen Informationen, die dem Disponenten in den ersten Minuten eines Vorfalls mitgeteilt werden müssen und wie eine effektive Kommunikation mit der Familie in Krisensituationen abläuft.

Auch wenn der Workshop nur eine Stunde dauert, sollen die Schüler zwei Wochen später auf das Thema zurückkommen. Unter der Anleitung des koordinierenden Lehrers soll ein „Resilienz-Markt“ organisiert werden, wobei die Jugendlichen ihre verbesserten Rucksäcke präsentieren. Die drei besten Rucksäcke erhalten Anerkennungsurkunden von der ISU, wobei Bewertungskriterien die Vollständigkeit des Inhalts im Vergleich zu der Standardliste, die der SAFE RO-Trainer den Teilnehmern zur Verfügung stellen wird, und ob die Schüler aus eigener Initiative auch Gegenstände für andere Familienmitglieder eingepackt haben, sind.

Ein Blick ins Kriegsgebiet – und zurück nach Hause

Anfang November hielt Mircea Barbu zusammen mit dem Temeswarer Fotojournalisten Virgil Simonescu solche Werkstätten im Kreis Temesch/Timiș ab. Die beiden Journalisten standen vor zwei Jahren gemeinsam an der Front in der Ukraine. Für den Temeswarer Fotoreporter war es eine Erfahrung, die seine Wahrnehmung schlagartig veränderte. „Als ich zurückkam, suchte ich im Blickwinkel reflexartig nach Checkpoints an jeder Straßenkreuzung“, erzählt er. Die Bilder von zerstörten Häusern und verlassenen Straßen ließen ihn noch Tage später nicht los.

Ihre gemeinsame Fotoausstellung „24“, entstand ein Jahr nach Kriegsbeginn, zeigte diese brutale Realität – und wurde in Temeswar im Zentralpark ausgestellt. Nur wenige Tage später wurden ihre Bilder mutwillig beschädigt. Ein Zeichen dafür, wie emotional und polarisiert die Thematik weiterhin ist. 

Was tun mit jenen, die den Krieg leugnen? Für Barbu ist die Antwort klar: Ignoranz und Zynismus sind ein gefährlicher Mix. „Wer die Realität in der Ukraine leugnet, entmenschlicht diejenigen, die ihr Zuhause, ihre Familien, ihr Leben verteidigen“, sagt er. Deshalb hält er Begegnungen mit Jugendlichen für so wertvoll – sie fragen unvoreingenommener, ohne ideologische Last.

Zivilschutzunterricht auf Tour

SAFE RO ist bereits in mehreren Regionen unter-wegs – in Kreisen wie Temesch, Klausenburg/Cluj, Suceava oder im Donaudelta. Besonders in Westrumänien sei die Offenheit groß gewesen: „Der Kreis Temesch und die Stadt Temeswar waren die begeistertste Region. Wir haben die meisten Einladungen von Schulen dort erhalten“, sagt Barbu. Bisher wurde die Werkstatt in Schulen in Fatschet/Făget und Giarmata gehalten sowie ein besonderes Modul am Sitz des LOGS-Vereins in Temeswar.

Dort wurde ein Workshop für ukrainische Flüchtlinge organisiert. Dabei wollten Barbu und Simonescu nicht nur lehren, sondern auch lernen – von den Erfahrungen jener, für die Krieg kein abstrakter Begriff ist.

Plan B, Plan C – und ein Gespräch am Abendbrottisch

Ein zentraler Bestandteil des Projekts ist auch die Vorbereitung der gesamten Familie: Ein gemeinsamer Notfallplan – wo trifft man sich, wenn Telefone ausfallen? Was tut man nach drei Stunden? Nach sechs? „Es wird nie perfekt funktionieren“, sagt Barbu. „Aber jede Struktur erhöht die Chance, in einer Krise zusammenzubleiben“, fährt auch Virgil Simonescu fort.

Zum Notfallkonzept gehört mehr: Wasser-, Lebensmittel- und Energieversorgung zu Hause, alternative Wärmeerzeuger, selbst einfache Solarquellen. „Viele Menschen haben Teile davon, aber wir müssen diese Mentalität an die Risiken von heute anpassen“, sagen die beiden Journalisten. 

Auch Haustiere sollten nicht aus der Sicht verloren werden. Haustierhalter sollen Notfallfutter, Wasser (30 ml pro Kilo Körpergewicht und Tag) und Transportmöglichkeiten einplanen.

Ein Modellprojekt, das sich verbreiten soll

Ermöglicht wird das Programm durch eine Kombination aus Engagement, Zufällen und sozialen Medien, sagt Mircea Barbu. Seine erste Idee entstand in einem Facebook-Post. Darauf folgten Zusagen – sowohl von der Konrad Adenauer-Stiftung in Rumänien als auch vom staatlichen Katastrophenschutz DSU/ISU.

Heute verteilt SAFE RO eine digitale Broschüre, hält Workshops im ganzen Land und möchte weiter wachsen. Die sozialen Netzwerke des Projekts (SAFE.RO) stehen noch am Anfang – aber die Resonanz steigt.

Der Notfallrucksack allein verhindert keine Katastrophen. Aber er kann Angst reduzieren, Handlungssicherheit schaffen – und das Bewusstsein, dass jeder Mensch Teil der Lösung sein kann. Oder wie Barbu es ausdrückt: „Bei den Rumänen steht Resilienz in der DNA. Jetzt müssen wir sie nur noch aktualisieren.“