„Einheit in versöhnter Verschiedenheit“

Die neunte GEKE-Vollversammlung tagte in Hermannstadt

Abstimmungen im Rahmen der GEKE-Vollversammlung in der Hermannstädter Stadtpfarrkirche

Gruppenfoto vor der Ev. Stadtpfarrkirche | Fotos: Focus Photos Agency

Pfarrer Stefan Cosorabă und Pfarrer László-Zoran Kézdi mit der Gruppe der Delegierten in Heltau | Foto: Aurelia Brecht

In der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) sind 96 lutherische, methodistische, reformierte und unierte Kirchen aus über 30 Ländern in Europa und Südamerika zusammengefasst. Der Leitsatz „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ betont, dass die Kirchen, die der GEKE angehören, auch unterschiedlich sein dürfen – Kirchengemeinschaft gilt als dynamisches Projekt, das auf Dialog und Einigung basiert.

Alle sechs Jahre findet die Versammlung statt, die rund 40 Millionen Christinnen und Christen vertritt, sich als evangelische Stimme Europas versteht und sich als solche in den ökumenischen und politischen Diskurs einbringt. In diesem Jahr standen die Themen Migration, Minderheiten, interreligiöser Dialog sowie Demokratie und Kirchen im Mittelpunkt. Die GEKE wurde 1973 unter dem Namen „Leuenberger Kirchengemeinschaft“ gegründet. Sie basiert auf einem im gleichen Jahr ausgearbeiteten, 49 Paragraphen umfassenden Dokument, der „Leuenberger Konkordie“, die damals von 40 Delegierten auf dem Leuenberg bei Basel verabschiedet wurde. Mit der Konkordie wurden die unterschiedlichen Lehrmeinungen zwischen Lutheranern und Reformierten nicht vereinheitlicht; sie gelten aber nicht mehr als kirchentrennend. Mit der Erklärung wurde eine gemeinsame Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft der verschiedenen Kirchen erreicht: So löst die Leuenberger Konkordie das, was Zwingli und Luther im 16. Jahrhundert trennte. 

Unter dem Motto „Im Licht Christi – berufen zur Hoffnung“ tagte die Vollversammlung vom 27. August bis 2. September mit über 200 Delegierten in der Hermannstädter Stadtpfarrkirche. Diese präsentierte sich aus diesem Anlass besonders festlich. Zu Schreibtischen umfunktionierte Kirchenbänke und die Nutzung verschiedener Teile der Kirche für Diskussionsforen verwandelten die Stadtpfarrkirche in einen besonderen Tagungsraum. Vom internationalen Festgottesdienst zu Beginn, über Plenarsitzungen, Arbeitsgruppen und Zukunftsateliers gab es auch ein Zusatzprogramm: So boten sich für Gäste und Beobachter der Vollversammlung zahlreiche Gelegenheiten des Austauschs mit den Organisatoren und Delegierten.

„Gimme Hope“ – Impulsvortrag zum Thema Hoffnung

Dr. Christine Schliesser, Studienleiterin am ökumenischen Zentrum für Glauben und Gesellschaft der Universität Fribourg und Theologieprofessorin in Zürich, leitete ihren Keynote-Vortrag zum Thema Hoffnung mit dem Song von Eddy Grant „Gimme hope, Jo´Anna“ ein: Hoffnung sei nicht zu verwechseln mit Wunschdenken, auch nicht mit Naivität oder Optimismus, sondern zeige sich in Taten. Demzufolge sei Hoffnung das Gegenteil von Resignation. Schliesser begleitet den Versöhnungsprozess im Ruanda-Konflikt: Dort spielt die Kirche eine entscheidende Rolle – 90 Prozent der Bevölkerung in Ruanda sind gläubige Christinnen und Christen.

Liebet eure Feinde…? – Thema „Krieg und Konflikte“

Im Mittelpunkt der Vollversammlung stand auch die derzeitige Weltlage: Die Podiumsdiskussion zum Thema „Zeit der Hoffnung – Kirchen als Akteure im Überwinden von Krieg und Konflikten“ versammelte Kirchenvertreter aus Nordirland, Kroatien, der Ukraine und Russland: Dabei wurde besonders über den Alltag der derzeitigen kirchlichen Arbeit in Kriegszeiten berichtet. Olexandr Gross, Pfarrer und Präsident der Synode der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine (DELKU) betonte, dass man gelernt habe, mit dem Krieg zu leben. Trotz aller Widrigkeiten habe man in den vergangenen Jahren Kinderspielplätze gebaut, Essen verteilt, die medizinische Versorgung der Armee unterstützt und regelmäßig Gottesdienste gehalten, um Raum für Hoffnung und Gebet zu schaffen. Der Vertreter der lutherischen Kirche Russlands, Anton Tikhomirov aus Sankt Petersburg, betonte, dass seine Kirche weiter für den Frieden bete und bestrebt sei, die Beziehungen zu den ukrainischen Schwestern und Brüdern weiter zu pflegen. Von den Auswirkungen und Wunden, die Kriege schlagen, berichteten aus heutiger Perspektive die Vertreter aus Irland und aus Kroatien, die beide die Konflikte in ihren Ländern als junge Menschen miterleben mussten. Nur „langfristiger Beziehungsaufbau, als wichtiges Element von Versöhnungsprozessen“, könne den Ländern und ihren Menschen in der Zukunft aus den schweren Konflikten heraushelfen.

Aktive Jugend – zwischen Partizipation und Mitsprache

Auch Gespräche zum Thema Jugend fanden statt: So trafen sich im Rahmen des Begleitprogramms für Gäste und Beobachter fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Steward-Programm mit dem Publikum: Wie können junge Menschen direkter mitwirken? Wie kann man interkulturell verstärkt ins Gespräch kommen? Ist die Klimakrise ein Thema für die GEKE? Die Stewards sind Freiwillige aus den verschiedenen Ländern der Mitgliedskirchen, die sich um den reibungslosen Ablauf der Vollversammlung kümmern – oft junge Menschen, die Theologie studieren und die sich aktiv einbringen möchten.

Es habe ihr viel Spaß gemacht, die Gemeinschaft unter den Stewards und mit den Delegierten zusammen zu erleben. Sie habe einen Einblick bekommen, wie die GEKE funktioniere, sagt Marit Franzki, die in Zürich Theologie studiert und in diesem Jahr am Steward-Programm der GEKE mitwirkt. Den Austausch, den es dieses Jahr mit Gästen und Beobachtern gegeben hat, würde sie sich bei zukünftigen Vollversammlungen auch mit den Delegierten in einer Art Zukunftsworkshop  wünschen. Zum diesjährigen Ort der Versammlung sagt sie: „Für mich war es eine Möglichkeit, Rumänien und die Region Hermannstadt/Sibiu und auch Mediasch kennen zu lernen. Es war kulturell spannend zu sehen, wie groß hier die deutsche Community ist. Es hat viele von den Stewards weiter gebracht, diesen Teil Europas kennenzulernen.“

Siebenbürgische Luft schnuppern – Ausflüge

Delegierte, Beobachter und Gäste hatten am Sonntag, den 1. September, Gelegenheit, die siebenbürgischen Gemeinden kennenzulernen. Dabei gestalteten Pfarrerinnen und Pfarrer aus ganz Europa die Gottesdienste. Führungen durch Kirchenburgen, Anekdoten und Gespräche füllten die Aufenthalte in den siebenbürgischen Städten und Dörfern mit Leben. Miriam Rose, ehemaliges Mitglied im Präsidium der GEKE, zeigte sich begeistert von der Kirchenburg in Heltau/Cisnădie: „Es ist ein großes Erlebnis und sehr spannend, diese Art von Kirchenarchitektur zu erleben, mit der ummauerten Kirche, die so viel Geschichte erzählt. Ein sehr lohnenswerter Besuch, der die Augen öffnet, wie anders Kirche eben auch hier gelebt hat und leben musste und sich trotz aller Bedrohung so viel Sinn für Schönheit bewahrt hat.“

Abschlussgottesdienst und mehr

Neben den Berichten des Rates und dem des Generalsekretärs Mario Fischer standen im Laufe der Woche die vier Studiendokumente, die von den Delegierten in den Arbeitsgruppen im Laufe der Woche behandelt wurden, im Mittelpunkt: Diese drehten sich um die Themen „christliches Reden von Gott“, „Theologie und Praxis des Abendmahls“, „Kirche und Demokratie“ und „Sexualität und Geschlechterfrage“. Außerdem wurden Stellungnahmen zu den Themenkreisen „Demokratische Kultur stärken, damit Einheit in Vielfalt gelingt“, „Interreligiöse Beziehungen im europäischen Raum im Kontext der gewaltsamen Konflikte im Nahen Osten“, „Migration aus Sicht der Herkunftsländer“ sowie „Kirchliche und Sprachliche Minderheitenexistenz“ veröffentlicht. In den kommenden sechs Jahren sollen die Themen „Menschenbild mit den zunehmenden Möglichkeiten künstlicher Intelligenz und den bioethischen Aspekte aus evangelischer Sicht“, „Konfessionalität in einer postkonfessionellen Welt“ bearbeitet und die Themen „Migration, Friedensethik und Theologie des Wandels“ aufgearbeitet werden. Ferner sollen die Gespräche mit der baptistischen, katholischen und anglikanischen Kirche fortgesetzt werden.

Der festliche Abschlussgottesdienst in der Hermannstädter Stadtpfarrkirche machte die Gemeinschaft der Kirchen eindrucksvoll erlebbar. Die neu gewählte Präsidentin der GEKE, Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche in der Schweiz, betonte in ihrer Predigt, Europa ringe darum, nicht auseinanderzubrechen. Sie regte an, an der Einheit festzuhalten, ohne das Ringen um die Wahrheit preiszugeben. Nur so könnten die Kirchen einen Einfluss auf die Gesellschaft nehmen. Ein erster Beitrag zum Kitt der Gemeinschaft wurde in dieser ersten Septemberwoche der Vollversammlung in Hermannstadt gelegt.