Wenn die Herbstsonne noch einmal golden über die Dächer von Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare steigt, dann weiß man: Es ist Erntedankzeit. In der Temescher Kleinstadt, wo Banater Schwaben, Rumänen, Ungarn, Serben und Bulgaren seit Generationen Tür an Tür leben, ist das traditionelle Erntedankfest längst mehr als nur ein religiöses Ereignis. Es ist ein Stück Identität – ein farbenfrohes Bekenntnis zur deutschen Sprache, zu den Wurzeln und zu einem Miteinander, das über Grenzen hinausstrahlt.
Im Nu füllte sich der Platz vor der katholischen Kirche mit buntem Leben: über 200 Kinder, Lehrer und Eltern zogen in Dirndln, Trachten und Lederhosen durch die Stadt, die Erntekörbchen fest in den Händen. Äpfel, Trauben, Kornähren, Nüsse – Zeichen des Dankes und der Fülle. Die Rekascher Musikanten spielten auf, die Straßen leuchteten in den Farben des Herbstes.
Drinnen, im festlich geschmückten Gotteshaus, zelebrierte Pfarrer Ando Attila eine zweisprachige Messe – deutsch und rumänisch, mit Gebeten auch auf Ungarisch und Bulgarisch. Eine Messe für alle, „interaktiv“, wie viele Besucher später sagten – kindgerecht, herzlich, lebendig. Am Ende segnete der Pfarrer die Erntegaben, und für einen Moment schien die Zeit im Raum stillzustehen – nur das Rascheln der Körbchen und das Licht durch die Kirchenfenster begleiteten den Dank an Gott für die Gaben des Jahres und die Menschen, die dafür und für die Mitmenschen und den Nachwuchs sorgen. Die musikalische Gestaltung der Messe durch die von allen Teilnehmern einstudierten Lob- und Dankliedern brachte das reinste Gefühl aus hellen Kinderstimmen zur Geltung.
Tanz, Musik und Gemeinschaft
Nach der Messe zog die Festgesellschaft weiter vor das Rathaus. Dort wartete bereits das Plateau, auf dem Schülerinnen und Schüler der deutschen Abteilung der Nestor-Oprean-Schule Tänze und Lieder aufführten. Unterstützt wurden sie von den beiden Tanzgruppen „Buntes Sträußchen“ des Deutschen Demokratischen Forums. Kinder aus allen Klassenstufen tanzten – vom vorsichtigen Trippeln der Kleinsten bis zu den präzisen Formationen der Älteren.
Die Ehrengäste – darun-ter der stellvertretende deutsche Konsul aus Temeswar, Siegfried Geilhausen, Fachberater Christian Ax von der Zentralstelle für Auslandsschulwesen und eine Delegation der Ungarndeutschen Selbstverwaltung aus Mohatsch/Mohács – und als Gastgeber Bürgermeister Dănuț Groza erhielten reich gefüllte Erntekörbe. Die Mohácser Gäste, zum ersten Mal dabei, zeigten sich tief beeindruckt. „Es ist faszinierend, wie ähnlich unsere Trachten, unsere Musik und unsere Gefühle sind“, sagte Gabriella Hahner-Feth, Vorsitzende der Selbstverwaltung. „Wir sind alle Minderheiten – aber wir leben mit Stolz und Engagement für unsere Kultur. Wir sind auch daran interessiert, dass man den jungen Leuten, jungen Menschen beibringt, wie wichtig die Traditionen sind, wie wichtig die Sprachkenntnisse sind. Und deshalb war das für uns ein sehr interessanter Ausflug.“ Es war dies ein erster Gegenbesuch der Ungarndeutschen aus Mohatsch, die von den Großsanktnikolausern im Sommer beim 7. Donauländischen Fischfestival besucht worden waren.
Deutsche Sprache als Brücke
Ein besonderer Moment des Tages war die Verleihung der Deutschen Sprachdiplome (DSD I) an 23 Absolventinnen und Absolventen der achten Klasse. Für viele Familien ist das DSD-Zertifikat nicht nur ein Bildungserfolg, sondern ein Symbol dafür, dass deutsche Sprache und Kultur in Großsanktnikolaus lebendig bleiben.
„Es ist harte Arbeit – von der Vorschule bis zur achten Klasse“, sagt Ramona Roosz-Suba, stellvertretende Schulleiterin der deutschen Abteilung. „Aber wenn wir sehen, wie die Kinder vor uns stehen und das Niveau B1 erreichen, dann ist das ein großer Stolz.“ Sie spricht von Liedern, Tänzen, gemeinsamen Vorbereitungen und einem Schulalltag, in dem Deutsch nicht nur gelernt, sondern gelebt wird. „Erntedank ist für uns das erste große Fest des Schuljahres – und vielleicht das wichtigste.
Die Kinder fragen schon im September: Wann ist es endlich so weit?“
Wenn Tradition lebendig bleibt
Dietlinde Huhn, Leiterin des Demokratischen Forums der Deutschen in Großsanktnikolaus, lächelt zufrieden, als sie auf das bunte Treiben blickt. „Es hat ein bisschen hektisch angefangen – die Musikanten kamen zu spät“, erzählt sie. „Aber dann kam die Messe, und sie hat alles ausgeglichen. Die Predigt von Pfarrer Ando Attila war so passend, so modern – sie hat die Herzen berührt.“ Für sie ist das Erntedankfest jedes Jahr eine Bestätigung dafür, dass sich das Engagement lohnt. „Die Kinder, die Tänze, die Musik – das alles verbindet Generationen. Und wenn wir den DSD-Schülern hier ihre Diplome überreichen, sehen auch die Kleineren: Es bringt etwas, sich zu bemühen.“
Dieses Jahr wurden auch die Tanzgruppen ausgezeichnet. Das „Bunte Sträußchen Midi“ errang den dritten Platz beim regionalen Folklore-Wettbewerb, die „Großen“ holten Gold. „Hinter diesen Medaillen steckt viel Arbeit“, sagt Huhn. „Ich wollte das öffentlich würdigen, denn solche Erfolge motivieren. Unsere Gemeinschaft trägt durch jeden Auftritt, durch jeden Tanz etwas zum großen Ganzen bei.“ Der dritte Platz für die jüngere Gruppe war ein umso größerer Erfolg, zumal sie nur wenige Monate davor mit der Bildung der Gruppe begonnen hatten.
Spielen, Lernen, Lachen
Am Nachmittag ging das Fest in eine zweite Runde. Während die Erwachsenen beim Forumstreffen zusammenkamen, startete für die Schüler eine „Stadtrallye - Großsanktnikolaus im Herbst“. Deutschlehrer Andreas Kappel hatte auch in diesem Jahr kreative Stationen vorbereitet: vom Tauziehen über Rätsel bis hin zu einer künstlerischen Aufgabe, bei der die Kinder ein Herbstbild zur Musik von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ gestalten sollten. „Wir wollen Tradition mit Freude verbinden“, sagt Kappel. „Das Lernen passiert hier ganz nebenbei – und bleibt dafür umso länger im Gedächtnis.“ „Ich bin dankbar für alles, was wir hier haben – für die Kinder, die Eltern, die Kollegen, die Gesundheit“, sagt Ramona Roosz-Suba. „Und dafür, dass unsere deutsche Abteilung existiert – mit Leben, mit Freude, mit Sinn.“
Das Erntedankfest in Großsanktnikolaus, das heuer am 28. September begangen wurde, war auch in diesem Jahr mehr als ein traditionsreicher Termin. Es war ein Symbol – dafür, dass Kultur über Generationen hinweg getragen werden kann, wenn Menschen sie mit Herz gestalten. Zwischen den bunten Körbchen, den Trachten und den Liedern lag an jenem Wochenende ein Gefühl, das man kaum in Worte fassen kann – vielleicht einfach nur: Dankbarkeit.









