Ich liebe es, wie ein Kind zu experimentieren

Gespräch mit der Schauspielerin Johanna Adam

„Chaos“, Regie: Johanna Adam Fotos: privat

„Die Firma dankt“, Regie: Theodor-Cristian Popescu

Mehr als ihr halbes Leben stand sie auf den Brettern, welche die Welt sind. Seit 2001 spielt sie an der Deutschen Abteilung des Radu-Stanca-Nationaltheaters in Hermannstadt/Sibiu. Dadurch ist sie im jetzigen Ensemble der Abteilung diejenige, welche die meiste Zeit hier verbracht hat. Neben der Tätigkeit als Schauspielerin hat sie in den letzten zehn Jahren einen wichtigen Teil ihrer Arbeit den Jugendlichen gewidmet. Über Theater, dessen Anforderungen und die der heutigen Jugend sprach mit Johanna Adam ADZ-Redakteur Roger Pârvu.

Welche drei Worte würden Johanna Adam am besten beschreiben?

Freundlich, lebensfroh, anspruchsvoll. Wenn ich noch ein Wort hinzufügen dürfte wäre dieses: nett.

Diese drei Worte sagen uns wie Johanna sich sieht oder wie sie gerne gesehen werden möchte?

Ich versuche, es ein wenig zu erläutern. Ohne Liebe für das, was du machst, ist das Leben traurig. Das trifft insbesondere auf Künstler zu. Ohne einen freundlichen Umgang mit den Kollegen geht im Theater nichts. Man kann im Theater kein Einzelgänger sein, denn Theater geschieht im Treffen mit den Anderen. Ohne anspruchsvoll mit dir selbst zu sein, ist es unmöglich, professionell zu arbeiten. Also würde ich sagen, dass diese Worte mich beschreiben wie ich bin und zugleich wie mich meine Kollegen, Schüler, Studenten sehen.   

Wie leicht oder schwer ist es für dich, die Grenze zwischen Bühne und Alltag zu ziehen?

Für mich sind beide Welten einzigartig. Jede bringt eigene Ansprüche, Hürden, Glück und Freude mit sich. Ich könnte sie nicht vermischen und schätze mich glücklich, dass ich die Gelegenheit habe, aus beiden heraus zu wachsen, als Mensch und als Schauspielerin, und so das Beste, was ich zu bieten habe, ans Licht zu bringen. Das Leben eines Schauspielers ist nicht so sehr verschieden: wir leben, lieben, trauern, weinen und lachen, genau wie jeder andere Mensch. Aber als Schauspieler auf der Bühne haben wir die Gelegenheit, das zu erleben, was eigentlich nicht zu unserem Alltag gehört. Wir entdecken vergangene Zeiten, schlüpfen in die Haut anderer Gestalten mit einzigartigen oder aber banalen Schicksalen. Wir erleben quasi mehrere Leben. Dieses ist das, was mich am Schauspielerdasein fasziniert. Wenn man auf der Bühne steht und all die Sorgen des Alltags verschwinden, denn es ist eine einzigartige Freude.

Wie leicht ist es für dich, zum Beispiel Lady Macbeth zu werden und dabei Johanna zu bleiben. Ist es, wie wenn man den Arbeitskittel ablegt und man geht einfach vom Job nach Hause?

Lustige Frage, da ich Lady Macbeth als junge Absolventin gespielt habe. Ich gestehe, es war nicht leicht, da ich noch so jung war, und eigentlich die Rolle nicht für mein damaliges Alter geschrieben ist. Es war aber auch eine willkommene Herausforderung, als junge Schauspielerin in eine so große Rolle hineinzuwachsen. Für mich ist jede Gestalt, die ich verkörpern darf, etwas Wertvolles. Ich entdecke sie wie ein Kind, das ein neues Spielzeug hat. Mit Neugierde, Spaß und Ehrfurcht.  Die Freude und die Neugierde hält, glaube ich, einen Schauspieler jung. Schauspieler sind und bleiben Künstler, also können wir nicht von einem Job reden, auch wenn wir unser Geld damit verdienen. Ich bemühe mich, durch jede Rolle ein kleines Kunstwerk zu erschaffen. Manchmal, in meiner kreativen Suche, verliere ich das Zeitgefühl, weil es mir so viel Spaß macht, die Gestalt zu finden: wie geht diese Person, die ich jetzt verkörpern soll, wie fühlt sie, welche Stimmlage hat sie usw. Und wenn das Ganze in der Vorstellung Wirklichkeit wird und ich die Energie der Zuschauer im Saal spüre, wird der Abend für mich magisch.

Welches ist deine Einstellung zu der Meinung, dass Kunst politisch sein muss oder aber denkst du, dass Kunst als solche sowieso Politik überdauert und nicht unbedingt vom Tagesgeschehen beeinflusst werden soll?

Politik und Kunst haben eine komplizierte Beziehung. Ich glaube, Theater, seit es Theater über-haupt gibt, war immer ein Spiegelbild der Gesellschaft. Heutzutage können wir in Theatervorstellungen erleben, wie die menschliche Gesellschaft funktionierte, was sie bewegte, was es für Normen gab, was man sich wünschte und wofür man kämpfte. Diese Eindrucke sind für uns auch heute sehr wertvoll. Theater lässt dadurch Geschichte lebendig werden. Natürlich schöpft Theater zugleich auch aus dem Alltag, aus den Sorgen und Schmerzen der zeitgenössischen Gesellschaft. Aber Theater sollte nicht nur die Realität widerspiegeln, sondern sollte es auch wagen, bei Bedarf die Alarmglocken läuten zu lassen, auf Probleme aufmerksam machen, belehren und – warum nicht? – Hoffnung geben.

Wie würdest du den Unterschied beschreiben zwischen dem, was Johanna als Schauspielerin und Lehrerin heute macht, und dem, was sich Johanna als Bru-kenthal-Absolventin versprach, als sie sich entschied, Schauspiel zu studieren?

Es ist ein Riesenunterschied. Als junge, naive Absolventin habe ich mir nicht vorstellen können, was für ein harter Job das sein kein und was er einem abverlangen kann. Man sieht erst mal alles, wie wir es im Theater nennen, „von außen“ - und von außen sieht alles wunderbar aus. Man hat hauptsächlich vor dem Textlernen Angst. Später erfährt man, dass das Textlernen eigentlich das Einfachste am Beruf ist. Ich wurde Schauspielerin, um nicht Lehrerin zu werden, und wie das Leben so spielt, bin ich jetzt beides. Ich hätte nie gedacht, dass meine Schüler und meine Studenten in meinem Leben so eine Bereicherung sein werden. Sie sind meine Inspiration. Ihr Enthusiasmus gibt mir Energie. Sie sind meine strengsten und besten Kritiker. Wenn ich sie im Saal weiß, verspüre ich den Druck, so gut wie nur möglich auf der Bühne zu sein. Ich darf ja nicht die Fehler machen, die ich bei ihnen ankreide. Sie sind zu meinem persönlichen Maßstab geworden. Meine Schüler haben am 11. März um 18 Uhr im Gong-Theater ihre neue Premiere mit den „Die Troerinnen des Euripides“ von Jean Paul Sartre. Ich bin sehr aufgeregt und hoffe, dass alles gut klappt.

Und was würdest du heute der damals 18-jährigen Johanna sagen wollen?

Was würde ich mir selbst sagen? Vielleicht von Anfang an mehr auf Disziplin zu setzen. Wie alle 18-Jährigen habe ich manches nicht so ernst genommen, wie es sein sollte. Das hat aber, glaube ich, auch einen positiven Aspekt, denn dadurch hab ich meiner Kreativität mehr Freiheit geben können. Ich war immer voller Ideen, habe immer neue Möglichkeiten gefunden, wie man das eine oder das andere darstellen könnte, auch wenn es manchmal für alle anderen anstrengend war. Improvisation ist ein sehr wichtiger Bestandteil des Schauspielstudiums. Ich liebe Improvisation, weil ich da immer das Gefühl habe, wie ein Kind experimentieren zu dürfen. Machbares und Nicht-Machbares versuchen zu dürfen, um am Ende eigentlich zum Kern einer Gestalt oder einer Bühnensituation durchzudringen. Es ist die spielerische Art, die mir eher liegt und nicht unbedingt die strenge Disziplin. Als junge Schauspielerin habe ich mir diese Freiheit genommen. Zum Glück hatte ich Professoren, die meine, nennen wir sie mal Verrücktheit, meine Unruhe, gebändigt haben und mich diszipliniert haben. Später im Beruf habe ich gelernt, welche wichtige Rolle Disziplin spielt. Die Freiheit jedoch, diese spielerische Art, hat mir geholfen, Verkrampfungen und so manche Angst zu überbrücken. Die Liebe zur Improvisation, zur ständigen Suche wurde meine Stütze im Kampf mit den Dämonen, mit denen ein professioneller Schauspieler manchmal kämpfen muss.

Du hast in Temeswar studiert. Dort begann auch deine Karriere am Deutschen Staatstheater. Dort hattest du die ersten Treffen mit wichtigen Regisseuren, denken wir nur an Victor Ioan Frunz² und seine bekannte „Mutter Courage“, wo du ja eine der Hauptdarstellerinnen warst. Trotzdem hast du dich entschieden, zurück nach Hermannstadt an die Deutsche Abteilung zu wechseln. Die Abteilung war damals in einer Wiederaufbauphase, nachdem sie durch den großen Einsatz von Schauspielern wie Renate Müller-Nica, Wolfgang Ernst, Gelu Potzolli, Monika Dandlinger u.a. nach der fast kompletten Auswanderung des Ensembles am Leben gehalten wurde.

Ich muss gestehen, es war keine leichte Entscheidung. Ich bin Hermannstädterin und kannte die Deutsche Abteilung natürlich. Ich kannte auch die Schauspieler, die du genannt hast, persönlich. Damals fehlten an der Deutschen Abteilung in Hermannstadt junge Schauspieler. Renate Müller-Nica, damals Intendantin der Deutschen Abteilung, hat mich schon während des Studiums wiederholt gefragt, ob ich nicht nach Hermannstadt kommen würde. Da ich mich in Temeswar sehr wohl fühlte, habe ich mich anfangs geweigert. Meine Eltern, denen ich für die Unterstützung und die Liebe danke, haben sich sehr gewünscht, mich näher zu haben. Da konnte ich nicht mehr „Nein“ sagen. Da ich aber in Temeswar noch in Produktionen engagiert war, habe ich paar Jahre pendeln müssen. Ich probte in Hermannstadt, nahm den Nachtzug nach Temeswar, spielte dort und fuhr gleich zurück zu den Proben. Die Fahrt war lang, aber sie gab mir die Möglichkeit, unterwegs Texte für die neuen Inszenierungen zu lernen. Natürlich war es ermüdend, aber wenn man jung ist, geht das.  Hier am Haus wurde ich sehr herzlich empfangen. Nachdem ich in Hermannstadt Fuß gefasst hatte, fehlte mir das Pendeln. Also arbeitete ich für eine gewisse Zeit auch in Deutschland am Antagon-Theater in Frankfurt. Pendeln mit dem Flugzeug. Es war eine sehr lustige Zeit. Ich denke, ich hatte das Glück, eine sehr abwechslungsreiche Karriere zu haben.

Wie erlebst du die jungen Generationen? Was liegt dir be-sonders am Herzen, dass du ihnen als Lehrerin auf den Weg mitgibst?

Ich arbeite schon mehr als zehn Jahren mit Jugendlichen und jede Generation war anders. Ich glaube, es liegt an dem Lehrer, die Kreativität und das Interesse der Schüler ans Tageslicht zu bringen. Es ist nicht immer leicht, aber die Arbeit lohnt sich. Als Erwachsener vergisst man, wie es ist, Jugendlicher zu sein. Wir haben auch rebelliert und wollten neue Wege gehen. Ich finde das ganz normal und für das Schauspiel eigentlich sehr gut. Ich fördere im Besonderen meine Schüler in ihrer Suche nach ihrer Einzigartigkeit. Ich unterstütze sie, eigene Ideen zu entwickeln und ihre Meinung offen zu sagen. Die Theatergruppe, die ich leite, „ArtAttack“, hat dank der Leidenschaft der Schüler immer wieder Preise gewonnen. Es ist ihre Leidenschaft und ihre harte Arbeit, die dadurch gewürdigt wurde. Als Lehrerin sehe ich mich eher als Wegweiser. Es ist deren Entscheidung, was sie mit dem Gelernten machen. Als Lebensweisheit sage ich ihnen: „dream big“ und arbeite für die Verwirklichung deiner Träume.