Langeweile, leb wohl!

Vom Blick ins Mikroskop zum Blick auf die Welt: Eine Biologin wird Journalistin für Umwelt, Klima, Wissenschaft

Lisbeth Schröder auf Recherchetour

Bei den Schlammvulkanen von Berca | Fotos: Kolja Weber

Zuerst studierte sie Biologie aus Leidenschaft. Danach arbeitete sie im Labor, untersuchte Pilze und Sporen, legte Wurzeln auf Objektträger und fragte sich, ob sie dies wirklich für den Rest ihres Lebens tun wolle. Die gleichen Handgriffe tagtäglich. Sich ein Leben lang auf eine Pilzart spezialisieren. Die Antwort war ein deutliches: Nein! 
Für Biologie interessiert sich Lisbeth Schröder heute immer noch. Doch ihr Alltag sieht nun ganz anders aus: Mal begleitet sie eine dänische Quallenforscherin auf hoher See, mal dreht sie in Bochumer Labors einen Film über Pränataldiagnostik, dann wieder umrundet sie die Brandenburger Seen für eine Umweltreportage oder entwirft am Schreibtisch eine Ratgeberplattform für eine Apothekenzeitschrift. Schon lange hat die 29-jährige Wissenschaftsjournalistin der Langeweile im Labor auf Nimmerwiedersehen hinterhergewunken.

Das Beispiel von Lisbeth Schröder aus Berlin zeigt: Berufsplanung muss nicht immer geradlinig sein. Manchmal darf sie auch Ecken und Kanten haben. Manchmal sind diese Störfektoren sogar das besondere Plus. 

Für den Augenblick mag es einen in seinen Grundfesten erschüttern, wenn man entdeckt, auf dem „falschen“ Weg zu sein, wenn man das Gefühl hat, trotz akribischer Planung vor seinen Erwartungen  versagt zu haben. Wie soll es dann weiter gehen? Soll man „realistisch“ sein, alle Träume in die Tonne treten und einfach weitermachen? Oder sich eingestehen, dass man einen Umweg in Kauf nehmen muss, der Zeit, Geld und vor allem Mut kostet? 

Immerhin ist der Beruf mehr als nur ein Mittel, den Lebensunterhalt zu verdienen. Über ein Drittel unseres Lebens, neben Schlafen und der Organisation des Alltags, nimmt die Arbeit ein. Freizeit und Urlaub sind nur ein Bruchteil dieses letzten Drittels. Wem sein Job nicht gefällt, der hat ein echtes Problem! Freilich bringt auch der Traumberuf nicht immer nur Spaß. Doch Sinn und die Perspektive, sich weiter zu entwickeln, sollte man in seiner Arbeit schon erkennen. Sonst kommt später irgendwann, wenn alle anderen Wünsche im Leben abgehakt sind, das böse Erwachen.

Karriereknick als Atu

Nicht immer muss man für einen bewussten Karriereknick das vorher Begonnene abbrechen, weil es die anfangs gehegten Erwartungen doch nicht erfüllt. Die Alternative ist, den nächstbesten Abschluss anzustreben und dann eine Ausbildung in der gewünschten neuen Richtung oben drauf zu setzen. Lisbeth Schröders Geschichte verdeutlicht: Interdisziplinarität kann ein wertvolles Atu auf der Suche nach beruflicher Selbstverwirklichung sein. So hat ihr das Biologiestudium den Weg in den Journalismus eigentlich erst so richtig geebnet. Denn Journalisten gibt es viele - sie aber hatte ein As im Ärmel: ihr Hintergrundwissen über Naturwissenschaft. 

Nachdem die frischgebackene Biologin gemerkt hatte, dass die intellektuelle Breite, die ein wissenschaftliches Studium bietet, im Alltag des Geldverdienens verloren geht und sie im Labor nicht alt werden wollte, erinnerte sie sich, dass ihr Schreiben und Geschichtenerzählen schon immer Spaß gemacht hatten. So dachte sie schnell an Journalismus und entschied sich, nach München zu ziehen, um sich an der deutschen Jounalistenschule der Ludwig-Maximilians- Universität einzuschreiben, die ein zweijähriges Studium mit paralleller praktischer Ausbildung bot. In den Vorlesungen wurde die Theorie des Journalismus vermittelt, „ethische Fragen zum Beispiel“, im praktischen Teil hat man gelernt, „wie man einen Artikel aufbaut, eine Reportage oder ein Feature schreibt“, erzählt sie. Ein Praktikum bei „Der Spiegel“ gab ihr schließlich den letzten Schliff vor dem Aufbruch in eine neue Arbeitswelt. 

Freiheit und Selbstverantwortung

Heute arbeitet Lisbeth Schröder als freie Journalistin in Hamburg, wo sie sich ein Atelier mit anderen Freiberuflern – die meisten sind Designer und Illustratoren – teilt. „Es ist schön, sich auszutauschen“, sagt sie. Homeoffice sei für sie keine gute Option: „Ich werde müde, gehe zu oft zum Kühlschrank, bin einfach nicht produktiv.“  Hamburg ist nach Berlin und München ihre selbstgewählte Heimatstadt: „Ich mag die Nähe zum Meer, überall Wasser, alte stählerne Brücken...“

Auf die Redaktionen musste sie vor allem am Anfang selbst zugehen. „Man kriegt auch Absagen, normal, wenn Thema schon mal war oder nicht so relevant erscheint, aber es geht auch erstaunlich viel durch.“ Meist bietet sie im Vorfeld eine kleine Zusammenfassung an und fragt dann: „Habt ihr Lust auf das Thema?“ Aber auch soziale Medien helfen: „Twitter ist wichtiger als man denkt, ich zeig da, was ich mache, poste das, seh was andere machen. Es ist auch Eigenwerbung. Ich poste auch, wenn mir Artikel von anderen gefallen. Oder, wenn ein Thema mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte. Ist mir auch schon passiert, dass ich dann ein Jobangebot oder einen Auftrag bekommen habe.“ Auch die Facebook-Gruppe ihrer Ausbildungsstätte oder Wettbewerbe haben ihr schon so manchen Auftrag beschert. „Ich war für den Holtzbrick-Preis für Nachwuchs-Wissenschaftsjournalismus nominiert. Den hab ich zwar nicht bekommen, da bewerben sich Hunderte, aber das haben viele Leute geteilt und ich hatte mehr Aufmerksamkeit.“ 

Inzwischen hat sie sich langsam einen Namen gemacht, etwa die Hälfte der Aufträge kommen von außen auf sie zu. Ihre Artikel erschienen zunächst in kleineren Magazinen, später aber auch in Vorzeigemedien wie FAZ, „Die Zeit“ oder „Der Spiegel“. Auch Videofilmen gehört zu ihrem Repertoire. „Die meisten Leute haben einen Hauptauftraggeber“, erklärt Lisbeth Schröder. „Bei mir ist das noch nicht so. Aber es ist auch schön, sagen zu können, ich hab schon mal für alle was gemacht.“

Ihre Themen kreisen derzeit vor allem um Medizin, Psychologie und Umwelt. „So richtig spezialisiert“, wie die meisten Wissenschaftsjournalisten hat sie sich noch nicht. Noch findet sie die Vielfalt auch spannend: „Einmal hab ich für ein französisches Magazin im Sommer in Dänemark eine Quallenforscherin begleitet.“ Für eine Doku über Pränataldiagnose filmte sie in Bochum „in Labors, die auf Trisomie analysieren“. Und für ihre Reportage über die Brandenburger Süßgewässer, „die sollten renaturiert werden, sie sind in furchtbarem Zustand“, musste sie die gesamte Seenlandschaft abklappern. 

Das richtige Maß an Abenteuer

Austauschstipendien führten sie schließlich sogar nach Osteuropa – zuerst in die Ukraine, „dort gab es einen Austausch zum Wasserschutz“, dann nach Serbien und in die Republik Moldau. „Mein Osteuropa-Bezug ist eher privat“, erzählt Lisbeth. Die Region habe sie fasziniert, seit sie mal per Interrail durch Bulgarien und Serbien gereist sei. „Ich habe auch Russisch gelernt, ich mag den Klang der Sprache. Und über Osteuropa weiß man so wenig...“. Über das Südosteuropa-Stipendium der internationalen Journalistenprogramme, gefördert von der europäischen Klimaschutzinitiative, kam sie schließlich nach Rumänien. „Für mich noch ein blinder Fleck auf der Karte. Ich hatte Lust, das Land kennenzulernen.“ 

So landete sie mitten in der Corona-Zeit in Bukarest, schlug für ein paar Wochen ihre Zelte in der ADZ-Redaktion auf und trampte eigenmächtig durch das Land auf der Suche nach spannenden Geschichten. Umwelt, Klima und Energie – „Themen, die in Osteuropa viel zu wenig behandelt werden“, erklärt sie, „damit die Öffentlichkeit sensibilisiert wird.“ 

Kulturschocks inbegriffen. Positive Überraschungen ebenso. „Krass war, wie mein Taxifahrer vom Flughafen meinte, Corona sei hier gar kein Problem!“ Das war ihr erster Eindruck. Zum Abschied sagt sie dann: „Ich finde es furchtbar, dass viele das Bild haben, in Rumänien läuft alles schief, es sei chaotisch und gefährlich... Also, ich hab das Gefühl gehabt, dass ich hier total sicher bin. Es ist recht fortschrittlich, vieles hat mich überrascht.“ Auch, dass das Essen besser schmeckt: „Die Eier sind leckerer, das Obst und das Gemüse - ich bin oft lieber auf den Markt gegangen. Vor dem Abflug habe ich mich mit Knoblauch, Walnüssen und Käse eingedeckt.“ Die freundlichen Leute: Der BlaBlaCar-Fahrer, der sie noch schnell zur nächsten Bushaltestelle brachte, weil der Bus von der vorigen gerade abgefahren war. Die Gegensätze auf dem Land: Weil es kein öffentliches Verkehrsmittel gab, musste sie zwei Stunden, teils im Dunkeln, nach Roșia Montană laufen... ihre Angst vor Straßenhunden überwinden ... überrascht feststellen, dass es dort zwar Airbnb gab, aber „bei einer urrumänischen Familie, die kein Englisch konnte, mit ganz viel Vișinata“... Auf der Recherche zu Roșia Montană als Weltkulturerbe nach dem Stopp des umstrittenen Bergbauprojekts musste sie sich eine Dolmetscherin suchen: „Es gibt getrennte Kneipen für Leute, die für die Mine sind und andere, die gegen sind. An die wär ich alleine nie rangekommen.“ In Bukarest recherchiert sie zu Müllimporten, interviewt einen von illegalen Verbrennungen Betroffenen, den sie auf Facebook kennengelernt hatte, erklettert mit einem Fotografen stinkende Mülldeponien... Auf einer Declic-Demo stolpert sie über die Problematik nosokomialer  Infektionen, am Schreibtisch korrespondiert sie mit Experten zu den für Rumänien geplanten Kleinkernkraftwerken. Dann geht es wieder nach Deutschland. 

Nicht für jeden geeignet

Für Lisbeth Schröder hat sich der berufliche Umweg gelohnt. Sie mag das unstete Leben. „Aber es gibt Vorteile und Nachteile“, musste auch sie erkennen.  „Phasen, wo ganz wenig los ist – und dann wieder super viel. Man gerät dann in eine Stressspirale, so macht die wenigste Arbeit Spaß. Oder man hat sich selbst verplant und die Reda will nochmal was, dann hat man viele Abgaben zur gleichen Zeit.“ Wenn man nicht aufpasst, bleibt das Privatleben auf der Strecke.  

Am Anfang ihrer Selbstständigkeit hatte sie durchaus auch ein wenig Angst. Nicht für jedermann und nicht in allen Lebensphasen ist es ein Vorteil, sich um alles selbst kümmern zu müssen. „Seit eineinhalb Jahren lebe ich voll davon, kein Nebenjob, keine Abhängigkeit“, sagt Lisbeth. „Doch mittlerweile bin ich recht entspannt. Und sorge immer dafür, dass etwas angespart ist, was ich nicht anrühre.“ Die nächsten Jahre will sie auf jeden Fall so weitermachen. „Es macht super Spaß, man lernt ständig neue Leute kennen – und andere Perspektiven.“