Mit EU-Mitteln zu einem modernen Eisenbahnnetz?

Zum Zustand der rumänischen Bahn und ihrer Erneuerung

Diese Züge warten am Nordbahnhof in Bukarest an einem heißen Tag auf ihren Einsatz. | Foto: Nina May

Wer in diesen Tagen der Sommerhitze in Rumänien Zug fahren möchte, vielleicht in den langersehnten Urlaub am Meer, der sollte sich auf eine nicht funktionierende Klimaanlage einstellen. Wie die rumänische Bahn in einer Pressemitteilung unlängst einräumte, sei ein Ausfallen der Klimaanlagen bei extremer Hitze trotz aller Anstrengungen des Unternehmens nicht gänzlich zu verhindern. Man solle die Reise entsprechend planen und sich vorbereiten, genug Wasser und erforderliche Medikamente dabei haben. Man kann sich die Frage stellen, ob dies eigentlich mehr über den Klimawandel oder den Zustand der rumänischen Bahn aussagt. Ziemlich sicher hat es mit beidem zu tun.

Die Liste an Artikeln von Nachrichtenportalen und Tageszeitungen, in denen die rumänische Bahn „auseinander genommen“ wird, ist lang. Da sind diejenigen, die auf den schlechten Zustand des Schienennetzes und der Züge abheben und in diesem Zusammenhang unverhältnismäßig lange Reisezeiten, Verspätungen und fehlenden Komfort bemängeln. Andererseits gibt es zahlreiche Berichte über finanzielle Probleme der einzelnen Bahngesellschaften, öfter auch versehen mit Kritik an deren Management. Aber – und das macht ein wenig Hoffnung –, es gibt auch eine ganze Menge Artikel über geplante Modernisierungsarbeiten, bzw. – das dämpft die Stimmung dann wieder – Schwierigkeiten bei deren Umsetzung.

Die staatliche rumänische Bahngesellschaft CFR (Compania Națională de Căi Ferate) wurde 1998 zerteilt in eine Handvoll (finanziell) von einander unabhängiger Unternehmen. Der Staat ist nach wie vor Eigentümer des Schienennetzes. Bis heute besteht der Dreiklang aus CFR S.A. (zuständig für die Verwaltung der Infrastruktur), CFR Călători (Anbieter des Passagiertransports) und CFR Marfă (Anbieter des Gütertransports).  Darüber hinaus gibt es eine Reihe von privaten Firmen, die Passagier- bzw. Gütertransporte auf der Schiene anbieten, die in diesem Artikel aber nicht im Mittelpunkt stehen. Der Marktanteil der CFR liegt im Personenverkehr bei ca. 78 % (Anzahl aller Fahrten).

Die CFR S.A. bekommt Mittel aus dem Staatshaushalt sowie von den Anbietern (staatlich oder privat) Gebühren für die Nutzung der Infrastruktur (TUI). CFR Călători hat neben den Haushaltsmitteln Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf. Beide können in bestimmtem Umfang und zu bestimmten Zwecken zudem auf EU-Gelder zurückgreifen. Organisiert als Aktiengesellschaften, mit dem rumänischen Staat als einzigem Aktionär, erbringen sie die Dienstleistungen auf Grundlage eines Vertrages mit dem rumänischen Transportministerium. 

Anzeichen eines Niedergangs

Die Idee hinter der Aufteilung 1998 waren Effizienzgewinne, verbessert hat sich jedoch weder für die Anbieter noch für die Kunden etwas. Experten und die rumänische Bahn selber sprechen viel mehr von einem jahrzehntelangen Niedergang. Belege dafür gibt es genug. Über 10.000 Kilometer beträgt das rumänische Schienennetz, doch nur etwa 40 Prozent davon sind elektrifiziert, so dass mit Strom angetriebene Züge darauf fahren können. Auf dem Rest sind Dieselloks unter-wegs mit deutlich höherer Umweltbelastung. Vielerorts ist zu lesen, dass in den letzten 30 Jahren kein einziger Kilometer Schiene elektrifiziert wurde.

Ein weiteres Beispiel: Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Züge im Personenverkehr liegt heute unter der von Anfang der 1990er Jahre. Aktuell beträgt sie etwa 47 km/h – dementsprechend die langen Fahrtzeiten auf fast allen Strecken. Die geringe Geschwindigkeit kommt in erster Linie dadurch zustande, dass an sehr vielen Stellen Schienen, Brücken und Tunnel eine schnellere Fahrt nicht erlauben – zu groß wäre die Unfallgefahr. Wie Doru Cireașă, Journalist beim Club Feroviar, erläuterte, gibt es aktuell über 400 solcher neuralgischer Punkte im System und die Bahngesellschaft CFR S.A. kommt mit der Reparatur nicht hinterher. Es kämen mehr neue Problemstellen dazu als alte ad acta gelegt würden. Natürlich gehen auch Reparatur- und Modernisierungsarbeiten zunächst auf Kosten der Fahrtgeschwindigkeit. CFR S.A. beschreibt den Zustand des Schienennetzes bzw. der Bahnhöfe in einem Bericht übrigens selber in drastischen Worten, es fehle nicht viel und man müsse über die Schließung bestimmter Streckenabschnitte aus Sicherheitsaspekten nachdenken.

Dann noch ein Blick auf den Fuhrpark des staatlichen Anbieters im Personenverkehr CFR Călători: In einem Strategiepapier von 2023 beziffert dieser das Durchschnittsalter seiner Lokomotiven, Triebwagen und Triebzüge mit 52 Jahren, 90 Prozent der Waggons hätten bereits den fälligen Überholungstermin überschritten. Die daraus resultierenden Probleme liegen auf der Hand: Hohe Instandhaltungs- und Energiekosten, Einschränkungen bei der Leistung und die Tatsache, dass immer weniger Material zur Verfügung steht, da vieles (insbesondere Waggons) aussortiert werden muss.

Auch finanziell geht es den Bahngesellschaften schlecht. Sowohl CFR S.A. als auch CFR Călători verbuchten in den letzten Jahren Verluste im (bis zu) dreistelligen Millionenbereich (Lei). Als Ursachen dafür werden einerseits steigende Ausgaben genannt – man denke an die Energiekosten –, andererseits eine „gravierende Unterfinanzierung“ aus öffentlichen Mitteln. Nach Berechnungen der CFR S.A. decken etwa die geplanten staatlichen Mittel für die Bahninfrastruktur im Jahr 2024 (1,85 Mrd. Lei) weniger als ein Drittel dessen ab, was notwendig wäre, um Instandhaltung, Reparaturen und Ersetzen von Material zu finanzieren. Und da reden wir noch nicht über echte Modernisierung, beispielsweise im Sinne einer Elektrifizierung der Schiene.

Investitionen in die Modernisierung

Dies ist der Punkt, an dem die EU-Mittel ins Spiel kommen. Vor anderthalb Monaten hieß es, die Investitionen in die Bahninfrastruktur würden im Jahr 2024 um fast 94% im Vergleich zum Vorjahr steigen, die Gesamtsumme belaufe sich auf 5,8 Mrd. Lei. Davon stammen 5,49 Mrd. aus „externen Fonds“ (rückzahlbar und nicht-rückzahlbar), gemeint sind im Großen und Ganzen EU-Gelder – allein 3,39 Mrd. Lei aus dem sogenannten Nationalen Aufbau- und Resilienzplan (PNRR). 

Laut EU-Kommission wurden für die Modernisierung des Schienenverkehrs ursprünglich insgesamt 3,9 Mrd. Euro über den PNRR bereit gestellt. Wobei – wie Club Feroviar berichtete - der Betrag später noch etwas reduziert wurde. CFR S.A. ist in jedem Fall der größte Empfänger von PNRR-Mitteln in Rumänien.

Was genau damit passieren soll, lässt sich auf den Webseiten der Bahngesellschaften nachlesen,  eine grobe Analyse ergibt folgendes Bild: Etwa 950 km Schiene sollen mit PNRR-Mitteln bis 2026 modernisiert werden. Was das bedeutet, kann man am Beispiel Caransebeș – Temeswar – Arad nachvollziehen. Die 162 Kilometer lange Strecke soll umfangreich saniert, zweigleisig ausgebaut und mit dem europaweitem Zugleitsystem ERTMS versehen werden, so dass hier zukünftig Züge mit einer Geschwindigkeit von minimal 120 und maximal 160 km/h fahren können. Zu den größeren Einzelprojekten gehört zudem die Elektrifizierung der Strecke Klausenburg – Großwardein – Bistum Bihar, insgesamt 166 km, ebenfalls mit 160 km/h als neuer Zielgeschwindigkeit.

Auch beim Material soll sich was tun. An dieser Stelle muss man noch die 2016 gegründete Behörde ARF (Autoritatea pentru Reformă Feroviară) vorstellen, die für den Kauf von neuen Zügen bzw. Lokomotiven mit öffentlichen Mitteln zuständig ist. Die ARF ist dabei, 20 elektrische Triebzüge (rame electrice) für den Interregio-Verkehr, 16 elektrische Lokomotiven sowie 12 Triebwagen (automotoare) mit Wasserstoff-Brennstoffzellen-Antrieb (hidrogen) anzuschaffen. Wobei diese nicht ausschließlich an CFR Călători gehen werden, sondern zum Teil auch an private Anbieter. CFR Călători erhält zudem Mittel, um 75 Lokomotiven und 139 Passagierwaggons zu modernisieren – die Verträge mit den ausführenden Firmen dazu wurden Ende Dezember letzten Jahres unterschrieben. Zur Größenordnung: Insgesamt hatte CFR Călători im Jahr 2023 450 Lokomotiven, Triebzüge oder -wagen und 1000 Waggons im Einsatz.

Sicher, dies ist kein vollständiges Bild. Andere EU-Fonds und – im deutlich geringerem Umfang Eigenmittel oder staatliche Gelder – werden ebenfalls noch eingesetzt, um das rumänische Bahnsystem auf den aktuellen Stand zu bringen. Um einige wichtige Projekte zu nennen: Der rumänische Streckenabschnitt des sogenannten Rhein-Donau-Verkehrskorridors (von der ungarischen Grenze bis nach Konstanza/Constanța) wird weiter mit EU-Mitteln aus einem vorherigen Fond modernisiert. Die kürzlich neu eröffnete (aber in der Modernisierung noch nicht abgeschlossene) Strecke Bukarest – Giurgiu gehört ebenfalls dazu. Die ARF möchte mit weiteren EU-Geldern (und staatlicher Kofinanzierung) noch mehr elektrische Triebzüge kaufen (62 für den Regionalverkehr und 37 für den interregionalen Verkehr) – auch wenn sich dies als schwierig erweist.

Eine Frage der Umsetzung

Sowohl CFR S.A. als auch CFR Călători wurden um einen Kommentar gebeten, wie die Höhe der zur Verfügung stehenden Gelder für Investitionen zu bewerten ist, jedoch bis Redaktionsschluss kam keine Antwort. Der Journalist Doru Cireașă hat folgende Meinung dazu: „Es wäre ok, wenn diese Mittel auch genutzt würden, aber in vielen Fällen sind die Ausschreibungen blockiert und schlecht organisiert. Es gibt zum Beispiel keine Firma ein Angebot ab, da die Preise zu niedrig sind, dann muss die Ausschreibung erneut durchgeführt und die Preise angehoben werden, danach kommen noch die Anfechtungen der Firmen vor Gericht.“

Wozu diese führen, zeige das Beispiel der oben genannten 62 elektrischen Triebzüge. Die Ausschreibung gewann zunächst die polnische Firma PESA, der Konkurrent Alstom zweifelte die Entscheidung jedoch gerichtlich an und zog bis vor das Berufungsgericht. In der Folge muss die ARF als Auftraggeber die Angebote der beiden Konkurrenten noch einmal neu bewerten. Die Verträge sind zwar unterzeichnet, doch geliefert werden kann erst einmal nichts. Weitere gerichtliche Schritte nicht ausgeschlossen – „eine Art Kafka“, kommentiert Doru Cireașă.

Der Zeitfaktor ist in diesem Zusammenhang nicht ganz unwichtig, denn aus dem PNRR finanzierte Projekte müssen bis Ende 2026 fertiggestellt werden, damit die Mittel sicher fließen. Transportminister Sorin Grindeanu äußerte sich im Mai auf einer Pressekonferenz entsprechend besorgt über die Einhaltung des Zeitplans bei einigen Maßnahmen im Bereich der CFR S.A..

Eine Systemfrage?

Auch wenn die Passagierzahlen in den letzten Jahren gestiegen sind, ist die rumänische Bahn aktuell weit davon entfernt, profitabel zu sein. Die Bahngesellschaften sehen die Ursache dafür vor allem in einer Benachteiligung gegenüber dem Straßenverkehr. Kurz zusammengefasst: Transportunternehmen im Straßenverkehr könnten ihre indirekten Kosten (z.B. CO2-Ausstoß) externalisieren und hätten dadurch – politisch gestützt – einen unfairen Wettbewerbsvorteil. Dazu kommt eine politische Schwerpunktlegung auf den Straßenverkehr in den letzten Jahrzehnten, die sich auch anhand von Zahlen, z. B, in Bezug auf die Verwendung von EU-Geldern, nachzeichnen lässt (Stichwort „Nachholbedarf“ bei den Autobahnen).

Die derzeit zur Verfügung stehenden bzw. eingeplanten Gelder für Infrastrukturmaßnahmen bei der rumänischen Bahn reichen nicht aus, um den überwiegenden Teil des Schienennetzes zu modernisieren – insbesondere Strecken mit geringerer Frequenz gehen leer aus. Die aktuell steigenden Investitionen in die Modernisierung gehen zudem einher mit einer chronischen Unterfinanzierung der Unterhaltung der Infrastruktur. Reicht das Geld, um den Reisekomfort deutlich zu steigern, sodass mehr Menschen vom Auto auf den Zug umschwenken? Doru Cireașă ist eher pessimistisch, was die Zukunft angeht. „Es braucht ein Umdenken in Bezug auf das ganze System. Die Tatsache, dass Straßentransporte bevorzugt werden – der Staat muss diese Politik ändern, es reicht nicht, ein paar Strecken zu modernisieren.“