Simultan-Festival: Gehaltvoll überleben unter Konkurrenz- und Pandemiedruck

Ein würdigender Nachtrag zur 16. Ausgabe des Festivals in Temeswar

Zwei Videoarbeiten im Straßenbahndepotkontext

Publikum vor der Hauptbühnenhalle, im Hintergrund die Performance von Franck Vigroux und Kurt d’Haeseleer „The Island”

Nava spațială (Claudiu Chihăescu und Miron Ghiu) bei ihrer Liveperformance am vorletzten Festivaltag
Fotos: Andreea Săsăran

Berichtet wurde viel vom „Simultan“-Festival für experimentelle Musik und Video in Temeswar, schließlich fand heuer zum 16. Mal diese Veranstaltung statt. Sie begann am 11. September und endete eine Woche später, am 19. September. Man kann meines Erachtens diese Veranstaltung, aufgebaut von einer Handvoll Leuten, die stets weitere helfende Hände mobilisieren konnten und können, nicht genug würdigen. 

Begonnen hat alles 2005 mit Levente Kozma, Antal Huba, Szilard Szöke, Alin Rotariu und Sorin Vreme. Dabei waren Kozma und Rotariu die Hauptmotoren in dieser Maschinerie und sind auch heute noch dabei. Natürlich wollen und wollten sie stets zeitgenössisch und relevant für Kunstbetrachter, -schaffende und die Gesellschaft sein und nicht in einem Elfenbeinturm inhaltsleere Formen darbieten. Stets am Puls der Zeit, heuer unter anderem mit „Starea instabilă a lucrurilor“ ( Der instabile Zustand der Dinge), reagieren sie nicht nur auf coronabedingte Probleme um uns herum. Die Klimadebatte wird in den präsentierten Werken ebenso aufgegriffen wie das Thema Flucht. 

Und dann gibt es für die Organisatoren nicht nur die übliche Konzeptions-, Organisations-, Verhandlungs-, und Aufbauarbeit zu leisten, sondern auch unter finanziell prekären Bedingungen eine mangelhafte Infrastruktur so aufzupäppeln, dass sie ihren Qualitätsansprüchen gerecht wird. 

Und als ob das nicht reichen würde, kommt da ab und an die Konkurrenz daher, gesetztere oder finanzstärkere Akteure der Kunstszene in Temeswar, und macht ihnen den Ausstellungsraum, den bis dahin bespielten Raum, streitig. So geschehen im Jahr 2015, als „Simultan Nr. 12“ mir nichts, dir nichts die Schule für Lebensmittelindustrie auf der Bogdăneștilor-Straße quasi sanieren musste, damit die Großausstellung dort funktionieren konnte. 

Es herrscht also Konkurrenz in der Kunstszene der Stadt Temeswar und dies nicht nur, was Projektgelder anbelangt, sondern auch um die möglichen Ausstellungsräume. Aber das Simultan des jetzigen Teams um Levente Kozma, Alin Rotariu, Florin Fâra, Lucian Pană, Alex Boca, Cristina Băldău, Raluca Rotariu und Ioana Vreme-Moser hat es stets geschafft. So wie dieses Jahr auch. Dabei leisteten sie, wie bei der Schule oben angedeutet, oft genug Pionierarbeit im wörtlichen Sinne: Sie haben Bauruinen hergerichtet als Bühne für Kunstpräsentationen. 

Eine weitere Pionierarbeit in diesem Sinne war letztes Jahr bei Simultan Nr. 15 in der ehemaligen Garnisonskommandantur. Schutt und Sperrmüll, Hinterlassenschaften der Armee, mussten erst aus dem altehrwürdigen, architektonisch knappen, aber beeindruckenden Militärbau aus der österreichischen Zeit Temeswars entfernt werden, alles Infrastrukturelle musste den Anforderungen der nichtinvasiven Denkmalschutzvorlagen gerecht werden, damit und bevor dort Kunst stattfinden konnte. Eine Herkulesarbeit, dabei ist doch im Olymp für die Kunst eher ein Apoll zuständig mit seiner klingenden Lyra statt der knöchernen Keule des Herkules. 

Nun also Videos und Sound, Installationen und Konzerte im ehemaligen Straßenbahndepot, das gerade zum schon lange beschworenen MultipleXity des Rathauses im Zuge der Sanierungen für die Europäische Kulturhauptstadt 2021/23 umgebaut wird. Auch hier war die Simultan-Gruppe (Einsatzgruppe möchte man sagen) Pionier, als die erste Ausstellung „Progres. Schimbări de paradigmă“ (Fortschritt. Paradigmenwechsel) im Dezember 2020 stieg: Sie wollten unter anderem den Umwandlungsprozess des Industriebaus zu einem Kunsttempel dokumentieren. Solche Transformationen sind nicht selten in den letzten Jahrzehnten (z.B. Fabrica de pensule in Klausenburg oder Baumwollspinnerei in Leipzig), und oft fällt in diesem Kontext der Begriff „Gentrifizierung“. 

Aber zurück zum Simultan-Festival. Warum dessen Kunstformen so gut in diese Non-White-Cube-Umgebung passt? Vielleicht weil es dabei surrt wie einstmals die Werksmotoren, die Wechselstromgeneratoren in diesen Straßenbahnwerkstätten, oder viell-eicht auch, weil die Videos ablaufen wie einst die Erste-Schicht-Straßenbahnen rausfuhren, zum Sonnenaufgang. Oder noch davor? 
Die diesjährigen Höhepunkte aus Macher-Sicht werden von Levente Kozma und Alin Rotariu in einem Pressalert-Interview genannt: Weil bei Live-Vorführungen die Künstler eben mit dem Ton, aber auch dem bewegten Bild derart experimentell umgehen und zum Beispiel die Grenzen des zu Hörenden erkunden, sind stets diese Ton- und Video-Performances die Publikumsfavoriten und -magnete. 

In diesen Jahren waren es „The Island” von Franck Vigroux und Kurt d’Haeseleer, die über Landschaftsveränderungen, zum Beispiel dem Überfluten einer Insel bei einem Staudammprojekt, reflektieren. 2021 sind es übrigens genau 50 Jahre seit der Überflutung der ehemaligen von Türken bewohnten Donauinsel Ada Kaleh. Das wäre ein hiesiges Beispiel für diese Thematik. Extreme Hörexperimente gab es am letzten Tag des Festivals bei den Künstlern Prell und auch Dyslex. Die geräuschliche Reinterpretation des Films „The Fortune You Seek is in Another Cookie“ durch Peter Kutin, Lukas König, Karolina Preuschl und Isabella Forciniti aus Österreich wäre auch ein solches Beispiel. Bei der Gruppe Nava spa]iala schien der Sound in einem Dauerdringlichkeitszustand zu sein, hervorgerufen durch ein Hintergrund-Kokelgeräusch.

Im Nebenprojekt „CoLaboratory“ zeigt sich, dass „Simultan“ nicht alleine dasteht, sondern Teil eines Netzwerks ist. Das ist großartig, denn wie sonst gäbe es Austausch, Interferenzen, Vergleichbarkeit und gegenseitiges Lernen? Es gibt auch noch das Clujotronic – Electro Arts Festival in Klausenburg, das Amural Festival in Kronstadt, oder Radar New Media Art in Bukarest, oder Borderline Art Space, den AltIa{i Verband in Iași, TBA in Hermannstadt, Graphkiosk/Artcor-Creative Industry Hub im moldawischen Chișinău – alles neben dem Simultan Festival in Temeswar. Diese Festivals sind alle in Städten mit deutschen Kulturzentren, die an den Festivals beteiligt sind. So konnten die lokalen Kulturreferenten dieser Kulturzentren auch ihren Beitrag zur rumänisch-deutschen Kooperation leisten. 

Es geht um Animations- und Klangkünstler aus Rumänien, der Republik Moldau und Deutschland, die nach einer Bewerbung deutsch-rumänische Tandems gebildet haben und nach einer einmonatigen Onlinezusammenarbeit digitale Kunstwerke präsentieren konnten. Dass das Ganze etwas heterogen ausfallen würde, lag in der Struktur des Projekts. 

Im Simultan-Festival Nr. 16 steckte auf jeden Fall viel Herzblut. In dieser Show, die so viele Gleichgesinnte vereint und damit nicht nur als Endprodukt einem Publikum elektronische Welten aufzeigt, die möglich sind, sondern eine Gemeinschaft zusammenschweißt. Die Aufbauarbeiten voyeuristisch-dokumentarisch zu begleiten, würde sicherlich beeindruckend ausfallen: Wie ein wochenlanges Einstimmen eines Orchesters vor der Aufführung der Symphonie. 

Temeswar hat mit Simultan ein genuines Homegrownfestival. DIY auf Dauer führte hier zur Professionalisierung, und umso erstaunlicher ist seine Fähigkeit zur Regeneration: Die Aktivierung junger Leute der nächsten Freiwilligengeneration, als kämen sie zur üblichen Einschulung. 

Hut ab, Augen auf und Ohren gespitzt vor so viel Audio und Video im Gegenwartsformat! Falls Sie zeitgenössische Kunst suchen, dann folgen Sie diesem Zeichen: Simultan. Oder noch besser und sofort zu haben: gehen Sie auf ihre Webseite, wobei das Simultan-Team gerade an einem Archiv des gesamten Materials seit seinen Anfängen (hunderte Dateien) arbeitet: simultan.org/2021.

Aber wie so oft ist das Online-Angebot ein schwacher Abklatsch der realen Veranstaltungen, dem Festival selber, jedes Jahr im Herbst Ende September oder Anfang Oktober (mit Ausnahmen) abgehalten.