UFOs, gewebte Teppiche und Wehrmauern

Alt und Neu koexistieren in der Kronstädter Weberbastei

Die Exponate der Ausstellung wurden am Webstuhl hergestellt.

Die Arbeit „Leihgabe“ von Claudia Pascu
Fotos: Elise Wilk

Ein bunter Hirsch schaut zum Himmel. Dort fliegen nicht nur Vögel, sondern auch ein UFO, aus dessen Fenster ein grüner Außerirdischer winkt. Es ist nicht eine Illustration aus einem Science Fiction-Roman für Kinder, sondern das Motiv eines Teppichs, der im Jahr 2017 an einem Webstuhl hergestellt wurde. Und zwar an einem Ort, der mit diesem Handwerk schon seit Jahrhunderten verbunden war – es ist eine der schönsten mittelalterlichen Wehranlagen Kronstadts, die Weberbastei.

Wenn man unter der Woche vormittags auf der Burgpromenade unter der Zinne spazieren geht, begegnet man vielleicht ein paar Passanten, die ihren Hund ausführen. Ansonsten herrscht Stille. Manchmal raschelt das bunte Herbstlaub – es sind Eichhörnchen, die zwischen den Bäumen hin und her huschen. Ein paar Infotafeln, die am Rande der Promenade angebracht sind, bieten Informationen über die Basteien und Türme der Stadt. Die meisten davon sind geschlossen, wie der alte Töpferturm, der 2010 in „Turm der Künste“ umbenannt wurde. Ein paar Jahre lang konnten hier Ausstellungen bewundert werden. Jetzt sind die Holztreppen, die zum Turm führen, teilweise kaputt und die Fassade bröckelt. Ein dicker Riegel versperrt die Eingangstür. Für Touristen, die die Stadt besuchen, dienen die ehemaligen mittelalterlichen Wehranlagen höchstens als Fotokulisse.

Nur eine einzige Bastei kann zurzeit noch besucht werden – die Weberbastei, deren Eingang sich neben der (ebenfalls geschlossenen) Olympia-Sportanlage befindet. Hier lohnt sich auf jeden Fall ein Besuch, besonders wegen einer Ausstellung, die den Abschluss des diesjährigen Projektes „Webstühle in der Bastei“ darstellt.

Ein beliebter Ort für Kulturveranstaltungen

Im Südwesten der Inneren Stadt gelegen, wurde die Weberbastei in zwei Etappen errichtet. Zwischen den Jahren 1421-1436 wurde die Höhe erreicht, die den ersten zwei inneren Wehrgängen entspricht. 1570 bis 1573 kamen die oberen Wehrgänge hinzu, wie dies auf dem Nordostturm der Bastei vermerkt ist. Gemäß mittelalterlichem Brauch wurde die Bastei der Leinenweberzunft zur Instandhaltung und Verteidigung anvertraut. Der Bau nimmt eine Fläche von 1616 Quadratmetern ein, mit bis zu 4,30 Meter starken Mauern an der Basis, die von Schießscharten durchbrochen sind. Im Innenhof wurde im Jahr 1800 ein Saal gebaut, der der Zunft für die Abhaltung von Festlichkeiten, vor allem Feiern von Hochzeiten, diente. Die Weberbastei, die sich als einzige Wehranlage in Kronstadt im Besitz der Evangelischen Kirche A. B. befindet, ist bei den Kronstädtern sehr beliebt – laut der „Studie für Kulturkonsum der Bevölkerung des Munizipiums Kronstadt“, die im Herbst 2015 veröffentlicht wurde, belegt sie Platz 1 als bester Ort für Kulturveranstaltungen. Im Sommer werden im Innenhof periodisch Konzerte oder Tanzveranstaltungen organisiert, wie der Bunte Abend des Deutschen Forums, der jedes Jahr zu Sommeranfang stattfindet. Auch temporäre Ausstellungen werden periodisch geplant, um das historische Gebäude für Touristen attraktiver zu gestalten.

Zurzeit beherbergt die Bastei eine ständige Ausstellung des Geschichtsmuseums des Kreises Kronstadt, die den Titel „Die Wehranlagen Kronstadts und des Burzenlandes“ trägt. Hier kann man eine kleine Waffenkollektion, eine Stadtkarte von 1896 und zwei Kleinmodelle der Innenstadt Kronstadts und des Schei-Viertel besichtigen. Bis vor wenigen Tagen konnte man im Innenhof ein paar Exponate des Projektes „Webstühle in der Bastei“ bewundern. Anfang dieser Woche ist die Ausstellung nach Bukarest gezogen, wo sie bis zum 22. Oktober im Nationalen Museum des Rumänischen Bauern (MNŢR) besucht werden kann.
Moderne Kunst an den Webstühlen

Das Projekt „Webstühle in der Bastei“ wurde vom Geschichtsmuseum Kronstadt und dem Forums-Verein angeregt. Vier Weberinnen aus der Umgebung von Kronstadt haben sich daran beteiligt. Jede von ihnen hat, unter der Anleitung einer Künstlerin, die das Motiv lieferte, eine Tapisserie aus Wollfäden in klassischer Webtechnik an einem nachgebauten Webstuhl hergestellt. Das Projekt, das schon zum zweiten Mal in Kronstadt stattfindet, nimmt sich vor, ein Handwerk, das vor Jahrhunderten in der Stadt ausgeübt wurde, wieder zu beleben und mit modernen Formen neu zu erfinden. Dabei wurde ein wichtiger Akzent auf die Rolle der Webkunst in der Stadtgeschichte gesetzt.

Die Motive der Arbeiten haben nur sehr wenig mit den traditionellen Formen zu tun, die wir uns vorstellen, wenn wir an einen Webstuhl denken. Die Arbeit mit dem Hirsch und dem UFO heißt „Leihgabe“ und basiert auf Elementen aus den Teppichen, die während der Dokumentationszeit von Frauen aus Moieciu in verschiedenen Haushalten gefunden wurden. „Es handelt sich dabei um eine Collage mit Elementen aus der Vergangenheit, die wir bewusst oder unbewusst in einen zeitgenössischen Kontext umsetzen“, meint die Künstlerin Claudia Pascu.

Laut Pascu handelt es sich um einen Teppich, auf dem die Geschichte einer Entführung gewebt ist. Vielen sind die Teppiche mit der „Entführung aus dem Serail“, die in vielen Wohnblockapartments über dem Sofa an der Wand angebracht sind, bekannt. Der bunte Entführungsteppich gehörte, neben dem Glasfisch auf dem TV-Gerät und den chinesischen Porzellanhunden, zu jedem traditionellen Wohnzimmer der 80er Jahre. „Für das Werk habe ich mich in der Zeit meiner Dokumentation inspirieren lassen, ich wollte es aber aus dem klassischen Kontext herausbringen und eine unerwartete Lösung finden“, meint Claudia Pascu. „Ich habe versucht, ein Märchen neu zu erfinden und ein Werk zu schaffen, das sich an den Moieciu-Teppichen inspiriert und gleichzeitig unsere Phantasie neu ankurbelt“, meint die Künstlerin.

Auch in den anderen drei Werken sind Alt und Neu miteinander verbunden: „Kleine Finger“ spricht vom Phänomen der Kinderarbeit in Nepal, „Adobe Photoshop versus Webstuhl“ geht auf das binäre System zurück, auf dessen Basis die Computer funktionieren, und „Ein Gedicht“ setzt sich mit dem Begriff „lokale Identität“ auseinander.

Die Weberinnen, die am Projekt teilgenommen haben, kommen alle aus der Region Bran-Moieciu, wie Rodica Tişcă, die schon mit 15 Jahren gelernt hat, am Webstuhl zu weben. Der erste Gegenstand, den sie gewebt hat, war ein Türteppich. Auch ihre drei Töchter haben dieses Handwerk erlernt. Während des Projektes haben die Weberinnen moderne Formen mit einer jahrhundertealten Technik hergestellt. Es ist schon das zweite Mal, dass sie am Projekt teilnehmen. Im Vorjahr hatten zwei Künstler ein Selfie mit dem Smartphone gemacht, um es dann in Quadrate zu teilen und in einen Teppich zu weben.
Die Arbeiten werden nach Kronstadt zurückkehren und im Besitz des Kunstmuseums der Stadt bleiben. Mehr Informationen über das Projekt „Webstühle in der Bastei“ hier: http://razboiultesatorilor.ro/.