Im Frühjahr 2014 öffneten sich im Südwesten Rumäniens die Schleusen: Felder und Dörfer entlang der Donau wurden kontrolliert überflutet – auf rumänischem Staatsgebiet, zur Entlastung des Flusssystems, um eine drohende Katastrophe in Belgrad zu verhindern. Jetzt, elf Jahre später, kehrt dieses Ereignis als vermeintlicher Skandal in den Wahlkampf zurück – mit voller Wucht gegen Victor Ponta, damals Premierminister, heute Präsidentschaftskandidat.
Was viele geflissentlich übersehen: Die Aktion beruhte auf völkerrechtlich klar geregelten Verpflichtungen. Zwischen der Sozialistischen Republik Rumänien und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien bestanden mehrere verbindliche Verträge – von 1963, 1977 und 1987 – über die gemeinsame Verwaltung des Eisernen Tors, der Donau-Stromregelung und des Hochwasserschutzes. Diese Abkommen binden auch heute noch die Nachfolgestaaten, das demokratische Rumänien und die Republik Serbien. Der rumänische Betreiber Hidroelectrica ist verpflichtet, Überflutungsflächen zu aktivieren, um die strukturelle Integrität des Stauraums beidseits der Grenze zu sichern. Das ist keine politische Laune – es ist völkerrechtliche Pflicht. Und trotzdem wird daraus im Jahr 2025 ein „Skandal“ gezimmert. Wahlkampf eben.
Dass Victor Ponta diesen „Skandal“ selbst publik machte, ist mehr als nur präventive Kommunikation – es ist eine präzise gesetzte Kampfansage an jene, die ihn seit Jahren öffentlich zu demontieren versuchen. Besonders kreativ dabei: Premierminister Marcel Ciolacu und Verkehrsminister Sorin Grindeanu. Beide üben sich derzeit in Empörungskunst, als sei Ponta der erste Mensch, der jemals einem Hochwasserschutzplan zugestimmt hat. Die Erinnerung scheint selektiv. Man fragt sich: Erinnern sich diese Herren eigentlich noch an das Jahr 2017? Als Grindeanu im Victoria-Palast saß, von der Dragnea-PSD isoliert, von Ministern geschnitten – wer stand damals öffentlich zu ihm? Es war Ponta. Und er bezahlte dafür: Mit dem Parteiausschluss. Dass ausgerechnet Grindeanu heute zu den Wortführern der Ponta-Kritik gehört, ist entweder ein Fall von bemerkenswerter Amnesie – oder ein Schulbeispiel für politische Undankbarkeit in Reinform. Oder auch nur Theater, hinter den Kulissen hat man sich bereits auf die Zukunft geeinigt.
Und während Ponta seine Gegner frontal kontert, vollzieht sich auf der anderen Seite ein politisches Drama mit tragikomischen Zügen: Die USR verweigert ihrer eigenen Kandidatin Elena Lasconi die Unterstützung. Lasconi, die bei den annullierten Wahlen vom 24. November 2024 immerhin die Stichwahl erreichte – ein Detail, das die Strategen in der Parteizentrale offenbar verdrängt haben. Statt Rückhalt bekommt sie intern Widerstand – und schließlich den Rückzug. Dass eine Partei mitten im Wahlkampf ihre eigene Kandidatin opfert, ist in dieser Form beispiellos. Und dass Lasconi dabei deutlich mehr Stimmen erzielte als die USR bei den Parlamentswahlen vom 1. Dezember, macht den Vorgang nicht weniger grotesk. Nun also soll Nicușor Dan die Rolle übernehmen – ein Mann, dessen politische Karriere als technokratische Hoffnung begann und als urbanes Phantom endet. Der sprechen kann, aber nicht führen. Der aus der USR stammt, angeblich soll er sie begründet haben. Er oder seine Strippenzieher von anno dazumal. Dan konnte die Partei nicht zusammenhalten, geschweige denn die Hauptstadt. Dass die Zentrale Wahlbehörde BEC nun feststellt, die USR dürfe keine Kampagne für ihn machen, weil sie ja mit Lasconi ihre eigene Kandidatin hat, ist fast schon poetische Ironie. Nun will die USR ihm, dem Unabhängigen Nicușor Dan, Geld leihen. Ein Staatsanwalt würde darin eine Straftat sehen, im rumänischen Strafgesetzbuch heißt sie „deturnare de fonduri“. Das progressive Lager demontiert sich selbst – und fragt sich ernsthaft, warum der Applaus ausbleibt.
Abseits dieses Schauspiels tritt ein anderer auf, der sich dem Lärm verweigert: Daniel Funeriu. Der ehemalige Bildungsminister spricht über Schule, Ordnung und Exzellenz – Worte, die in der aktuellen Debattenkultur fast anstößig wirken. Keine Pose, kein Populismus. Funeriu glaubt an Leistung, Ehrlichkeit, Prinzipientreue – und setzt Standards statt Schlagzeilen. Natürlich hat er keine Chance. Denn er macht, was andere vermeiden: Er sagt die Wahrheit. In einer Öffentlichkeit, die lieber Narrative pflegt als Wissen, ist das ein aussichtsloses Unterfangen. Und doch: vielleicht gerade deshalb notwendig.
Auch im rechten Lager zeigt sich, was passiert, wenn die Kulissen bröckeln. Mit dem Rückzug von Claudiu Târziu verliert die AUR ihren letzten intellektuellen Überbau. Der Denker zieht sich zurück – was bleibt, ist Simion. Der Mann der Straße, laut, unerschütterlich, überzeugt davon, dass Nationalstolz Diplomatie ersetzen kann. Wer bei ihm Führung sucht, findet Inszenierung. Wer bei ihm Integrität erwartet, bekommt Pathos. Hohler Patriotismus ist kein Programm. Und Simion kein Staatsmann.
Bleibt noch Crin Antonescu, der Kandidat der Regierungskoalition. Seine Rückkehr auf die Bühne hat etwas von einem Déjà-vu ohne Pointe. Einst Hoffnungsträger des bürgerlichen Lagers – heute wirkt er wie eine Reprise, die niemand verlangt hat. Ihm fehlen Momentum, Mission, Öffentlichkeit. Die Regierungskoalition, die immerhin noch über Ressourcen verfügt, kutschiert ihn derzeit durchs Land, organisiert Bühnen, verleiht ihm Scheinwerferlicht – doch was bleibt, sind Auftritte, die mehr inszeniert als inspiriert wirken. Man erkennt das Drehbuch, aber nicht den Hauptdarsteller. Selbst in den eigenen Reihen regt sich Skepsis: Einige Liberale neigen offen zu Nicușor Dan, manche Sozialdemokraten sympathisieren mit Ponta – trotz, oder vielleicht gerade wegen des sogenannten Flutskandals. Antonescu wirkt wie ein Kandidat, den man nominiert hat, weil einem sonst nichts Besseres einfiel.
Am 4. Mai ist der erste Wahlgang. Wer heute behauptet, er wisse, wer in die Stichwahl kommt, betreibt Wahrsagerei mit Parteibuch. Die Umfragen widersprechen sich, viele Institute sind politisch gefärbt, die Methoden fragwürdig. Und die Wähler? Fragmentiert wie nie. Enttäuscht. Orientierungs- und illusionslos. Vielleicht auch bereit für etwas Neues – wenn es denn käme. Victor Ponta hat mit der Erinnerung gekämpft und gewonnen – zumindest einen Moment der Klarheit. Andere kämpfen mit sich selbst. Rumänien wählt – aber was genau? Noch ist offen, ob es ein Präsident wird. Oder bloß ein Platzhalter der Vergangenheit.