Hat das arme Albanien den Touristen überhaupt etwas zu bieten? So könnte man viele mit Albanien verbundene Vorurteile zusammenfassen. Denn der kleine Balkanstaat – 28.748 Quadratkilometer, 2.800.000 Einwohner - ist in Statistiken fast immer als Schlusslicht anzutreffen, wenn es um Wirtschaft oder Lebensqualität geht.
Wolkenkratzer und Kathedralen
Nach einer einwöchigen Reise in Albanien kann ich sagen, dass dieses noch wenig bekannte Land schnell aufholt und bereits jetzt in manchen touristischen Bereichen für Länder wie Rumänien oder Bulgarien eine echte Konkurrenz darstellt. Die Zahl der Touristen wächst und diese kommen inzwischen nicht nur aus den Nachbarländern oder dem Balkan, sondern auch aus Polen, Deutschland, Österreich, Russland, den baltischen Staaten, Italien. Dabei geht es nicht rein um Schnäppchenjäger, denn Albanien bleibt eines der preisgünstigsten Reiseländer, wenn auch gewisse Abstriche im Bereich touristische Infrastruktur und Servicequalität hingenommen werden müssen. Dafür herrscht unter den Albanern große Offenheit gegen-über Ausländern, die sich auch einer herzlichen Gastfreundschaft und großer Hilfsbereitschaft erfreuen können. Dass vor allem junge Leute in den Städten sich in der Regel auch gut auf Englisch verständlich machen können, ist ein weiterer Vorteil.
Die jahrzehntelange Isolation, die das Land dem kommunistischen Regime unter Enver Hoxha zu verdanken hatte, ist überwunden. Dabei spielt auch die albanische Diaspora eine bedeutende Rolle. Aus dem Ausland wird viel Geld in die Heimat geschickt. Das merkt man an den zahlreichen größeren oder kleineren Neubauten in Stadt und Land, an den nicht wenigen luxuriösen Wagen, die zwischen älteren Pkw, Laster, Dreirad-Mopeds oder Kleinbussen bereits zum alltäglichen Stadtbild gehören.
In der Landeshauptstadt Tirana, die als Siedlung erst 1641 gegründet wurde und somit nur auf eine relativ junge Geschichte zurückblicken kann, sind im Zentrum Wolkenkratzer erschienen, auf die der Nationalheld Gjergj Kastrioti Skanderbeg von seinem Pferd erstaunt und wahrscheinlich auch stolz blickt. Der 35 Meter hohe Uhrturm - ein Wahrzeichen der Stadt, wie auch das Skanderbeg-Denkmal - war bis 1970 das höchste Gebäude Tiranas. In den 1920er Jahren entschloss man sich, die Glocke am gut ein Jahrhundert vorher von Pascha Ethem Bey gebauten Turm mit einem aus Deutschland gebrachten Uhrwerk zu ersetzen. Das sollte auch als Symbol gelten, dass damals die moderne Technik in der albanischen Hauptstadt erfolgreich Einzug halten konnte. Nicht fern von der sehenswerten Moschee, die den Namen desselben Paschas trägt, stößt der Besucher auf zwei neue imposante Kirchengebäude: eine orthodoxe, die Kathedrale der Auferstehung Christi, und eine katholische, die Kathedrale Sankt Paulus. Unter den Kommunisten wollte Albanien als atheistischer Staat gelten. Nun zeugen solche Monumentalbauten vom Gegenteil, wobei das Nebeneinander der muslimischen Mehrheit mit den Minderheiten von Orthodoxen und Katholiken absolut problemlos abläuft. Praktizierte Religiosität ist in Albanien eher die Ausnahme, so dass man in diesem Balkanstaat keine verschleierten Frauen antrifft und Schweinefleischverzehr wie auch Alkoholgenuss nicht unter Bann gestellt werden.
Bunker als Spuren der jüngsten Vergangenheit
Neben Skanderbeg, der den Befreiungskampf gegen die türkischen Eroberer anführte, wird heute in Albanien auch die unlängst heilig gesprochene Mutter Teresa entsprechend gewürdigt. Sie wurde zwar im Nachbarland, in Mazedoniens Hauptstadt Skopje, in einer albanischen Familie geboren und konnte erst nach dem Sturz des Kommunismus nach Albanien reisen. Dort wollte sie über ihre Stiftungen hilfsbedürftigen Familien helfen. Seitens der damaligen postkommunistischen Regierung soll sie gefragt worden sein: Welche Hilfsbedürftigen? In Albanien gibt es keine Armen!
Der nationale Stolz hat nicht nur solche Auswüchse. Seit 2014 ist Albanien offizieller EU-Beitrittskandidat. Erhofft wird Unterstützung und Förderung, aber nicht um jeden Preis. Ein Betreiber eines Hostels in der dem UNESCO-Weltkulturerbe angehörenden Stadt Berat sagt uns, dass Hilfe aus Brüssel willkommen und auch notwendig sei, aber das heiße nicht, dass die Geldgeber auch allein bestimmen, was für Albanien gut oder schlecht sei.
Die Albaner sind, trotz widriger historischer Umstände, kein geknicktes Volk, wie manche meinen. Die jahrhundertelange osmanische Herrschaft hätte sie um ihre Identität und sogar um ihren christlichen Glauben gebracht, so dass sie jetzt als eine Art von Neutürken gelten könnten.
Schwieriger scheint das Land mit einigen materiellen Spuren des Kommunismus fertig zu werden. Das sind vor allem die im ganzen Land verstreuten Bunkeranlagen, die die Machthaber als nationales Verteidigungssystem eingerichtet hatten. Über 200.000 sollen es insgesamt sein, kleinere oder größere Betonkuppeln mit Maschinengewehr-Scharten, in denen die wehrfähige Bevölkerung sich gegen den hypothetischen Angreifer verschanzen sollte. Wie ein Ausschlag sind solche Bunker überall vorhanden: in den Grenzgebieten, in den Bergen, am Stadtrand, sogar am Strand. Was kann man heute damit anfangen? Da ist Kreativität gefragt. BunkArt ist eine Initiative, touristisch und auch künstlerisch etwas zu nutzen, was eigentlich als hässlich und traurig wahrgenommen wird. Enver Hoxhas Antiatom-Regierungsbunker an Tiranas Stadtrand wurde bereits zu einer besonderen Sehenswürdigkeit umgewandelt, die sowohl als Museum des antifaschistischen Widerstandes und der kommunistischen Diktatur, als auch als multimediales unterirdisches Gebäude das Interesse der Touristen weckt. Nicht weit davon entfernt befindet sich eine weitere touristische Attraktion: der Dajti-Express - eine moderne Seilbahn die hinaufführt zum Dajti-Berg, von wo aus man eine besondere Aussicht auf Tirana und die Umgebung genießt.
Doch Albanien bedeutet vor allem: atemberaubende, naturbelassene Berglandschaften im Norden des Landes, eine albanische Riviera von Saranda im Süden bis Vlora am Ionischen Meer, Kulturtourismus in Städten wie Gjirokaster, Berat, Kruja, Shkodra, gastronomische Vielfalt, typische, unverwechselbare Folklore, ein dynamisches Straßenleben mit Verkäufern, die von gegrillten Maiskolben bis Zigaretten ihre Ware am Straßenrand anbieten, mit Cafés, wo sich die Männer zu Gesprächen versammeln, mit Parks, wo Domino-Spiele oder Backgammon ein in Rumänien als Table bekanntes Brettspiel - mitverfolgt werden können.
Albanien, das Land der Skipetaren, ist lange nicht mehr so wild und unsicher wie in Karl Mays Roman. Es holt touristisch schnell nach, passt sich an - und lernt leider nicht immer aus den Fehlern anderer. Am Stadtrand der zweitgrößten Stadt des Landes, Durrës, und im benachbarten Badeort Golem sind inzwischen ganze Hotelviertel entstanden, nach dem Prinzip, mit Massentourismus und All-inclusiv-Paketen verdient man am besten. Albanien hat viel mehr zu bieten und sollte, diesmal getrost, im Tourismus auch eigene Wege wagen.