Denkt man an Griechenland, so stellt man sich ein wunderbares blaues Meer vor, spielt im Kopf das Lied aus dem Film „Alexis Sorbas“ ab, träumt davon, den Anisschnaps Ouzo zu verkosten und die wohltuende Wärme der Sonne am Strand zu spüren. Drei Kleider, zwei Shorts, zwei T-Shirts und ein Anorak stellten anscheinend das perfekte Gepäck für das Sonnenparadies dar. Doch anders als erwartet, landet man in einer bewölkten, aus der Ferne blass aussehenden Stadt. Und: Es regnet.
Vor der Abreise konnte man überall in den Medien lesen, dass Streiks angesagt sind. Am Ankunftstag liegt die Temperatur bei ungefähr 20 Grad - keine Sonne, keine Hitze und keine Busse zwischen 9 und 17 Uhr. Das ist also die erste Erfahrung, die man in Athen machen kann. Die Schlussfolgerungen zieht man aber am Ende, fünf Tage und 300 Fotos später. Das Hotel befindet sich im Stadtzentrum in der Nähe des Omonia-Platzes. Für leidenschaftliche Flaneure ist das Bummeln durch eine fremde Stadt purer Genuss. So kann man eigentlich Touristen von Griechen unterscheiden: Touristen schlendern langsam, bleiben ab und zu neugierig stehen, betrachten verschiedene Straßenwinkel lange, während Griechen sich beeilen, entschlossen laufen und die Touristen auf dem Bürgersteig geschickt umschiffen. Ein Grund zum Stehenbleiben ist zum Beispiel das riesige Tarnnetz, das über dem Omonia-Platz schwebt. Man könnte denken, es ginge um Sanierungsarbeiten, aber es ist das Werk eines deutschen Künstlers, der diesen Stadtteil für Google Maps und sonstige Eindringlinge unsichtbar machen will. Gregor Schneider nimmt damit an einem örtlichen Kunstfestival teil. Seine Inspirationsquelle: der Zweite Weltkrieg.
Zwischen Monastiraki und Omonia
Von dem Omonia-Platz kann man zu Fuß in Richtung Monastiraki oder in Richtung Panepistimio gehen - dort liegt die nationale Bibliothek. Am interessantesten ist es aber zwischen Monastiraki und Omonia. In diesem Stadtteil befinden sich verschiedene Märkte mit Fisch, Obst und Gemüse, ein Flohmarkt und ganz viele Geschäfte, wo man alles Erdenkliche kaufen kann - von Essbarem über Souvenirs bis hin zu Gartenwerkzeugen. Düfte fließen auf der Straße ineinander, man genießt den Geruch von Fisch, zwei Schritte weiter riecht es nach exotischen Kräutern, später nach Rindfleisch oder nach frisch gebackenem Brot. Alte Musikinstrumente hängen neben einer riesigen Puppe aus vergangenen Jahrzehnten, die in ihrem zerrissenen dunkelrosa Kleid mit zierlicher Spitze auf den nächsten Kunden wartet. So wie Hunderte von Büchern, CDs, Lampen, Stühle - Möbelstücke, die aus einem anderen Zeitalter zu stammen scheinen. Die Nachbarschaft zwischen Omonia und Monastiraki ist voller Farben, ein geschäftiges Treiben herrscht bis spät in die Nacht, wenn die Stadtfahrzeuge mehrmals vorbeifahren und die Straßen waschen. Überraschend ist auf manchen Straßen mit nur asiatischen Geschäften die vorwiegend männliche Präsenz. Abgesehen von ein paar Touristinnen sieht man kaum Frauen. Das Treiben der Männer kann spannend oder verstörend wirken: Es wird laut und heftig auf der Straße diskutiert, so dass man glauben könnte, sie streiten. Es ist aber nur ein kultureller Unterschied, was die Kommunikationsweise anbelangt.
Proteste und Karikaturen „Süßes Europa“
Will man die Stadt erkunden und geht in Richtung Omonia-Platz, so bemerkt man eine eigenartige Spannung auf der Straße, sowohl Polizisten als auch Autofahrer wirken irritiert. Ähnlich wie an einem Freitagabend in Bukarest, wenn alle, die Feierabend haben, gleichzeitig heimfahren und die Geduld auf die Probe gestellt wird. Der Grund ist hier jedoch ein anderer. Ein paar Schritte weiter klärt sich die Situation: Der Omonia Platz ist vollgestopft mit Menschen. Sie tragen Flaggen und sehen besorgt aus. „Wir kämpfen um unsere Rechte“, sagt eine junge Frau, deren Gesicht Traurigkeit und Entschlossenheit ausstrahlt. Die Protestierenden gehen auf der Straße. Der Platz wird bald zu klein für die Menschenmassen, die jetzt in Richtung Syntagma-Platz strömen. Dort befindet sich das Parlamentsgebäude - ein Schlüsselort für unzufriedene Griechen, der in den nächsten Tagen immer wieder belagert wird. Hier wurde auch eine Ausstellung eröffnet, „Sweet Europe“ („Süßes Europa“), organisiert vom Verein der griechischen Zeichner in Zusammenarbeit mit dem Verein der britischen Zeichner. Zur Schau gestellt wurden 150 Karikaturen von 29 griechischen und 28 britischen Autoren, die den Brexit und den Status Quo der EU spöttisch und humorvoll aufs Korn nehmen. Nach dem Besuch der Ausstellung kann man in Ruhe den riesigen Nationalgarten neben dem Parlament erkunden. Palmen, Orangenbäume und ein kühles Lüftchen verleihen dem bisher hektischen Tag einen anderen Rhythmus. Neben dem Garten gibt es mehrere Bushaltestellen: Man kann in einen beliebigen Bus einsteigen und eine Fahrt ohne Ziel durch die Stadt genießen, wenn man nicht mehr zu Fuß gehen kann.
Das Meer ist nicht weit
Die Straßenbahn Nummer 5 (Haltestelle Syntagma-Platz) bringt die Fahrgäste ans Meer. Wir steigen an der Haltestelle Platia Katraki aus. Wir wussten eigentlich gar nicht, wo wir aussteigen sollen, wollten einfach nur an den Strand. So erkunden wir die Gegend und entdecken einen fantastischen Obst- und Gemüsemarkt, wo man köstliche Erdbeeren und Tomaten findet. Anschließend kann man eine orthodoxe Kirche neben dem Markt besuchen. Eine andere Variante, das Meer zu sehen, bietet die U-Bahn. Eine Fahrt dauert rund 40 Minuten. Von Monastiraki aus kann man die U-Bahn M1 zum Hafen Piräus am Golf von Saros nehmen. Dort kann man Fährtickets kaufen, um die Inseln in der Nähe zu besuchen oder – wenn es gerade mal wieder einen mehrtägigen Streik gibt – einfach die Landschaft mit den gigantischen Schiffen genießen und sich dabei sehr klein fühlen.
Die Nacht in Athen
Es ist empfehlenswert, die bemerkenswerten Gebäude der Akropolis am frühen Vormittag oder am späten Nachmittag zu erkunden, wenn nicht so viele Touristen unterwegs sind. Auf dem Hügel kann man Paare finden, die Hochzeitsfotos schießen – und eine Armee von Katzen, die gleichgültig auf dem glatten Straßenbelag der Akropolis liegen. Die Oberstadt Athens ist vielleicht am spektakulärsten aus der Ferne, wenn es dunkel wird. Die Stadtbefestigungen des antiken Griechenlands bieten einen wunderbaren Hintergrund, wenn man sich abends am Monastiraki-Platz aufhält. Monastiraki scheint ein wichtiger Treffpunkt zu sein, hier gibt es zahlreiche Kneipen und Restaurants, die Touristen nicht nur mit typischem Essen, sondern auch mit griechischer Live-Musik locken. Nicht weit davon entfernt liegt die Athener Kathedrale und der Plaka-Stadtteil mit dem ältesten Haus der Stadt.