Die Vögel kreischen wie in einem Tropengarten, als wir auf der steinernen Terrasse des Herrenhauses Platz nehmen. Vor dem Eingang ein ausladendes Rosenrondell, das sich mit Kindergruppen füllt. Ein Junge bimmelt übermütig mit der dort aufgestellten Hausglocke, drei andere Kinder tun es ihm nach, bevor der Wachposten sanft einschreiten kann. Die abgelegene Position des zehn Kilometer von Piteşti entfernten, „doppelten“ Museums von Goleşti, wo man das Herrenhaus der Familie Golescu und das dörfliche Wein- und Obstbaumuseum mit traditionellen Bauernhöfen aus dem ganzen Land besichtigen kann, ändert nichts an seiner Beliebtheit. Dies liegt nicht nur an der bedeutungsvollen Geschichte dieses Ortes, in die uns Museumsdirektorin Filofteia Pally gleich entführen will, sondern auch an ihrer Strategie, Information auf reizvolle Weise mit Spiel und Spaß zu verbinden. „Wenn die Menschen das Museum nicht suchen, dann muss es sich eben durchs Hintertürchen einschleichen“, lächelt sie.
Zwischen den verstreuten Nebengebäuden des ehemaligen Landgutes wird ein Pony an der Longe geführt. Das Mädchen darauf strahlt wie ein Honigkuchenpferd von einem Ohr zum anderen. „Wir haben auch Kühe, Esel, Schafe, Hasen, Gänse und Enten“, erwähnt die Direktorin, bevor sie sich wieder in die Geschichte der Gutsherren vertieft. „Und Lipizzaner, im Reiterhof am Ende des dörflichen Museumsteils.“ Durch den man erst hindurchgehen muss, stellt sie sinnig lächelnd fest. So macht man auch die Leute auf das Museum aufmerksam, die in erster Linie wegen des Freizeitspaßes kommen: Traditionelle Kindergeburtstage oder Teambuilding-Sessions im alten Dorfwirtshaus, das einst an der Kreuzung wichiger Handelsstraßen lag; echte Hochzeiten und Taufen in der schmucken Holzkirche, Workshops und Sommerlager für Kinder und Jugendliche, Kulturevents. Lernen und Unterhaltung müssen Hand in Hand gehen - zu groß ist die Konkurrenz von Facebook und Smartphone, will man um die Aufmerksamkeit der jungen Generation buhlen.
Dinicu Golescu: Bildung ist der Reichtum des Volkes
Dinicu und Zinca Golescu hätten ihre helle Freude an dem Treiben gehabt. Hatte das Bojarenehepaar aus dem 18./19. Jahrhundert doch Lebenswerk und Vermögen bereitwillig und offenen Herzens den Kindern ihres Landes gewidmet. Das gediegene alte Herrenhaus lässt nicht unbedingt Rückschlüsse auf die außergewöhnliche Persönlichkeitdes Politikers, Literaten und Gesellschaftsreformers Constantin Golescu (1777-1830), genannt Dinicu, zu. Doch von Filofteia Pally erfahren wir, dass der von seinen zahlreichen Reisen nach Deutschland, Italien, Österreich, der Schweiz und einem Transsilvanien, das damals noch Ausland war, stets mit neuen Ideen und Inspirationen in die Walachei zurückkam. Beeindruckt vom Schulwesen in der Schweiz, gründete er 1826 auf seinem Gut eine Schule, wo Jungen und erstmals auch Mädchen unabhängig von der sozialen Schicht auf seine Kosten lernen konnten. Die Prüfungen fanden öffentlich vor dem Lehrkörper und allen Eltern statt.
„Der wahre Reichtum eines Volkes ist seine Bildung“, davon war Dinicu Golescu fest überzeugt. So setzte er sich für die Gründung von Schulen in fast allen Ortschaften der Walachei ein. Den Lehrplan für seine Schule erstellte er zusammen mit Ion Heliade Rădulescu, mit dem er im selben Jahr auch den „Curierul românesc“, eine Zeitschrift mit aufklärerischer Orientierung, herausgab, der zwanzig Jahre bestand. Mit Rădulescu gründete er 1827 auch die Rumänische Literarische Gesellschaft, die die Herausgabe von Zeitschriften in rumänischer Sprache förderte, die damals noch kein Statut hatte, denn es gab nur religiöse Werke in griechischer und kyrillischer Schrift. Auch als Autor eines Reisejournals machte sich Dinicu Golescu einen Namen, zumal er darin durch tiefgehende Beobachtungen und Vergleiche zwischen dem Ausland und der Walachei bedeutende soziologische Erkenntnisse festhielt. Er beschrieb den entwicklungstechnischen Rückstand in der Walachei, aber auch geografische Details wie Flüsse, Häfen, Mühlenstandorte, Namen von Bojaren und Priestern, Familien, Ausländern und Minderheiten.
Auch in die eigenen vier Söhne, Ştefan, Nicolae, Radu und Alexandru, die in Basel und München studierten, investierte der Bojar bedeutende Summen „um verantwortungsvolle Menschen aus ihnen zu machen“, zitiert ihn Pally. Tochter Ana heiratete den später als Gründer des rumänischen medizinischen Systems, des Roten Kreuzes und des ersten Waisenhauses bekannten Arzt Carol Davila. Zusammen mit Brătianu gründete Dinicu Golescu die erste rumänische liberale Partei. Im Zentrum all seiner Aktivitäten, so Pally überzeugt, stand stets das Wohl seines Volkes - nicht etwa geschäftliche Interessen. Für den Druck von Büchern und Zeitungen gab der sozial und humanistisch orientierte Bojar einen bedeutenden Teil seines Vermögens aus.
Mitten in seinem Schaffensdrang wurde Dinicu Golescu 1830 von der Cholera dahingerafft. Zinca trat ins Kloster über und verkaufte das Land, um ihre Söhne mit dem Erlös in ihren Publikationen zu unterstützen, die die Öffentlichkeit in Europa zu den Problemen der rumänischen Fürstentümer sensibilisieren sollten: das Fehlen einer offiziellen gemeinsamen Sprache und eines gemeinsamen Herrschers.
1848, mit Ausbruch der französischen Revolution, kehrten die Söhne in die Heimat zurück. Zugunsten von Alexandru Ioan Cuza, der 1859 die Fürstentümer Walachei und Moldau vereinigte und 1861 unter der Oberhoheit des Osmanischen Reiches den Staat Rumänien ausrief, verzichtete Nicolae Golescu auf den Thron und wurde Premierminsiter an dessen Seite. Alle vier Golescu-Söhne setzten das Lebenswerk ihres Vaters in dessen Sinne fort und spielten eine bedeutende Rolle in der Politik als Minister, aber auch an der Seite König Carols I., der 1866 nach der erzwungenen Abdankung Cuzas den Rumänischen Thron bestieg.
Das Museum lebt
Nach dem Tod des letzten Golescu 1906 verfiel das Gut bis zur Ruine. Erst 1939 legte König Carol II. per Gesetz fest, dass der mittelalterliche befestigte Komplex - als solcher einzigartig in Rumänien - zum Museum erklärt wurde. Auf den 14 Hektar Museumsgelände breiten sich heute neben dem Herrenhaus, das im Herbst für neun Monate restauriert wird, und seinen Nebengebäuden insgesamt 240 Bauwerke aus.
Sehenswert ist neben dem Bojarenhaus vor allem der Teil, in dem Bauernhöfe aus dem ganzen Land auf einer Fläche, die der rumänischen Karte entspricht, geografisch korrekt aufgebaut wurden. Nicht nur an den auffällig großen Kellern, den Obsthainen und umgebenden Weinkulturen, die alle von Hand bearbeitet werden, erkennt man den landwirtschaftlichen Schwerpunkt. Auch die vielen Gerätschaften und Nutzgebäude wie separate Stein- und Erdkeller oder Lager spiegeln ihre spezielle Funktion wider. Dass man geschnittene Weinreben sogar zum Eindecken von Häusern und Zäunen verwenden kann, zeigt ein besonders charmentes Ensemble. Beeindruckend auch die riesigen, aus einem Baumstamm geschnitzten Gefäße zum Pressen oder Lagern von Most und Wein.
Neben den für jede Region typischen Höfen kann man auch Handwerkshäuser, eine Holzkirche, ein Wirtshaus, eine Schule und ein Rathaus bestaunen. Begeistert erzählt Filofteia Pally von alten Bräuchen: dem ewigen, heiligen Feuer am Herd, das niemals ausgehen durfte; dem Dankgebet zum Sonnenaufgang, vor dem man nicht essen oder arbeiten durfte.
Bei Veranstaltungen oder Konferenzen, für die eine große überdachte Terrasse, ein Gästehaus und eine Bühne zur Verfügung stehen, wird auch der eigene Wein serviert. „Das Museum lebt!“, lacht die blonde Frau, die seit 2005 in ihrem Amt als Direktorin waltet. Voller Freude, Pläne und Liebe für diesen Ort.Wie einst Zinca Dinescu.