Fast tausend Kilometer zu Pferd, auf dem Drahtesel oder auf Schusters Rappen. Zeit zum Nachdenken, Reflektieren, Meditieren in herrlicher Landschaft. Ein Stück des Wegs mit anderen zurücklegen, nur mal Plaudern oder Freundschaften schließen. Oder einfach den stillen Moment genießen: Blumenwiesen, Heuröllchen, Schafherden, Kirchenburgen, Klöster, einfaches Dorfleben. All das zieht vorüber wie in einem Traum. Der Traum heißt „Via Transilvanica“. Der Träumer aber bist du…
Doch vor dir haben andere geträumt. Und ihren Traum auf die Ebene der Wirklichkeit geholt, Kilometer um Kilometer bezeugt dies ein künstlerisch gestalteter Stein aus Andesit. Mal trägt er einen Drachen, wie der vor dem Haus der Tabaluga-Stiftung von Peter Maffay in Radeln/Roadeș, mal eine Figur in Buddha-Pose vor einer lachenden Sonne, wie an der Stelle, wo man hinter Radeln querfeldein abbiegt in Richtung des orthodoxen Klosters zum heiligen Georg in Bodendorf/Bunești. Mal erspäht der Wanderer schon von Weitem ein Wegweiser-Schild, mal findet er nur T in einem kleinen orangenen Kreis, mit Farbe auf einen Masten oder eine Brücke gepinselt. Auf der Via Transilvanica geht man nicht verloren. Dafür sorgten über 200 Freiwillige, die bisher 400 Wegkilometer der 950 Kilometer langen Strecke markierten.
Auch in anderen Ländern träumte man diesen Traum vom tagelangen Pilgern durch Kulturlandschaften mit reicher Geschichte – auf dem Camino de Santiago durch Spanien oder dem Pacific Trail durch Nordamerika. Und selbst wenn es ein Ziel gibt, ist doch eigentlich der Weg das Ziel. Das Laufen gibt Gelegenheit, Gedanken und Gefühle zu entwirren, Probleme „nach oben“ abzugeben, sich mit Leib und Seele hinzugeben, sich loszulösen vom Alltag. Die beste Möglichkeit, auch im Inneren etwas zu bewegen...
Der Weg, der Menschen vereint
„Es ist nicht mehr wichtig, wer die Idee zuerst hatte“, lächelt der Schauspieler Marcel Iure{ auf diese Frage. Wir stehen vor dem Haus „Kraus“ der Michael Schmidt Stiftung, wo soeben eine illustre Wandergruppe angekommen ist: Sechs Botschafter – vier ausländische in Rumänien, zwei rumänische im Ausland - wanderten mit Kindern, Pressevertretern und geladenen Gästen drei Kilometer von Radeln nach Bodendorf auf der „Via Transilvanica“, die am 24. Juli auf dem Gelände der Tabaluga-Stiftung der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Initiator des Projekts ist die Stiftung Tășuleasa Social, vertreten durch Marcel Iureș und Alin Uhlmann Ușeriu, Bruder des berühmten Arktis-Marathonläufers Tibi Ușeriu, der seinen letzten Lauf der „Via Transilvania“ gewidmet hat. Unterstützer fanden sie für einen Abschnitt in Siebenbürgen in der Tabaluga-Stiftung und der Michael Schmidt Stiftung.
„Und warum läuft der israelische Botschafter mit?“ Diese verwunderte Frage hatte Botschafter David Saranga auf dem Weg zufällig aufgeschnappt. Er beantwortet sie auf der abschließenden Pressekonferenz in Deutsch-Kreuz/Criț: Israelis sind nach den Deutschen die zweithäufigsten Touristen in Rumänien. Und fügt an: Auch in Israel gibt es einen 1100 Kilometer langen Weg, der die Geschichte des Landes erzählt. Er soll nicht nur Landschaft und Kulturerbe vorführen, sondern auch die Menschen, die ihn begehen, zusammenbringen.
Dies ist auch eine der Ideen, die hinter der „Via Transilvanica“ steckt, verrät Uhlmann Ușeriu. Auf der Strecke, die in Drobeta Turnu Severin beginnt – an der Apollodor-Brücke, von der aus Kaiser Trajan Dakien eroberte - und im Kloster von Putna endet, wo das Grab von Stefan dem Großen liegt, führt der Weg durch eine bunte, ethnisch gemischte Landschaft. Menschen aus verschiedenen Ländern können einander dort begegnen - und den lokalen Einwohnern, den Minderheiten sowie der rumänischen Mehrheit.
„Dieses Land hat eine Toleranz, die es nirgendwo anders gibt“, begeistert sich der britische Botschafter Andrew Noble, der Rumänien bereits seit 1984 kennt. Und fügt an: „Die Briten sind begeisterte Wanderer. Sie queren die Insel von einer Küste zur anderen, das verbindet sie mit Ökologie und Aspekten des Ökotourismus. Genau das, was auch Rumänien braucht!“ US-Botschafter Hans Klemm haben es vor allem die Kirchenburgen angetan: Mit US-amerikanischen Geldern wurden Restaurierungen an den Kirchenburgen in Thalheim/Daia, Hundertbücheln/Movile und Arbegen/Agârbiciu finanziert. Nur zwei Tage nach der Konferenz in Deutsch-Kreuz überreichte er dem Mihai Eminescu Trust (MET) in Almen/Alma Vii einen Scheck über 2,12 Millionen Lei für die Restaurierung der Kirche.
Der ungarische Botschafter Zákonyi Botond zitiert Graf Bethlen, Siebenbürgen sei „wie ein Feengarten“. Der Stellvertreter des deutschen Botschafters, Kai Henning, bedient Thomas Morus: „Es kommt niemals ein Pilger nach Hause, ohne ein Vorurteil weniger und eine neue Idee mehr zu haben.“ Weniger Vorurteile – auch dies kann Rumänien gut gebrauchen.
„Über sieben Brücken musst du gehn“
Brücken bauen soll der Weg zwischen den Völkern - aber auch eine Brücke darstellen für eine bessere wirtschaftliche Entwicklung der Dörfer entlang der „Via Transilvanica“. Wanderer brauchen schließlich Dienstleistungen, Unterkunft, Essen, besichtigen Museen und Denkmäler, schätzen traditionelle Produkte. Tatsächlich gibt es in jedem Ort an der Strecke ländliche Pensionen. Auch seien immer mehr Leute bereit, Wanderern ein privates Zimmer anzubieten.
„Über sieben Brücken musst du gehn“, sang einst Peter Maffay. Sieben Abschnitte gliedern auch den Weg, der Rumänien wie eine Achse in Schlangenlinien durchquert und durch zehn Landkreise führt: Der erste Abschnitt, „Cerna“, beginnt an der Donau bei Drobeta Turnu Severin und führt auf 191 Kilometern durch das Banater Bergland über den Domogled-Nationalpark ins Cerna Gebirge. Am zweiten Abschnitt, „Terra Daco Romana“, trifft man auf 98 Kilometern auf steinerne Zeugen aus der Daker- und Römerzeit: Ulpia Traiana Sarmizegetusa, die Kirche Densuș, die Dakerfestungen im Grădiște-Tal. Auf 122 Kilometern gelangt man weiter durch das Mieresch-Tal, „The Mureș Valley“, über Blasendorf/Blaj, Broos/Orăștie und die historische Vereinigungstadt Karlsburg/Alba Iulia bis nach Kleinkopisch/Copșa Mică im Kokeltal. 125 Kilometer führen dann durch „Terra Saxonia“, das sächsische Siebenbürgen, über Mediasch, Schäßburg/Sighișoara, Keisd/Saschiz, Klosdorf/Cloasterf, Deutsch-Kreuz und Radeln. 88 Kilometer geht es schließlich durch das Szeklerland, „Terra Siculorum“ - Mugeni, Odorheiu Secuiesc, Corund, Sovata, Praid. In „Căliman“ wird es auf 142 Kilometern bergig: Die Route führt von Sovata über den Tihuța und den Borgo Pass. Nun bleiben nur noch 133 Kilometer bis zum Ziel, durch den zauberhaften Abschnitt „Bucovina“.
Etwa 200.000 Pilger pro Jahr soll die „Via Transilvanica“ nach Abschluss aller Markierungen und Fertigstellung der Infrastruktur anziehen. Kollaterale Vorteile sollen an die zwei Millionen Lokaleinwohner entlang der Strecke genießen - ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor. Uhlmann Ușeriu erzählt von der Eröffnung einer Etappe im Kreis Bistritz-Nassod/Bistrița Nasăud, die mit 145 Kilometern von Poiana Stâmpei über Lunca Ilvei, Piatra Fântânele, Bistrița Bârgăului, Petriș, Jeica, Șieuț, Monor und Săcalu de Padure führt. „Da waren plötzlich 80 Leute aus vier Ländern – an einem Ort, wo sonst nie einer vorbeikommt.“
Vom Traum zur Realität
Doch noch ist viel zu tun: Im letzten Jahr wurden wurden nach Information der Stiftung 145 Kilometer, in diesem Jahr weitere 255 Kilometer mit Markierungen und Kilometersteinen ausgestattet. Letztere werden von einem Team aus Studenten und Absolventen der George Enescu Kunstuniversität in Jassy/Iași als Markenzeichen für die „Via Transilvanica“ individuell gestaltet. Auf den Rest der 950 Kilometer langen Route wird man noch etwas warten müssen: Erst in fünf Jahren rechnet Tășuleasa mit dem Abschluss des Projekts, noch werden Sponsoren für Kilometersteine gesucht. Drei Kilometersteine für den Abschnitt „Terra Saxonia“ wurden am 24. Juli feierlich gesetzt: in Radeln vor dem Tabaluga-Haus an der Kirchenburg, in Bodendorf auf dem Klostergelände und in Deutsch-Kreuz.
Doch eigentlich ist alles nur eine Frage der Zeit: Kooperationsverträge mit Lokalbehörden in den zehn betroffenen Kreisen wurden bereits unterzeichnet. Gemeinsam mit lokalen Vereinen sollen Rastplätze geschaffen werden. Auch an die laufende Instandsetzung des Wanderwegs hat man gedacht. In Suceava, wo diesen Juli 136 Kilometer Waldstrecke eingeweiht wurden, hat sich hierfür Romsilva verpflichtet.
Auf der Webseite viatransilvanica.com gibt es eine vergrößerbare Karte mit der genauen Wegführung. Ein 40-seitiger, ausführlicher Wanderführer kann für die erschlossenen Streckenabschnitte in der Bukowina und in Bistritz-Nassod heruntergeladen werden (in deutscher Sprache: www.viatransilvanica.com/media/1623/ghidde.pdf). Dieser bietet neben Streckeninformationen und Auskunft zur lokalen Infrastruktur auch eine Menge praktischer Tipps und Informationen. Wussten Sie etwa, dass die gefleckte Tulpe, rumänisch „Laleaua pestrița“ (Fritillaria meleagris), die im Sachsenwald auf der 27,8 Kilometer langen Route von Petri{ nach Jeica wächst, auf Deutsch eigentlich Schachblume heißt – und dort ein eigenes Festival hat? Oder, wie man aggressiven Hirtenhunden begegnet? Man schickt sie nicht fluchend zum Teufel, sondern lauthals zurück zu den Schafen - auf Rumänisch (phon.): „Tiää la oi!“
Auf der Strecke von Lunca Ilvei nach Piatra Fântânele kommt man am Sitz von Tășuleasa vorbei. Dort kann der Pilger ein Bett finden oder zelten, Waschmaschine, WiFi und Drucker benutzen - und am Denkmal „das eiserne Kreuz“, 2018 von der Stiftung in Anlehnung an das „Cruz de Ferro“ des Camino de Santiago in Spanien erbaut, einen Stein hinterlegen - als Zeichen für das Aufgeben der Schwierigkeiten und Sünden nach dem Weg. Wenn der schwere Stein dann vom Herzen gefallen ist, gibt es Aufwind für neue Träume...