Hör auf, ich will noch schlafen... Wie verrückt klingelt der Wecker um 5.30 Uhr. Draußen ist es noch (fast) stockdunkel. Aufstehen möchte ich nicht, aber ich muss es tun, denn ein etwas ungewöhnlicher Termin steht an. Schönheitsschlaf ist heute keiner drin. Aber was soll’s. In Eile wasche ich mir das Gesicht, trinke einen Schluck Kaffee und schwinge mich ins Auto.
Um punkt 6 Uhr muss ich an der ÖMV-Tankstelle in der Arader Straße sein.
Komisch eigentlich, so früh am morgen dienstlich unterwegs sein zu müssen...
An der Tankstelle warten noch eine junge Frau und ein junger Mann. Er weiß noch nicht, wieso sie sich gedulden müssen und warum er heute ausnahmsweise mal nicht ausschlafen darf. Vor ein paar Tagen hatte er Geburtstag – das Geschenk bekommt er aber erst heute. Das Geheimnis wird innerhalb von fünf Minuten gelüftet: Ein Geländewagen mit Anhänger kommt herangefahren. Auf dem Anhänger steht mit großen Buchstaben geschrieben: www.balloony.ro.
In Australien auf den Gedanken gekommen
Wir befinden uns auf einem brach liegenden Feld in der Nähe von Alexanderhausen/[andra. In die Stille hinein zwitschern Vögel, Insekten zirpen schon und die Sonne geht langsam auf. 200 Meter weiter schlummert eine Schafherde. Auf dem Boden ausgebreitet liegt er: Ein Heißluftballon ist es, ein riesiges Ding, das in nur einigen Minuten aufsteigen wird.
Die Besitzerin des Ballons ist die Temeswarer Unternehmerin Andreea Kremm. Rumänienweit gibt es nur sechs solche Heißluftballons – fünf davon in der Landeshauptstadt Bukarest. Andreea Kremm legt Hand an, wenn es darum geht, den Ballon mit Heißluft zu füllen. „Vor zweieinhalb Jahren waren wir in Australien, zu Silvester, und wollten etwas Besonderes unternehmen.
In Australien ist Ballonfahren sehr verbreitet, weil sie ein sehr gutes Klima dafür haben – kein Wind und immer dieselbe Temperatur. Das war meine erste Ballonfahrt, in einem riesengroßen Ballon, mit 16 Passagieren. Als ich oben in der Luft war und die Känguruhs unter mir rumlaufen sah, habe ich gesagt: ´Ich will einen Ballon´“, erinnert sich Andreea Kremm. Eine Woche später erwarb sie sich den Heißluftballon.
Sie kaufte ihn über ebay aus Hamburg, um 10.000 Euro. Was auf sie zukommen würde, wusste sie damals nicht. „Sechs Monate Papierkram“, sagt sie lächelnd. Inzwischen arbeiten für Balloony zwei ausgebildete Piloten für Heißluftballons. Den Pilotenschein zu bekommen, war auch nicht so leicht, denn dafür musste ein Trainer aus Bukarest nach Temeswar geholt werden. „Ich werde meinen Ballonpilotenschein in Szeged machen, gleich jenseits der Grenze zu Ungarn, in einigen Wochen und nicht in zwei Jahren, wie es bei unseren Piloten der Fall war“, ist Andreea Kremm überzeugt. Ungarisch spricht sie von Kind an.
Keine Turbulenzen wie im Flugzeug
Und los geht´s! Cristi, einer der Piloten, schwingt sich in den Korb, nachdem wir drei Passagiere schon drin sind. Heute haben wir die einzigartige Gelegenheit, die Welt von oben zu betrachten, und zwar rundum, nicht wie im Flugzeug, ausschnittweise und von ganz hoch oben. Die heiße Luft lässt den Ballon aufsteigen.
Äußerst gemütlich, ohne Erschütterungen und Holpereien wie beim Abflug eines Flugzeugs. Langsam verkleinert sich die Welt unter uns und nur das Kameraobjektiv lässt erkennen, ob die Tiere auf den Getreidefeldern Hasen, Rehe oder Füchse sind. Turbulenzen gibt es bei einer Ballonfahrt nicht – man kann sich ganz gemütlich unterhalten und die Aussicht genießen.
Mit dem Heißluftballon kann man bei Sonnenaufgang oder -untergang fahren. Dann sind die Chancen, dass ein unerwartetes Gewitter aufkommt, am geringsten. Vor der Fahrt vergewissern sich die Piloten auf speziellen Pilotenwebseiten, dass das Wetter auch gut ist – und eine Zeit lang so bleibt. Gibt es Anzeichen eines möglichen Sturms, so wird die Fahrt aufgeschoben. Ein Risiko geht niemand ein. „Ballonfahren ist gar nicht gefährlich.
Im absolut schlimmsten Fall kommt man so schnell runter wie mit einem Fallschirm“, sagt Andreea Kremm, die die Fahrt fast allen empfehlen würde. „Ballonfahren macht Spaß und ist für jedes Alter geeignet. Außer für Kinder, die kleiner als 1,20 Meter sind, weil sie noch nicht über den Rand des Korbs hinwegsehen können“, empfiehlt Andreea Kremm.
Aufgeregt bellen alle Hunde, die Köpfe hochgereckt, wenn wir über die Dörfer fliegen. Eine Karte haben wir, aber eine genaue Richtung nicht. Wir fliegen, wohin uns der Wind führt, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von fünf Kilometern pro Stunde. Der Geländewagen folgt uns, denn der Ballon muss nach der Fahrt wieder eingepackt werden. Alexanderhausen, Pesak, Perjamosch, Lowrin – ich sehe die banatschwäbischen Dörfer zum ersten Mal aus der Vogelperspektive. Ein himmlisches Abenteuer! Und man kann dabei auch etwas Ansiedlungsgeschichte des Banats studieren, zumindest das Kapitel Raumordnung und Dorfanlagen.
Hahn, Hammel und Ente waren erste Passagiere überhaupt
Die Geschichte der Ballonfahrt begann im Jahr 1783, als die Gebrüder Montgolfiere, Papierfabrikanten aus Annonay in Frankreich, ihren ersten Heißluftballon starteten. Das war am 4. Juni 1783. Menschen waren zu Beginn nicht an Bord. Die zweite Fahrt fand in September desselben Jahres in Versailles statt, vor den Augen des Sonnenkönigs, Ludwig XVI.
Weil man der Sache aber noch nicht so recht traute und auch noch nichts über das Luftmeer wusste, zog man es vor, drei Tiere, nämlich einen Hahn, eine Ente und einen Hammel zu befördern. Schließlich wollte man es doch auch mit Menschen ausprobieren. Man beschloss, zwei Strafgefangene, die zum Tode verurteilt waren, in die Luft zu schicken. Aber so weit kam es dann doch nicht, denn ein kleiner Mann aus dem Pariser Volk brachte dem König bei, dass sich keine normalen Menschen, keine Plebs, über den Adel erheben durften. Somit geschah es, dass dieser schlaue Mann, Pilatre de Rosier, zusammen mit dem Gardeoffizier Marquis D‘Arlandes die ersten mit einem Heißluftballon fliegenden Menschen waren.
„Es ist etwas anderes als alle anderen Flugmittel, weil man den Heißluftballon nur geringfügig steuern kann, in die Richtung, in die man fliegt. Man ist ein bisschen den Elementen ausgeliefert. Aber es ist auch ein absolutes Gefühl der Freiheit, ohne irgendwelche körperliche Beschleunigungserscheinungen wie bei anderen Flugobjekten. Ballonfahren gibt Zeit, alles eingehend zu sehen, weil der Ballon langsam fliegt, in der Luftströmung schwebt“, sagt Andreea Kremm.
Günstiger als in Bukarest
Die Landung ist weniger sanft als der Abflug. Wir landen zwischen einem Mais- und einem Weizenfeld, der Korb fällt um, aber wir lachen – vielleicht auch, weil wir immer noch nicht glauben können, was für ein besonderes Erlebnis wir gerade hatten. Mein Herz pocht stark. Ich bin fast eine Stunde lang im Heißluftballon übers Banat gefahren.
Ein paar Mal die Woche fliegen die zwei Ballon-Piloten Cristi und Max mit den Passagieren durch die Gegend. Etwas mehr als 100 Euro pro Person kostet es, schwerelos im Heißluftballon über den Wolken zu schweben. Eine Fahrt kann man über die Internetseite www.balloony.ro buchen. Billiger als in Bukarest ist es auf jeden Fall. Dort wird der ganze Ballon für etwa 750 Euro gemietet – es ist dann dem Passagier überlassen, weitere vier Freunde zu finden, um billiger davonzukommen. Der Ballon steigt bis in etwa 300 Meter Höhe.
So viel erlauben die Flugordnung und die Radaranlagen der nächstgelegenen Flughäfen, denn der Passagier- und Frachtverkehr dort darf nicht gestört werden. In den Korb passen, mit Ausnahme des Piloten, fünf Fahrgäste.
„Wir haben zwei Kategorien von Passagieren: ausländische Touristen und Leute, die das besondere Erlebnis suchen, den Kick. Ballonfahren eignet sich als Geschenk zu einem Geburtstag, Jahrestag oder zum Teambuilding.
Es ist ein Erlebnis, an das man sich ein Leben lang erinnert“, sagt Andreea Kremm. Auch der eine oder andere Heiratswillige hat seiner Auserwählten die Frage im Ballon gestellt. Bei der Aufregung konnte sie dann nur noch „Ja“ hauchen.
Ballon-Neulingen fließt blaues Blut durch die Adern
Auf einem kleinen roten Teppich müssen wir nach der Landung niederknien. Cristi, der Pilot, lässt uns kurz in die Geschichte der Ballonfahrt eintauchen – in das, was weiter oben erzählt wird. Als Ballon-Neulinge bekommen wir die Taufe – mit Feuer und Sekt, so wie es sich für Erstfahrer gehört. Da Ludwig der XVI. verfügt hat, dass nur Adelige Ballon fahren dürfen, muss dieses Gesetz bis heute streng eingehalten werden. Jeder Ballon-Neuling wird also in den Adelsstand der Ballonfahrer erhoben.
Auch wenn ich eigentlich heute dienstlich unterwegs bin, muss auch ich an der Ballonzeremonie teilnehmen. Als Adelige darf ich meinen neuen Namen nicht vergessen, sonst gibt´s Getränkeausschank für alle. Ach ja, darf ich vorstellen: Raluca Nelepcu, Gräfin von Alexanderhausen, die mit dem Diktiergerät alles aufgezeichnet hat.