Ein kühler Luftzug zieht durch den Burghof, trägt den Geruch von feuchtem Stein und alten Geschichten mit sich. Wenn man den Hof geradeaus durchquert, umgeben von den schattigen Mauern der Hunyadi-Festung, steht ein Brunnen. Touristen lesen den Text von der Infotafel ab und schauen dann nachdenklich hinein. 28 Meter tief soll der Brunnen sein, steht dort geschrieben. „Hier“, sagt der Reiseführer leise und tippt mit dem Finger auf eine verwitterte Inschrift, „haben drei Gefangene 15 Jahre lang gegraben. Sie suchten Wasser – und Hoffnung.“ Der Mann lächelt traurig, als er weiterspricht. „Man versprach ihnen die Freiheit, wenn sie die Quelle finden. Doch als das Wasser sprudelte, vergaß die Herrin ihr Versprechen. Da ritzten die Männer in den Stein, auf Türkisch: Aveți apă, dar n-aveți inimă – Ihr habt Wasser, aber kein Herz.“
Der Wind fährt über die Brüstung, lässt eine Fahne flattern. Für einen Moment scheint es, als sähe man sie – die drei türkischen Gefangenen, gebeugt über den Stein, die Hände blutig, die Gesichter vom Staub gezeichnet. Vielleicht war es an einem Tag wie diesem, als einer von ihnen innehielt, die Hacke sinken ließ und spürte, dass er betrogen worden war.
Das steinerne Herz von Eisenmarkt
Wer die Festung in Eisenmarkt/ Hunedoara besucht, spürt sofort: Dies ist kein bloßes Bauwerk, sondern ein Tor in eine andere Zeit. Über eine lange Brücke, die sich über den Bach Zlaști spannt, gelangt man in die Burg. Sie thront auf einem Felsen, ihre Türme mit schiefergedeckten Dächern ragen in den Himmel, ihre Mauern tragen die Spuren von Jahrhunderten. Errichtet wurde sie im 15. Jh. von Iancu de Hunedoara, einem Fürsten und Heerführer, dessen Ruhm bis weit nach Mitteleuropa reichte. Der Eintritt in die Burg ist nicht gerade billig, doch er lohnt sich auf jeden Fall. Erwachsene zahlen 50 Lei, Rentner 25 Lei, Schüler und Studenten jeweils 12 Lei, Vorschulkinder haben freien Eintritt.
Das Innere ist ein Labyrinth aus Hallen, Galerien und Wendeltreppen. Der große Rittersaal mit seinen gewölbten Decken und hohen Fenstern wirkt wie ein Raum, der noch immer auf ein Fest wartet. In der Kapelle riecht es nach kaltem Stein, nach Geschichte. Die Luft ist schwer von Erzählungen, und jedes Geräusch hallt nach – Schritte, Stimmen, das ferne Rufen eines Vogels.
Die Festung Hunyadi ist eine der schönsten Burgen Osteuropas – und sie trägt all das in sich, was Siebenbürgen in Rumänien so besonders macht: Erhabenheit, Dunkelheit, Geheimnis. Besonders am späten Nachmittag, wenn die Sonne schräg durch die Bogenfenster fällt, glühen die Mauern in einem rötlichen Licht, und der Burggraben liegt bereits im Schatten. Dann scheint es, als wäre man selbst eine Figur aus einer längst vergangenen Chronik.
I Giardini di Zoe für einen Hauch Toskana
Etwa eine halbe Stunde Fahrt von Eisenmarkt entfernt, im kleinen Dorf Banpotoc, erwartet den Besucher eine Überraschung, die so gar nicht in das Bild des rauen Siebenbürgens passen will: I Giardini di Zoe. Ein italienischer Garten, angelegt von Giovanni Salvatelli, einem Unternehmer aus der Marken-Region, der sich in die Hügel Siebenbürgens verliebte und hier sein persönliches Paradies schuf.
Schon beim Eintreten umfängt einen der Duft von Lavendel und Rosmarin. Die Blumendüfte, die einen umhüllen, hängen natürlich von der Jahreszeit ab. Terrassen aus Travertin führen hinauf zu kleinen Pavillons, dazwi-schen Heckenlabyrinthe und glitzernde Springbrunnen. Im Sommer summen über-all Bienen. Es ist ein Ort der Stille, an dem man das Tempo des Alltags verliert.
Vor allem im Sommer ist ein Besuch in den Giardini di Zoe eine Sensation. Wer früh am Morgen kommt, wenn der Tau noch auf den Rosen liegt, erlebt den Garten in seiner schönsten Form. Die Farben scheinen intensiver, das Licht weicher. Zwischen den Wegen gibt es Bänke, die zu stillen Momenten einladen. Man kann hier stundenlang verweilen, den Blick über das kunstvolle Spiel von Pflanzen und Formen schweifen lassen und sich vorstellen, man sei in einem toskanischen Herrenhaus.
Der Eintritt kostet 25 Lei, und geöffnet ist der Garten täglich bis zum Abend. Picknickdecken sind erlaubt, Haustiere nicht. Besonders schön ist Zoes Garten im späten Frühling oder im frühen Herbst, wenn die Sonne mild ist und die Besucherzahlen überschaubar. Ein Geheimtipp: Bleibt bis zur „goldenen Stunde“, wenn das Licht über den Hügeln von Banpotoc flimmert – dann verwandeln sich I Giardini di Zoe in ein Märchen aus Licht und Schatten, das man nicht so schnell vergisst.
Auf den Pfaden des Retezat
Vom sanften Süden der Hügel führt die Reise weiter nach Westen, wo die Landschaft wilder wird. Hier erhebt sich das Retezat-Gebirge, eines der spektakulärsten Massive der Karpaten. Es gehört zum ältesten Nationalpark Rumäniens und ist ein Paradies für Wanderer, Fotografen und Naturliebhaber.
Die Gipfel ragen über 2500 Meter auf, zwischen ihnen liegen mehr als vierzig Gletscherseen, klar und still wie Spiegel. Der größte von ihnen, der Bucura-See, schimmert in einem dunklen Blau, das im Sonnenlicht fast schwarz wirkt. In seinen Wassern spiegelt sich der Himmel, und wer an seinem Ufer übernachtet, wird Zeuge eines der eindrucksvollsten Naturschauspiele der Region: eines Sonnenaufgangs, bei dem der Nebel aus den Tälern aufsteigt und das erste Licht über die schroffen Kämme kriecht. Der Aufstieg zum höchsten Punkt, dem Peleaga-Gipfel (2509 m), ist anspruchsvoll, aber lohnend. Von oben breitet sich die Welt aus wie ein grünes Meer aus Tälern, Wäldern und fernen Dörfern.
Für weniger geübte Wan-derer bietet der Nationalpark auch leichtere Wege, etwa von Râușor hinauf zum Stevia-See. Festes Schuhwerk, Regenjacke und ausreichend Wasser sind Pflicht – das Wetter in den Karpaten kann innerhalb einer Stunde umschlagen. Wer Glück hat, begegnet unterwegs Gämsen oder Murmeltieren.
Die Colț-Steinkirche als Inspirationsquelle
Zu den Sehenswürdigkeiten der Gemeinde Râu de Mori gehört die orthodoxe Colț-Steinkirche, eines der ältesten bezeugten Klöster Rumäniens. Sie wurde zu Beginn des 14. Jh., etwa zwischen 1310 und 1315, von der Adelsfamilie Cândești gegründet. Im 15. Jh. entstand dort eine Einsiedelei unter dem Einfluss des Prislop-Klosters, die bis in die zweite Hälfte des 17. Jh. bestand, als die calvinistischen Truppen die Mönche vertrieben. Erst 1989 wurde das monastische Leben durch die Bischofskurie von Arad wiederhergestellt, und seit 1995 lebt dort erneut eine kleine Gemeinschaft von Mönchen.
Die Kirche ist aus Stein gebaut. Ihr markanter quadratischer Turm, einst zu Verteidigungszwecken errichtet, beherbergte drei Räume, von denen die oberen beiden früher von Mönchen bewohnt waren. Im Inneren finden sich verblasste, aber wertvolle Fresken des Malers Ștefan, der auch die Kirchen von Ostrov und Densuș gestaltete.
Mit diesem Ort sind Legenden verbunden. Es heißt, Jules Verne habe sich von der geheimnisvollen Atmosphäre der Kirche und der benachbarten Burg zu seinem Roman „Das Karpatenschloss“ inspirieren lassen. Ob das stimmt, bleibe dem Leser überlassen. Von Colț ist es nicht mehr weit bis nach Râușor am Fuße des Retezat-Massivs.
Râușor – das Tor in der Höhe
Der kleine Ferienort Râușor ist ein guter Ausgangspunkt für Bergwanderungen – und selbst im Herbst ein beliebtes Ziel. Auf etwa 1250 Metern Höhe gelegen, umgeben von Fichten und klaren Bergbächen, hat er den Charme eines alpinen Dorfes.
Im Winter verwandelt sich Râușor in ein Skigebiet, doch auch in der warmen Jahreszeit ist hier viel los. Der Sessellift – normalerweise für Skifahrer gedacht – läuft auch im Sommer. Er bringt Besucher auf ein Plateau in rund 1560 Metern Höhe. Die Fahrt dauert nur wenige Minuten, doch sie ist ein Erlebnis: Unter einem breitet sich der Wald aus, und mit jedem Meter, den man höher gleitet, wird die Aussicht weiter. Oben angekommen, wartet ein Panorama, das einem den Atem raubt – der Blick schweift über die Gipfel des Retezat, über Täler und ferne Dörfer, über eine Landschaft, die in allen Grüntönen schimmert.
Viele Wanderer kommen einfach herauf, um die Sonne zu genießen, Fotos zu schießen oder ein Picknick im Gras zu halten. Es gibt Bänke, Rastplätze und einen kleinen Imbissstand. Am späten Nachmittag, wenn das Licht weich wird und die Schatten lang werden, ist Râușor vielleicht am schönsten – still, friedlich, fast entrückt.
Unterkünfte gibt es in allen Preisklassen: von rustikalen Berghütten bis zu gemütlichen Pensionen mit Kamin und Hausküche. Die Râușor-Hüte ist besonders beliebt – sie liegt direkt am Waldrand und bietet 34 Schlafplätze, hausgemachte Speisen und freundliche Gastgeber. Abends, wenn die Grillen zirpen und der Himmel sich in tiefem Blau färbt, hat man das Gefühl, die Zeit stehe still.
Zwischen Himmel und Erde
Wer den Kreis Hunedoara besucht, reist durch Raum und Zeit. In der einen Stunde steht man auf einer gotischen Brücke oder blickt in den Abgrund eines mittelalterlichen Brunnens, in der nächsten wandert man durch einen italienischen Garten, bevor man in den Bergen den Himmel berührt.
Die Magie dieses Landstrichs macht seine Vielfalt aus. Hunedoara ist kein Ziel für Eilige. Es ist eine Region, die man langsam entdecken muss. Wer bereit ist, sich darauf einzulassen, wird mit Erinnerungen belohnt, die lange haften bleiben: der Duft der Pinien in Râușor, das Echo in den Hallen des Corvin-Schlosses, die Dämmerung über den Giardini di Zoe. Hunedoara ist definitiv ein Ort, an den man immer wieder zurückkehren möchte.