Die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie breiten sich weltweit aus und haben die Durchführung sowohl inländischer als auch internationaler Verträge erheblich berührt. Viele Unternehmen haben ihre Tätigkeit ganz oder teilweise suspendiert, sodass die objektive Möglichkeit der Erfüllung vertraglicher Verbindlichkeiten fraglich ist. Es folgt eine allgemeine Darstellung der Rechte des Schuldners bei höherer Gewalt bzw. der Störung der Geschäftsgrundlage nach rumänischem Recht.
Was bedeutet höhere Gewalt?
Das rumänische Zivilgesetzbuch („ZGB“) definiert die höhere Gewalt in Art. 1351 als ein „externes, unvorhersehbares, absolut unüberwindliches und unvermeidbares Ereignis“. Ein Schuldner haftet hiernach nicht für Schäden infolge der Nichterfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen, wenn die Nichterfüllung auf höherer Gewalt beruht.
Diese Regelung findet Anwendung, wenn keine anderweitige Bestimmung eines Sondergesetzes oder einer vertraglichen Vereinbarung der Parteien existiert. Damit treten die Auswirkungen der höheren Gewalt auch dann ein, wenn die Parteien keine diesbezügliche Vereinbarung getroffen haben.
Wer trägt die Beweislast?
Die Partei, die sich bei der Nichterfüllung von Verpflichtungen auf höhere Gewalt beruft, ist verpflichtet, Folgendes zu beweisen:
- den Eintritt der höheren Gewalt;
- die Tatsache, dass ihr gerade wegen dieses Ereignisses die Erfüllung der Vertragspflichten unmöglich ist.
Da die höhere Gewalt eine Tatsache (rum. fapt juridic) darstellt, sind für ihren Nachweis alle Beweismittel zulässig. Normalerweise stellt die Industrie- und Handelskammer Rumäniens auf Antrag und gegen Gebühr Zertifikate über die Existenz der höheren Gewalt in Einzelfällen aus. Im Fall der COVID-19-Pandemie wurde durch das Dekret des Präsidenten Rumäniens Nr. 195/2020 zur Verhängung des Ausnahmezustandes jedoch bestimmt, dass das rumänische Wirtschaftsministerium für die Ausstellung sog. „Zertifikate über den Ausnahmezustand“ (rum. certificate de situație de urgență) zuständig ist.
Wichtig ist, dass der derzeit vorliegende Ausnahmezustand nicht per se zur Begründung der höheren Gewalt herangezogen werden kann und daher nicht zur automatischen Ausstellung des Zertifikates führt. Vielmehr sind in jedem Einzelfall Unterlagen vorzulegen, die die objektive Unmöglichkeit der Leistungserbringung wegen des geltend gemachten Ereignisses belegen. Dies verdeutlicht, dass diese Zertifikate nur die besagte Unmöglichkeit im konkreten Einzelfall bescheinigen.
Ferner können sie grundsätzlich gerichtlich geprüft werden; die Rechtsprechungspraxis ist im Hinblick auf die Beweiskraft der Zertifikate über die höhere Gewalt uneinheitlich.
Welche Alternativen zur höheren Gewalt bestehen?
Ist die Erbringung der Leistung nicht unmöglich, liegt im Einzelfall keine höhere Gewalt vor oder ist die Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtungen nicht auf diese zurückzuführen, so kommt es eventuell in Betracht, das Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage (eng. hardship; rum. impreviziune) gemäß ZGB geltend zu machen.
Manchmal können außergewöhnliche Umstände eintreten, aufgrund derer die Vertragserfüllung für eine Partei besonders belastend wird, ohne jedoch absolut unmöglich zu werden. Haben sich die zur Geschäftsgrundlage gehörenden Umstände so gravierend geändert, ist die dadurch belastete Partei berechtigt, die andere Partei unter bestimmten gesetzlichen Bedingungen zur einvernehmlichen und angemessenen Anpassung des Vertrages aufzufordern.
Scheitern die Verhandlungen der Parteien über die Vertragsanpassung, ist die betroffene Partei berechtigt, den Rechtsweg zu beschreiten. Das Gericht prüft in diesem Fall die Umstände des Falls und beschließt in der Regel die Anpassung des Vertrages, sodass die Vor- und Nachteile infolge der geänderten Umstände von beiden Parteien getragen werden. Nur wenn dies unmöglich ist, kann es den Vertrag auflösen.
Fazit
Die COVID-19-Pandemie hat eine erhebliche Störung der wirtschaftlichen Tätigkeit weltweit verursacht. Alleine die Einstellung der Tätigkeit großer Hersteller (z. B. in der Automobilindustrie) berührt die Zulieferer direkt und mit sofortiger Wirkung.
Dennoch gilt die Pandemie an sich nicht als genereller Zustand der höheren Gewalt für alle Unternehmen; ihre Auswirkungen müssen anhand der Besonderheiten des Falls eingeschätzt werden.
Ist es dem Schuldner nicht möglich, sich auf höhere Gewalt zu berufen, so ist zu prüfen, ob die Störung der Geschäftsgrundlage geltend gemacht werden kann, um den Vertrag anzupassen
In beiden Fällen ist somit eine Prüfung des konkreten Einzelfalls erforderlich.
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