Innovative Finanzmechanismen können beim Wiederaufbau der Ukraine helfen

22.08.2022, Ukraine, Nikopol: Dmyto Shengur räumt Trümmer vor seinem Haus aus dem Weg, das nach russischem Beschuss beschädigt wurde. | Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Zürich - Die Kostenschätzungen für den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg schwanken stark. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal nannte vor Kurzem einen voraussichtlichen Betrag von 750 Milliarden Dollar, während der Präsident der Europäischen Investitionsbank Werner Hoyer der Ansicht ist, dass das Land 1,1 Billionen Dollar benötigen könnte. Und mit jedem weiteren Kriegstag steigt dieser Betrag.

Die Ukraine wird ihre Kraftwerke, Stromnetze sowie wichtige Wasser-, Abwasser- und Verkehrsinfrastruktur wieder aufbauen müssen. Die Industrie wird Investitionen benötigen, und viele Häuser werden noch vor Einbruch des Winters wieder aufgebaut und repariert werden müssen. Viele Städte und Dörfer wurden vollständig zerstört.

Doch wird die Ukraine ein derart enormes Investitionsprogramm nicht allein finanzieren können, und auf Reparationen aus Russland sollte sie nicht zählen. Das Geld muss daher von multilateralen Entwicklungseinrichtungen wie der Weltbank, der Europäischen Investitionsbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung kommen. Auch die westlichen Regierungen werden einen Beitrag leisten müssen, und die Europäische Union ebenso.

Das größte Problem ist, dass die Ukraine das Geld unmittelbar nach Kriegsende brauchen wird. Weil das Land selbst nicht über ausreichende Rücklagen verfügt, wird es Kredite aufnehmen müssen. Doch wird seine staatliche Kreditwürdigkeit nach dem Krieg auf einem Tiefstpunkt stehen, auch wenn Fitch Ratings das Länderrating der Ukraine vor Kurzem von RD (eingeschränkter Kreditausfall) auf CC angehoben hat.

Darüber hinaus werden die westlichen Regierungen nicht in der Lage sein, der Ukraine über Nacht so einfach eine erste Rate von 100 Milliarden Dollar zu überweisen. Ihre Finanzen leiden noch immer unter den Haushaltsmaßnahmen zur Bekämpfung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und der plötzlichen Erkenntnis, dass sie mehr für die Verteidigung ausgeben müssen. Allein Deutschland beabsichtigt, zusätzliche 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr zu investieren.

Doch können innovative Finanzierungsmechanismen dazu beitragen, zumindest einen Teil der enormen Finanzlücke der Ukraine zu schließen. Die politischen Entscheidungsträger sollten dabei insbesondere zwei jüngste Präzedenzfälle in Betracht ziehen.

Eine vielversprechende Option besteht in der Einrichtung einer Internationalen Finanzfazilität für den Wiederaufbau der Ukraine (IFFRU). Diese würde sich am Vorbild der Internationalen Finanzfazilität für Impfprogramme (IFFIm) orientieren, die 2006 von einer Reihe von Geberländern unter Führung Großbritanniens eingerichtet wurde, um die Impfung von Kindern in den weltärmsten Ländern vorzufinanzieren.

Die IFFIm erhielt von Regierungen mit hoher Bonität rechtlich bindende mehrjährige Zusagen im Gesamtvolumen von über sechs Milliarden Dollar, was sie in die Lage versetzte, ein AAA-Rating zu erlangen und Geld an den internationalen Anleihemärkten aufzunehmen. Die aufgenommenen Kreditmittel – die erste Anleiheemission der IFFIm belief sich auf eine Milliarde Dollar – wurden an die Impfallianz Gavi überwiesen, um sofortige umfangreiche Impfungen zu finanzieren.

Die steuerbefreite IFFRU hätte ihren Sitz außerhalb der Ukraine und würde im Einklang mit bewährten Betriebs- und Steuerungsstandards geführt. Und statt enorme Summen aus ihren aktuellen Haushalten umzulenken, werden viele westliche Regierungen in der Lage sein, rechtlich bindende Zusagen über 20 Jahre abzugeben. Bei korrekter Strukturierung würden die Beträge nur in den Jahren ihrer jeweiligen Fälligkeit in den Haushalten der betreffenden Regierungen erscheinen.

Je nach Bonität der Geberländer und den Finanzrichtlinien der IFFRU könnte diese so ein Rating von AA oder besser erhalten. Dies würde sie in die Lage versetzen, die internationalen Anleihemärkte anzuzapfen, die Maßnahmen in der Ukraine vorzufinanzieren und nach Bedarf Geld auszuschütten, wann immer das Land dieses benötigt. Auf diese Weise könnten die Infrastruktur und dringend benötigter Wohnraum für die vertriebene Bevölkerung der Ukraine rasch wieder aufgebaut werden.

Eine zweite Möglichkeit besteht darin, dass die Ukraine Brady-Bonds begibt. Sie würde damit dem Beispiel einiger Schwellenmärkte – darunter mehrerer lateinamerikanischer Länder, Bulgariens, Marokkos, Nigerias, Polens und der Philippinen – nach deren Kreditausfällen gegenüber den Banken vor drei Jahrzehnten folgen. Um die Krise beizulegen, akzeptierten die Banken damals einen Schuldenschnitt, und die Restschulden wurden dann in handelbare Staatsanleihen umgewandelt, wobei die Tilgungszahlungen besichert und durch speziell ausgegebene Staatspapiere unterlegt wurden. Im Falle der in Dollar denominierten Brady-Bonds gab das US-Finanzministerium als Sicherheiten spezielle Nullkupon-Anleihen mit einer Laufzeit von 30 Jahren aus, was die Brady-Bonds für die Anleger attraktiv machte.

Die Ukraine, deren CC-Rating sie daran hindern wird, die internationalen Schuldenmärkte allein anzuzapfen, könnte eine ähnliche Struktur nutzen, um ihr Anleiheemissionsprogramm anzustoßen. Die Regierung wäre verantwortlich für die Zinszahlungen auf ihre Brady-Bonds – wobei die notwendigen Devisen von den Steuerzahlern des Landes kämen –, und die Tilgungszahlungen würden mit Sicherheiten unterlegt oder über Nullkupon-Anleihen garantiert, die von Regierungen mit hoher Bonität, der EU oder anderen Organisationen ausgegeben würden. Die Ukraine müsste diese Nullkupon-Anleihen kaufen, oder Regierungen, die den Wiederaufbau des Landes unterstützen möchten, könnten sie spenden.

Steigende Zinssätze und klamme Staatshaushalte haben zur Folge, dass die für den Wiederaufbau benötigten hohen Summen nicht in einem Rutsch aufgebracht werden können. Doch können kreative Finanzierungsmechanismen helfen, die Belastung zu verringern und den Wiederaufbau des Landes zu beschleunigen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan


Marcus Fedder ist ehemaliger Direktor der Internationalen Finanzfazilität für Impfprogramme, ehemaliger Leiter der Finanzabteilung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und war im Rahmen seiner Tätigkeit für die Weltbank in den Jahren 1990-91 mit der Strukturierung von Brady-Bonds befasst.


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