Die Blondine mit Bob-Frisur verlässt das Bankgebäude und winkt nach einem Taxi. Mit ernster Miene steigt sie ein, am Steuer ein Typ mit schwarzem, zerzaustem Haar. Sie sprechen über das Wetter, er gestikuliert heftig. Das gleiche passiert auch morgen. Derselbe Ort, dasselbe Auto, derselbe Mann am Steuer. Die Gespräche werden intensiver, sie verliert die Hemmungen. Sie setzt sich nicht mehr auf den hinteren Sitz, sondern vorne, auf den...
Die „Akte“ Eginald Schlattners ziert den Umschlag der nun veröffentlichten Dissertation: „Die Unentrinnbarkeit der Biographie. Eginald Schlattners Roman ‘Rote Handschuhe’ als Fallstudie zur rumäniendeutschen Literatur“ von Michaela Nowotnick. Titel und Bild lassen so gleich keinen Zweifel daran, dass es in dieser Studie ebenso um den „Fall Schlattner“ wie auch um seinen Roman geht.Die Beschäftigung mit dieser Studie erinnerte mich stark an eine...
Ion Ghica – einer der großen Namen in der Geschichte Rumäniens: Bojarensohn, Mathematiker, Bergbauingenieur, Universitätsprofessor, Schriftsteller und Diplomat, dreimal kurz Premier – (1866, 1866/67, 1870/71) und einmal Außenminister, Gouverneur der Insel Samos als Vertreter des Osmanischen Hofes, von Sultan Abdul-Medjid sogar zum Prinzen (Bei) der Insel erhoben. Präsident der Rumänischen Akademie und Direktor des Nationaltheaters, bekannt als...
Zehn Jugendliche sitzen in einem Klassenzimmer des Sportlyzeums in Temeswar. Die Schulbänke sind diesmal ganz anders als während des Schuljahres aufgestellt worden. Die Bänke stehen im Kreis, so dass jeder der Teilnehmer im Raum sich in die Augen blicken kann. Am Eingang ins Klassenzimmer klebt ein Blatt Papier mit der Aufschrift „Dramaturgie-Workshop“. Im Raum herrscht Stille. Allein kleine Geräusche brechen diese Stille, denn die Jugendlichen...
Ein junger Regisseur aus Wien, Florian Reichl, entdeckt irgendwo im Internetfundus das Theaterstück „Viele Grüße Michael Kohlhaas“. Dies schrieb 1977 der damalige Dramaturg an der deutschen Bühne des Hermannstädter Staatstheaters, also in Rumänien, wo ein großer Teil der rumäniendeutschen Zuschauer mehr zum Passamt als ins Theater gingen. Gewartet wurde Tag und Nacht auf den Pass nach Westdeutschland. Diese Sehnsucht, die rumänische Grenze einmal...
Mit „Hermannstadt im Jahre 1790“ bringt der Honterus Verlag auf Initiative des Deutschen Forums die erste kritische Ausgabe einer bibliografischen Rarität aus dem 18. Jahrhundert heraus. Das 1790 von Martin Hochmeister verlegte und gedruckte Handbuch erscheint nun zweisprachig, auf Deutsch und auf Rumänisch, wobei dem Originaltext auf Deutsch und der Übersetzung jeweils eine Buchhälfte gewidmet ist: Mit jedem Buchdeckel setzt der Text in der...
Niemand hat mir den Auftrag erteilt, auf die wichtigen Ereignisse aufmerksam zu machen, die unerwartet oft im „engen Kreis“ – um Eminescu zu zitieren – der deutschen Bevölkerung in Rumänien stattfinden. Wenn ich mich erklären möchte, schreibe ich wie ein Buchhalter oder wie ein Politikwissenschaftler. Dieser Stil liegt mir gar nicht... Ich habe mir selbst das Recht genommen, der Fürsprecher dieser Sprachinsel zu sein, die höchstens einige...
Heutzutage stößt man immer öfter auf den Verfall der Genitivverwendung, eine sehr aktuelle Tendenz im Deutschen. Sebastian Sick berichtet in seinem erfolgreichen Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ (2004): „Im gesprochenen Deutsch wird der Genitiv gern umgangen, deshalb heißt es wohl auch Umgangssprache.“ Professor Horst Simon vom Institut für deutsche und niederländische Philologie der Freien Universität Berlin gibt auch zu: „Unter...
Es sind die nationalen Konflikte der 1930er Jahre in Siebenbürgen, die den historischen Rahmen für ein kürzlich erschienenes Theaterstück bilden, welches der österreichische Germanist und Historiker Dr. Peter Wassertheurer verfasst hat. Vor dem Hintergrund der Machtübernahme Hitlers 1933 radikalisiert sich der Konflikt in der sächsischen Gemeinschaft. Die völkisch gesinnten NS-Anhänger unter den Siebenbürger Sachsen lehnen die jüdische...
Božidar Jezernik, Professor für Ethnologie an der Universität von Ljubljana, setzt sich in seiner Studie „Das wilde Europa – Der Balkan in den Augen westlicher Reisender“ kritisch mit der westlichen Reiseliteratur über den Balkan aus den letzten fünf Jahrhunderten auseinander. Bereits im Eingangskapitel „Wo der Osten beginnt“ wird deutlich, dass er in seiner Erläuterung des vieldeutigen Begriff des „Balkans“ als Synonym für das südöstliche...